heizung.deVeröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Berlin, Teil 184

Der Paritätische

Berlin (Weltexpresso) - Am Montag fand die Anhörung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Heizkostenzuschussgesetzes und des Elften Buches Sozialgesetzbuch statt. Der Parititätische Gesamtverband war als Sachverständiger eingeladen und gab eine Stellungnahme ab.

Inhalt des Gesetzentwurfs:

Durch das Wohngeld werden einkommensschwächere Haushalte bei den Wohnkosten entlastet. Bei Haushalten mit niedrigeren Einkommen ist der Anteil der Wohnkosten am verfügbaren Einkommen zum Teil deutlich höher als bei Haushalten mit mittleren oder hohen Einkommen. Die Preissteigerungen bei den Heizkosten belasten diese Haushalte deshalb stärker. Wegen der im Verlauf des Jahres 2021 und 2022 im Vergleich zu Vorgängerjahren überproportional gestiegenen Energiekosten ist zu erwarten, dass im Rahmen der Nebenkostenabrechnungen für Mietzuschussempfangende oder vergleichbaren Abrechnungen für Lastenzuschussempfangende hohe Nachzahlungen mit monatlich höheren Abschlagszahlungen zeitlich zusammentreffen. Mit dem ersten Heizkostenzuschuss zum 1. Juni 2022 hat die Bundesregierung bereits auf den starken Anstieg der Energiekosten (Heizöl, Gas und Fernwärme) und die damit verbundenen finanziellen Belastungen für Wohngeldhaushalte und für die im Heizkostenzuschussgesetz aufgeführten Empfängerinnen und Empfänger von Aus- und Fortbildungsförderung reagiert.

Aufgrund der danach weiter stark angestiegenen Energiepreise und in Erwartung zunehmender finanzieller Belastungen der Haushalte ist eine weitere Unterstützung erforderlich.

Auch viele Pflegeeinrichtungen sind aktuell krisenbedingt mit stark steigenden Aufwendungen für Energie und einem höheren Kostendruck beim Betrieb ihrer Pflegeeinrichtung konfrontiert, der in diesem Ausmaß für alle Beteiligten nicht vorhersehbar gewesen ist. Mit der Ermöglichung vorgezogener Neuverhandlungen von Pflegeeinrichtungen und Kostenträgern sollen die finanziellen Belastungen im Rahmen der Verhandlungen zügig berücksichtigt werden können.

Für die im Jahr 2022 zu erwartenden Mehrbelastungen bei den Heizkosten wird ein zweiter Heizkostenzuschuss ausgezahlt. Vom zweiten Heizkostenzuschuss sollen alle Haushalte profitieren, die in mindestens einem Monat im Zeitraum vom 1. September 2022 bis zum 31. Dezember 2022 wohngeldberechtigt sind. Zudem sollen wie beim ersten Heizkostenzuschuss auch die Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen nach dem BAföG sowie von Ausbildungs- und Berufsausbildungsbeihilfen profitieren, wenn die Leistungsberechtigung für mindestens einen Monat im maßgeblichen Zeitraum von 1. September 2022 bis 31. Dezember 2022 bestand. Der zweite Heizkostenzuschuss für wohngeldbeziehende Haushalte ist nach der Haushaltsgröße gestaffelt. Die Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen nach dem BAföG und von Ausbildungs- und Berufsausbildungsbeihilfen erhalten einen pauschalen Heizkostenzuschuss.

Von dem zweiten Heizkostenzuschuss profitieren rund 2,1 Millionen Personen (rund 660 000 wohngeldbeziehende Haushalte, in denen rund 1,5 Millionen Personen leben, rund 372 000 nach dem BAföG Geförderte, rund 81 000 mit Unterhaltsbeitrag nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz Geförderte sowie rund 100 000 Personen, die Berufsausbildungsbeihilfe oder Ausbildungsgeld beziehen).

