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Kategorie: Bücher
c Das siebte Kreuz Titel der deutschsprachigen Ausgabe von 1942FRANKFURT LIEST EIN BUCH vom 16. bis 29. April, Teil 9 - Anna Seghers‘ Roman „Das siebte Kreuz“, Teil 1/5

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die literarische Großveranstaltung „Frankfurt liest ein Buch“ beschäftigt sich in diesem Jahr mit dem Roman „Das siebte Kreuz“, der von seiner Autorin, Anna Seghers, „den toten und lebenden Antifaschisten Deutschlands" gewidmet worden war.

Die Handlung spielt im Herbst des Jahres 1937, als sich das Dritte Reich sichtbar konsolidiert hatte - und Terror und Unterdrückung seit vier Jahren formal legale Elemente des staatlichen Gewaltmonopols waren.

Aus dem Konzentrationslager Westhofen am Rhein sind sieben Häftlinge entkommen. Um die anderen Inhaftierten abzuschrecken und die Wiedereingefangenen zu Tode zu quälen, lässt der Lagerkommandant sieben Kreuze auf dem Appellplatz des KZs errichten. Der Gestapo gelingt es, vier der entflohenen Häftlinge einzufangen; ein anderer stirbt, bevor er sein Heimatdorf erreicht, während sich der sechste freiwillig stellt. Nur einem, Georg Heisler, glückt die Flucht - weil ihm Menschen helfen, die trotz eigener Lebensgefahr ihre demokratische Gesinnung und ihre Bereitschaft zur Solidarität bewahrt haben. So bleibt das siebte Kreuz leer und wird zum Symbol der Hoffnung und des Widerstands.

Wer sich auf Spurensuche begibt und im Rheinhessischen zwischen Worms und Mainz nach einer Ortschaft namens Westhofen sucht, weil dort möglicherweise noch Reste des von Anna Seghers in ihrem Roman „Das siebte Kreuz“ beschriebenen Konzentrationslagers auffindbar sein könnten, wird enttäuscht. Es gibt zwar einen Ort dieses Namens, der ca. 16 KM südöstlich von Alzey liegt und der vor allem durch seinen Weinbau bekannt ist. Aber ein ehemaliges Konzentrationslager sucht man dort vergeblich.

Jedoch befindet sich sechs KM von diesem Dorf entfernt in östlicher Richtung die Kleinstadt Osthofen, die zur Verbandsgemeinde Wonnegau zählt. Und exakt dort gab es vom März 1933 bis zum Juli 1934 ein Konzentrationslager. Anna Seghers hat die Namen der Ortschaften ausgetauscht, aber allein die Beschreibung der Landschaft, z.B. die der Gemüsefelder oder des Morasts am westlichen Rheinufer, lassen keine Zweifel aufkommen. Das seinerzeitige Lager Osthofen ist die reale Grundlage für den Roman, der allerdings im Jahr 1937 spielt, als es dieses KZ bereits seit drei Jahren nicht mehr gab.

Was war geschehen, damit sich in einem Staat ein Unrechtssystem durchsetzen konnte? Blicken wir deswegen kurz auf die historische Entwicklung:

Die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt wurde 1806 von Napoleon zum Großherzogtum Hessen ernannt und in den Rheinbund eingegliedert, was automatisch das Ausscheiden aus dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation bedeutete. Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft wurden ihm vom Wiener Kongress auch Gebiete westlich des Rheins zugeschlagen, die fortan als Rheinhessen bezeichnet wurden, nämlich die Gebiete um Mainz, Alzey und Worms. Das spiegelte sich auch im Namen des Fürstentums wider. Denn es bezeichnete sich nunmehr als „Großherzogtum Hessen und bey Rhein“. Darmstadt blieb weiterhin Regierungssitz.

Am 9. November 1918 setzten Arbeiter- und Soldatenräte den amtierenden Großherzog Ernst Ludwig ab. Damit schlug die Stunde der Republik, die sich Volksstaat Hessen nannte. Dieser bestand ebenso wie das Großherzogtum aus den nicht zusammenhängenden Teilen Oberhessen im Norden, Starkenburg im Süden und Rheinhessen jenseits des Rheins im Westen.

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten, die mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch Reichspräsident Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 einsetzte, machte auch vor dem Volksstaat Hessen nicht halt. Im Gegenteil. Die parlamentarische Demokratie der Weimarer Republik wurde innerhalb weniger Wochen zunächst durch Notverordnungen unterlaufen und dann durch Gesetze ab­geschafft. Formale Grundlage war die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 und schließlich das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933. Die Vorschriften der Reichstagsbrandverordnung lieferten die formale Grundlage für die Einrichtung von Konzentrationslagern.

Zum 1. Mai 1933 ordnete der Staatskommissar für das Polizeiwesen in Hessen, Dr. Werner Best, die Schaffung eines Konzentrationslagers für Hessen in Osthofen bei Worms an. Dort sollten alle jene Einwohner des Landes interniert werden, welche die Polizei aus politischen Gründen verhaftet und bereits länger als eine Woche festgehalten hatte. Tatsächlich bestand dieses Konzentrationslager jedoch bereits seit dem 6. März 1933, und die ersten Häftlinge wurden ebenfalls schon vor der offiziellen Eröffnung eingeliefert.

Mit der Errichtung des einzigen „frühen“ Konzentrationslagers des Volksstaats Hessen hatte Best eines der ersten staatlichen KZs im Reich geschaffen. Gleichzeitig hatte er die Bekämpfung der Gegner des NS-Regimes seiner neu geschaffenen politischen Landespolizei unterstellt. Im Unterschied zu anderen Konzentrationslagern, wie z.B. in Dachau/Bayern, kam es im KZ Osthofen jedoch zu keinen Todesfällen.

Zudem war die Zahl der Schutzhäftlinge in Hessen im Vergleich zu anderen Ländern gering. Insgesamt dürften ca. 3.000 Menschen in Osthofen inhaftiert gewesen sein. Von lediglich etwa 1.600 von ihnen sind die Namen bekannt. 114 waren Juden. Viele wurden zunächst wegen politischer, gegen das NS-Regime gerichteter Aktivitäten verhaftet. Sofern die Festnahmen nicht auf der Basis der so genannten „Reichstagsbrandverordnung“ erfolgten, lauteten die stereotypen Anklagen „Rassenschande“ (verbotene Beziehungen zwischen so genannten Ariern und Juden) und „unsoziales Verhalten“. Im Vergleich zu ihren Mithäftlingen wurden die jüdischen KZ-Insassen besonders schlecht behandelt, häufiger gedemütigt, geschlagen und auf andere Weise misshandelt.

Fortsetzung folgt

Foto:
Das siebte Kreuz. Titel der 1942 in Mexiko erschienenen deutschsprachigen Ausgabe
© Aufbau Verlag