a annasegFRANKFURT LIEST EIN BUCH vom 16. bis 29. April, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das Anheimelnde an diesem jährlichen Lesefest ist eben auch, daß es mehrere Eröffnungen gibt. So richtig geht es eben auch erst los, wenn Wolfgang Schopf von der Goethe-Universität, ja, wir sagen nur, von der Uni, seine kleine und ganz feine Wort-Bild-Ausstellung im FENSTER ZUR STADT im Restaurant Margarete wieder einmal mit einer furiosen Wortkaskade eröffnet hat.

Dazu gleich mehr. Denn, obwohl er bestaunenswert die wichtigsten Ereignisse und Personen zusammenfaßte, fehlte etwas Erst einmal ging es darum, das Procedere zu erklären, wie in diesem langgestreckten Raum Sinnliches und Erklärendes an die Wand gepinnt wird. Schopf hat die Lebensstationen der Anna Seghers, so wie sie in Postkarten auf die Nachwelt überkommen sind, mit Zitaten aus ihren Briefen oder sonstigen Belegstellen angereichert, die in schön lesbarer großer Schrift – das betonte der Schöpfer ausdrücklich – auch kleinere Menschentrauben, wie am gestrigen Abend mitlesen lassen können. Die bunten Landkarten tun ein übriges, diese Flucht nachvollziehen zu können.

Wieder war der fast 92jährige Sohn von Anna Seghers Pierre Radvanyi, die wichtigste Person,denn immerhin hat der 1926 Geborene die Flucht aus Deutschland und die Stationen über die Schweiz nach Frankreich und von dort der Versuch der Einreise in die USA, das lange und glückvolle Exil in Mexiko, alles miterlebt. Er traf nach Kriegsende nur eine andere Entscheidung als die Mutter. Für Anna Seghers, übrigens die einzige deutsche Autorin, die ihren Dichgterruhm auf der Flucht im Ausland errang, war es selbstverständlich, als Schriftstellerin deutscher Sprache zu ihrer Muttersprache und dem Vaterland zurückzukehren. Für sie war es aber auch selbstverständlich, 1947 nach Berlin, in die Ostzone, die spätere DDR zurückzukehren, wo sie auf eine gesellschaftliche Umwälzung im Sinne sozialistischer Umgestaltung Deutschlands hoffte. Die Adenauerrepublik war keine Option! Auch beispielsweise nicht für den Europaheimkehrer Thomas Mann, der in die Schweiz ging.

Das muß man Heutigen ausdrücklich sagen, weshalb solche Ausstellungen auch immer welche sind, die das Bild im Kopf von Heranwachsenden zurechtrücken können. Während also Anna Seghers aus dem Exil zurück nach Berlin ging, hatte sich ihr Sohn für die Rückkehr nach Frankreich entschieden. Dazu hat – wie er mündlich erläuterte – eben auch viel beigetragen, daß er dort seine wichtigsten Kindheitsjahre verbrachte, glücklich verbrachte, denn Anna Seghers war es bis zur neuen Flucht, nach der Besetzung von Paris von den Nazis, gelungen, in Meudon in einem Häuschen mit Garten zusammen mit ihrem Mann und den beiden Kindern, die inzwischen verstorbene Tochter hieß Ruth, den Kindern eine glückliche Kindheit möglich zu machen. Das alles, während sie in den Jahren 1938 und 1939 an ihrem Roman DAS SIEBTE KREUZ schrieb.

Die Stationen beginnen in Heidelberg, wo sie studierte, auch promovierte (1924 über JUDE UND JUDENTUM IM WERK REMBRANDTS) und auch ihren späteren Mann, den Ungarn László Radványi kennengelernt hatte, den sie 1926 heiratete, nach Berlin zog, wo sie bis 1933 im Bezirk Wilmersdorf wohnte. Daß sie als Nelly Retting geboren wurde, ist heute genauso wenig interessant wie ihr Ehename Radványi, denn sie ging als anna Seghers in die Literaturgeschichte ein, wobei es schon hintersinnig ist, daß sie diesen Namen wiederum der Kunstgeschichte verdankt und einem Niederländer des Goldenen Zeitalters namens Seghers.