Der einmalige Heizkostenzuschuss beträgt für

1.       ein berücksichtigtes Haushaltsmitglied 415 Euro,

2.       zwei berücksichtigte Haushaltsmitglieder 540 Euro,

3.       jedes weitere berücksichtigte Haushaltsmitglied 100 Euro.

Die Höhe des zweiten Heizkostenzuschusses für die Empfängerinnen und Empfänger von BAföG, Ausbildungs- und Berufsausbildungsbeihilfen beträgt 345 Euro.

Für alle Berechtigen ist ein gesonderter Antrag nicht erforderlich; der zweite Heizkostenzuschuss wird von Amts wegen geleistet.

Aufgenommen wurde zudem eine Konkretisierung des § 85 Absatz 7 SGB XI, die es den Leistungserbringern in der Pflege ermöglicht, zügig Verhandlungen mit den Pflegekassen aufzunehmen, wenn sich die Energiekosten in unvorhergesehenem Ausmaß ändern.

Bewertung:

Die geplante Entlastung der Wohngeldbezieher*innen durch einen weiteren Heizkostenzuschuss wegen hoher Heizkosten ist grundsätzlich zu begrüßen, um die Entlastungswirkung des Wohngeldes zu stärken.

Zur Entlastung bei den Heizkosten wurde bereits im Juni 2022 ein erster Heizkostenzuschuss umgesetzt, um u.a. wohngeldberechtigte Haushalte zu unterstützen, die in den Monaten Oktober 2021 bis März 2022 Wohngeld bezogen haben. Der Paritätische Gesamtverband hatte, wie andere Sachverständige auch, zum damaligen Zeitpunkt die Höhe des vormals geplanten Heizkostenzuschusses I als zu niedrig kritisiert. Letztlich wurde der Heizkostenzuschuss I erhöht und betrug für sechs Monate für einen Wohngeld-Empfänger 270 Euro. Die Erhöhung des gegenwärtig geplanten Heizkostenzuschusses für eine Wohngeld berechtigte Person für drei Monate auf 415 Euro zeigt dabei die Dringlichkeit zur Entlastung bei den Heizkosten.

Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass Energiearmut – insbesondere die Belastung durch Ausgaben für Strom und Heizung – bereits vor den aktuellen Preissteigerungen ein soziales Problem war. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) hat sich der Anteil der Personen in Privathaushalten, die von Energiearmut bedroht sind, in 2020 von 10,7 % bis 2022 auf 16,8 % gesteigert.

Trotz der stark gestiegenen Energiepreise ist jedoch festzustellen, dass diese auch in dem Heizkostenzuschuss II nicht vollständig berücksichtigt werden. Auch die Strompreise weisen hohe Steigerungsraten auf. Dennoch werden die Stromkosten in die Entlastung nicht mit einbezogen. Nach dem Index der Verbraucherpreise stieg dieser im August 2020 von 109,4 Prozent bis August 2022 auf 129,8 Prozent.

Personen, denen Wohngeld nach dem WoGG bewilligt wurde und bei denen mindestens ein Monat des Bewilligungszeitraums in der Zeit vom 1. September 2022 bis 31. Dezember 2022 liegt, haben Anspruch auf den zweiten Heizkostenzuschuss, darunter auch vulnerable Gruppen, Menschen mit Behinderung und pflegebedürftige Menschen.

Allerdings gehen wir davon aus, dass insbesondere in vollstationären Pflegeeinrichtungen für die Bewohner*innen das Thema Wohngeld bisher praktisch keine Rolle spielt. Wenn Pflegeheimbewohner*innen für die Kosten der Pflege, Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten nicht mehr selber aufkommen können, wird dies i.d.R. durch Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII subsidiär aufgefangen. Darin sind die Unterkunftskosten enthalten. Es mag theoretisch möglich sein, hier mit Blick auf finanzielle Unterstützung eine Unterscheidung zwischen Wohnkosten und Pflege zu treffen, was evtl. heute schon zur Beantragung von Wohngeld führen könnte, aber davon wird aus bürokratischen und pragmatischen Gründen regelhaft wohl kein Gebrauch gemacht.

