Bildschirmfoto 2021 11 13 um 00.24.07"Querdenker", "Reichsbürger" & Co.

Volker Siefert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Aus Sorge um die Auswirkungen der staatlichen Corona-Maßnahmen wollen Eltern in Mittelhessen eine Ergänzungsschule gründen. Dort sollen ihre Kinder "frei lernen" können. Nach hr-Informationen mischen dabei "Reichsbürger" und rechte Verschwörungstheoretiker mit.

"Lasst uns eine neue Art der Schule gründen, eine Schule wo unsere Kinder frei und glücklich sein können", schreibt eine Frau mit Nutzerinnenname "Namaste" in einem Telegram-Chat. Gemeinsam mit ihr sorgen sich darin rund 120 weitere Menschen um das Wohl ihrer Kinder in der Corona-Pandemie. Sie suchen nach Lernorten im Lahn-Dill-Kreis und in der Region Weilburg, an denen sie ihrem Nachwuchs alternative Lerninhalte außerhalb des staatlichen Schulsystems bieten wollen.

Eine solche sogenannte Bauernhofschule gibt es. "Die Schule befindet sich projektabhängig an verschiedenen Orten und Örtlichkeiten, mit einem festen Sitz in Leun", heißt es in einem Konzept, das dem hr vorliegt. Aus Posts im Chat geht hervor, dass die Eltern dort den Kindern zeigen wollen, wie man Gemüse anbaut, mit Tieren umgeht und mit der Natur in Einklang lebt. Sie haben vor, ihre Bauernhofschule beim staatlichen Schulamt offiziell als Ergänzungsschule registrieren zu lassen.


Elterninitiativen für Ergänzungsschulen

Das hessische Schulgesetz sieht die Möglichkeit vor, dass Eltern eigene Schulen gründen, die den Unterricht an staatlichen Schulen nicht ersetzen, sondern ergänzen. Die Hürden hierfür sind viel niedriger als bei der Zulassung privater Ersatzschulen, die das staatliche Schulangebot ersetzen.

Das Kultusministerium in Wiesbaden registriert seit diesem Sommer unter den Labels Bauernhofschule oder Freies Lernen vereinzelt Elterninitiativen. "Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei den Initiatoren um solche Menschen handelt, die sich zumindest den Corona-Schutzmaßnahmen und vor allem der Frage der Testungen nicht anschließen wollen oder diese sogar ganz ablehnen", gibt ein Ministeriumssprecher auf hr-Anfrage zur Auskunft.

Die Initiative aus dem Lahn-Dill-Kreis ist dem Ministerium nach eigenen Angaben nicht bekannt. Nach hr-Informationen gibt es noch mindestens zwei möglicherweise ähnliche Initiativen in anderen hessischen Regionen.


Posts im typischen "Reichsbürger"-Jargon

Nach unseren Recherchen liegt der Verdacht nahe, dass es bei der Ergänzungsschule im Lahn-Dill-Kreis um mehr als die Ablehnung der staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen geht. Der hr konnte Einblick nehmen in das interne Netzwerk hinter der Elterninitiative. In diesem als "Vernetzungsgruppe" bezeichneten Chat werden politische Ansichten ausgetauscht, wie sie in der "Querdenken"-Bewegung, bei "Reichsbürgern" und unter selbst ernannten Völkischen Siedlern üblich sind. Bislang haben die Initiatoren der Elterngruppe Fragen des hr dazu nicht beantwortet.

Als im Rahmen einer geplanten Vereinsgründung für die Bauernhofschule Nutzerin "Christiane" danach fragt, ob sich jemand mit Steuerfragen auskennt, reagiert ein Teilnehmer im typischen "Reichsbürger"-Jargon: "In der BRD GmbH gibt es kein Finanzamt!!!! Fangt an zu kämpfen. Wer Geld an dieses System zahlt, macht sich strafbar."

Statt Widerworte bekommt er Unterstützung von einem anderen Aktivisten, der sich darüber auslässt, dass die Bundesrepublik kein legitimer Staat sei: "Das Thema hatten wir bei den Treffen schon ausgiebig besprochen."


Unwidersprochene Holocaust-Leugnung

Neben Nachhilfe in "Reichsbürger"-Kunde finden sich auch offen rechtsextreme und antisemitische Weltbilder im Chat der "Vernetzungsgruppe". So schreibt eine Teilnehmerin, die sich als Schamanin bezeichnet: "Patrioten, schaut euch unbedingt diese wahren Geschichten an. Die wirkliche Wahrheit über das deutsche Volk. Denn die zionistischen Alliierten sind das wahre Feindbild gewesen. In allen KZs wurden keine Juden vergast. Sie wurden ausgewiesen." Den Holocaust zu leugnen, ist eine Straftat. Doch das scheint in der Gruppe niemanden gestört zu haben.

 Die Bauernhofschule weist ideologische Querverbindungen zu der aus Russland kommenden rechts-esoterischen Anastasia-Bewegung auf, auch als "Völkische Siedler" bekannt. Es gibt Verbindungen besagter "Vernetzungsgruppe" aus dem Lahn-Dill-Kreis zu Martin Laker, einem der aktivsten Vertreter der Bewegung. "Aus seiner reichsbürgerideologischen und antisemitischen QAnon-Gesinnung macht der Anastasia-Netzwerker Laker keinen Hehl", sagt der Weltanschauungsbeauftragte der Evangelischen Kirche in Bayern, Matthias Pöhlmann.


Kontakt zu QAnon-Anhänger

Laker reist durch Deutschland, gründet mit seiner Engelsburg-Akademie regionale Gruppen. In einem Video auf deren Webseite beschreibt er seinen Besuch auf einer Grillhütte bei Weilburg, wo eine Regionalgruppe gegründet wurde. Demnach kamen dort Ende September 40 bis 50 Teilnehmer zusammen, unter ihnen Mitglieder der "Vernetzungsgruppe" hinter der Bauernhofschule im Lahn-Dill-Kreis.

Laker konnte bei dem Treffen den Administrator seiner Engelsburg-Gruppen auf Telegram persönlich begrüßen. Dieser nennt sich "RobiWan" und war zu jener Zeit auch Admin des eingangs erwähnten Elternchats. Er und ein anderer Mitstreiter warben im Elternchat für Lakers Besuch. "Ich habe den Eindruck, dass es Akteure gibt, die Menschen dem demokratischen System entfremden wollen, und da muss man als Eltern dafür Sorge tragen, dass man sich nicht instrumentalisieren lässt", sagt Pöhlmann.


Mit der Presse reden sie nicht

Inwiefern die Eltern aus der offenen Chatgruppe die ideologischen Ansichten der Hauptakteure des Netzwerks dahinter kennen und teilen, lässt sich nicht abschließend sagen. Konkrete hr-Anfragen an namentlich bekannte Initiatoren hinter der Bauernhofschule blieben bislang unbeantwortet.

Ein Post im offenen Elternchat mit einer Anfrage, über die politischen Hintergründe der Bauernhofschule zu sprechen, wurde nach kurzer Zeit gelöscht. Danach schrieb Nutzerin "Christiane" in der "Vernetzungsgruppe": "Ich habe eben einen Journalisten aus der Gruppe entfernt. Wir reden nicht mit der Presse. Bleibt wachsam."

Foto:
"Die Politik macht alle krank", findet die Teilnehmerin an einer "Querdenken"-Demo mit Schirm.(Archivbild)
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Info:
Quelle: hessenschau.de/Stephan Loichinger