Als der Reichstag brannte, war sie – wie Sohn Pierre schon am Montagvormittag in der Stadtbücherei erzählt hatte – mit ihrem Sohn zu dessen Erholung im Schwarzwald. Von dort fuhr sie schnurstracks nach Berlin, packte und fuhr direkt in die Schweiz. Ihre Mutter, die in Mainz, wo Anna Seghers am 19. November 1900 geboren war (sie starb am 1. Juni 1983 in Ost-Berlin) wohnte und Tochter Ruth zu Besuch hatte, brachte diese nach Straßburg, wo die Mutter sie in Empfang nahm.

Man möchte aus dieser Flucht gleich einen neuen Roman schreiben, oder besser: einen Film machen, so bildhaft sind die Bedingungen dieses Abschieds vom deutschen Vaterland, der immerhin 14 Jahre dauerte. Aber auch die Darstellung durch Wolfgang Schopf ist nicht ohne, denn seine rasante Erklärung der Texte und Bilder ist das Pendant zu Anna Seghers aufregender Flucht. Nur, wenn ein Mitglied der Familie dabei ist, werden solche Unglaublichkeiten verständlich, wie Folgende: Eigentlich wollte Anna Seghers mit Familie in die USA, aber bei der Einreise in New York hatte Tochter Ruth die Augen verdreht, weshalb die Grenzbeamten bei ihr eine Augenkrankheit, bzw. Verrücktsein „diagnostizierten“ und die Einreise verboten.

So war Mexiko die zweite Wahl,die sich aber im Nachhinein als die erste Wahl, auf jeden Fall die bessere Wahl herausstellte. Das liest man in den Briefen, in denen übrigens immer ‚Anna‘ unterschreibt. Wahrscheinlich haben die Eltern – umgebracht von den Nazis – weiterhin Nelly gesagt und von ihrem Mann wurde Nelly-Anna auf Ungarisch Tschibi genannt. Sie fühlte sich wohl in Mexiko, was man den Deutschen fast erklären muß, wenn man das heutige durch Drogen und Politikmißbrauch geschüttelte Mexiko anschaut. Denn in den Dreißiger Jahren war Mexiko ein demokratischer Hort, insbesondere für vom Faschismus Verfolgte.

Mexiko hatte im Spanischen Bürgerkrieg gemeinsam mit Frankreich, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten die Republikaner gegen die Nationalisten unter Francisco Franco unterstützt, die vom Deutschen Reich, Italien und Portugal begünstigt wurden. Auch später zuvor war es allein Mexiko, das am 19. März 1938 den Anschluß Österreichs durch die Nazis mit Protesten begleitete. Bis 1941 war Mexiko im Zweiten Weltkrieg neutral und erklärte erst nach der Versenkung zweier mexikanischer Öltanker durch deutsche U-Boote Deutschland und seinen Verbündeten den Krieg.

Wichtiger aber sind die Dreißigerjahre, die uns heute durch Künstler wie Diego Rivera und seine Frau Frida Kahlo gespiegelt sind. Seit dem 1. Dezember 1934 war Lázaro Cárdenas del Río Präsident Mexikos, das er in ein gerechtes Land mit dem kulturellen Schwerpunkt der Volkskunst gestalten wollte. Vieles gelang ihm, so auch die Verstaatlichung der Ölproduktion. Anna Seghers hat gerade noch die Ausläufe dieser segensreichen Epoche mitbekommen, zu der gehörte, daß europäischen Flüchtlingen, beispielsweise Trotzki, Asyl geboten wurde, was vor allem von Künstlern und Linken wahrgenommen wurde.

Foto:
Mal ein anderes Bild, ein Paßfoto aus unbekanntem Jahr.
Es stammt © von der Uni Potsdam

Info:
Dienstag, 17. April 19 Uhr Haus Margarete

Anna Seghers, Das siebte Kreuz, Roman aus dem Hitlerdeutschland, Aufbau Verlag 2015
Anna Seghers, William Sharp, Das siebte Kreuz, mit den Originalillustrationen von 1942, Aufbau Verlag 2015