Dies kann sich im ambulanten Bereich, also wenn pflegebedürftige Menschen noch in der eigenen Wohnung leben oder in Pflege-Wohngemeinschaften ambulant versorgt werden, freilich anders darstellen. Tatsächlich liegen uns aber keine Zahlen in dieser Kombination vor. Hier ist der Gesetzgeber aufgefordert Abhilfe zu schaffen.

Mit Blick auf den Heizkostenzuschuss II ist jedenfalls absehbar, dass dieser zumindest bei Pflegeheimbewohner*innen nicht ankommen wird. Im ambulanten Bereich ist dies derzeit praktisch kaum einschätzbar.

Die Änderung des § 85 Abs. 7 SGB XI ist zu begrüßen, da sie dazu geeignet und bestimmt sind, den mit den stark gestiegenen Energiekosten belasteten Pflegeeinrichtungen die Nachverhandlung ihrer Vergütungen zu erleichtern. Wir verstehen die Änderung so, dass alle Voraussetzungen für eine Nachverhandlung gegeben sind, wenn sich die Kostenposition Energieaufwendungen erheblich geändert hat, ohne dass es auf das Verhältnis der Kostensteigerung zu den Gesamtkosten ankommt. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn dies klarstellend so in der Gesetzesbegründung aufgenommen würde.

Zudem wäre es zu befürworten, wenn (ggf. in der Gesetzesbegründung) konkretisiert würde, ab wann eine erhebliche Änderung der Energieaufwendungen jedenfalls vorliegt (z. B. ab einer Steigerung um 60% entsprechend einer nun für die Eingliederungshilfe gefundenen Brandburger Landesregelung). Andernfalls wird diese strittige Frage zwischen den Verhandlungspartnern in vielen Fällen zu Schieds- und Gerichtsverfahren führen. Somit werden die jetzt erforderlichen Vergütungserhöhungen erst Jahre später wirksam, zu einem Zeitpunkt, wenn die Pflegeeinrichtungen bereits lange zahlungsunfähig sind und Insolvenz anmelden mussten.

Desweiteren ist zu bedenken, dass sich der Ukraine-Krieg nicht nur in den gestiegenen Energiepreisen, sondern auch in zahlreichen anderen Kostenpositionen der Einrichtungen niederschlägt, so z.B. beim Einkauf von Dienstleistungen wie Wäscherei, Catering etc. ebenso wie beim Einkauf von Waren, wie etwa Medizinprodukten etc. Eine Erweiterung auf weitere Kostenarten und betriebsbedingte Kosten ist daher notwendig.

Schließlich ist zu fragen, ob unter den aktuellen Umständen der Grundsatz der Prospektivität von Verhandlungen und das Verbot von rückwirkenden Ausgleichen seine Berechtigung hat. In Rede stehen massive allgemeine Preissteigerungen, die jede Pflegeeinrichtung kurz- und mittelfristig treffen. Anreize zu einem wirtschaftlicheren Handeln sind hier unangebracht, da die betriebsnotwendigen Mittel, insbesondere Energie und Lebensmittel, derzeit kaum zu günstigeren Preisen am Markt eingekauft werden können. Vergütungen müssen daher nach Auffassung des Paritätischen ausnahmsweise entsprechend der aktuellen Preissteigerungen vollständig und rückwirkend angepasst werden, wenn ein Delta nachgewiesen werden kann.

Wir schlagen daher die Einführung eines neuen § 85 Absatz 7a SGB XI vor:
§ 85 Absatz 7a SGB XI
„Abweichend von § 85 Absatz 7 ist in dem von der Bundesregierung festgestellten Zeitpunkt des Beginns und Endes der Krisensituation die Vergütung auf Nachweis der in diesem Zeitraum gestiegenen Sachkosten, insbesondere für Aufwendungen für Energie und Lebensmitteln einschließlich entsprechender Änderungen in den jeweiligen betriebsbedingten Aufwendungen, vollständig und rückwirkend anzupassen. Die Anpassung ist mit der nächsten Vergütungsverhandlung nach dem von der Bundesregierung festgestellten Ende der Krisensituation zu bereinigen.“

Sollte es bei der im vorliegenden Gesetzesentwurf enthaltenen Variante des § 85 Abs. 7 Satz 2 SGB XI bleiben, schlagen wir vor, die Änderung wie folgt zu ergänzen:

„Unvorhersehbare wesentliche Veränderungen der Annahmen im Sinne des Satz 1 liegen insbesondere bei einer erheblichen Abweichung der tatsächlichen Bewohnerstruktur sowie bei einer erheblichen Änderung der Energieaufwendungen vor, einschließlich entsprechender Änderungen in den einzelnen Kostenpositionen betriebsbedingter Aufwendungen.“

Entsprechende Änderungen in weiteren Gesetzen (SGB VIII, IX, X, XII):

Gesetzliche Vorschriften in der Eingliederungshilfe, der Jugendhilfe, im 10. Kapitel des SGB XII sowie die allgemeine Vorschrift des § 59 Abs. 1 SGB X, die ebenfalls bereichsspezifische Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage enthalten wie § 85 Abs. 7 SGB XI, müssen entsprechend § 85 Abs. 7 SGB XI geändert werden.

Mit den vorgeschlagenen Änderungen des § 85 Abs. 7 SGB XI wird anerkannt, dass viele zugelassene Pflegeeinrichtungen aktuell krisenbedingt mit stark steigenden Aufwendungen für Energie und einem höheren Kostendruck beim Betrieb ihrer Einrichtung konfrontiert sind, der in diesem Ausmaß für alle Beteiligten nicht vorhersehbar war und dass sie schätzungsweise mit einer Verdopplung bis Verdreifachung der Energieaufwendungen im kommenden Jahr rechnen müssen. Ferner wird anerkannt, dass vorgezogene Neuverhandlungen nach § 85 Absatz 7 SGB XI schwierig sind und dies durch eine Konkretisierung der Vorschrift zur Stärkung der Verhandlungsposition der Pflegeeinrichtungen behoben werden soll.

Alle sozialen Einrichtungen, die keine zugelassenen Pflegeeinrichtungen sind, ihre Leistungen aber ebenfalls im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis erbringen und ihre Vergütungen nach anderen Vorschriften verhandeln, sind krisenbedingt jedoch mit den identischen Problemen konfrontiert. Sie sind mit den gleichen nicht vorhergesehenen starken Preissteigerungen für primäre und sekundäre Energieträger (sowie mit weiteren Preissteigerungen für betriebsnotwendige Aufwendungen) belastet und ihr Anspruch auf Nachverhandlung nach den einschlägigen Vorschriften wird von den Kostenträgern großteils kategorisch abgelehnt.

Es sind daher in den einschlägigen Vorschriften über die Möglichkeit der Nachverhandlung die gleichen Konkretisierungen vorzunehmen wie in § 85 Abs. 7 SGB XI. Diese Vorschriften sind:

- für die Jugendhilfe in § 78d Abs. 3 SGB VIII,

- für die Eingliederungshilfe in § 127 Abs. 3 SGB IX,

- für Dienste und Einrichtungen, die über das SGB XII finanziert werden, wie etwa im Bereich der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, in § 77a Abs. 3 SGB XII,

- für alle anderen sozialen entgeltfinanzierten Bereiche, in denen es an einer speziellen Regelung über die Störung der Geschäftsgrundlage fehlt, in § 59 Abs. 1 SGB X.

Die vollständige Stellungnahme findet sich in der Anlage.

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Stellungnahme_Gesetzentwurf_HeizkostenzuschussII (158 KB)
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