kri 64TOBIAS GOHLIS, Sprecher der Jury der Krimibestenliste wählt alleine aus

Elisabeth Römer

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Seit langem war es üblich, daß die Jury, die jeden Monat die Krimibestenliste veröffentlicht, Ende Dezember die Jahresbestenliste vorlegt. Das ist jedes mal spannend, denn da gibt es im Nachhinein Monate, von denen es sehr viele Kriminalromane auf die Jahresliste geschafft hatten und eben andere, wo keine dabei waren. Darum ist man neugierig, auf welche Auswahl der Besten sich die betreffende Jury geeinigt hat. Aber und daß weiß jeder, der solche Listen erstellt, es sind subjektive Urteile, die nur deshalb überhaupt interessieren, weil man über die Auswahl auch mehr über die Leute erfährt, die 'das Beste' innerhalb der Krimiliteratur festlegen.
 
Dieses Jahr aber gibt es keine gemeinsame Empfehlung der Jury. Wir wissen nicht, warum nicht. Aber der Sprecher der Jury, Tobias Gohlis, den wir schon öfter als Krimipapst titulierten, hat seine eigene Liste mit den zehn besten Kriminalromanen 2018 vorgelegt. Jetzt wird die Auswahl noch persönlicher, zumal er zwei Romane hinzufügt, die bisher nicht auf der Liste standen. Gleichwohl finden wir das ebenfalls eine spannende Sache, welche Autoren für ihn die besten sind. Er hat übrigens ohne Berücksichtigung von Verlagen oder Sprachen oder Männlein oder Weiblein rein die subjetive Auswahl der Krimis, die ihm am besten gefallen haben, getroffen. Das ist übrigens mutig und setzt auch einen besonderen Kenntnisstand der gegenwärtigen Kriminalliteratur voraus. Die Redaktion von Weltexpresso hatte einmal selbst die Empfehlungen der Redaktion sammeln und entscheiden wollen, aber hätten wir uns darauf eingelassen, würden wir noch heute diskutieren.


Hier also die persönliche Auswahl von Tobias Gohlis


1 Hideo Yokoyama: 64
Aus dem Englischen von Sabine Roth und Nikolaus Stingl.
Atrium, 768 Seiten, 28 Euro
„Präfektur D“, 1989, 2002. Vor dreizehn Jahren wurde die siebenjährige Shoko ermordet. Kurz vor der Verjährung soll
der Fall noch aufgeklärt werden. Polizeipressechef Mikami kämpft eingeklemmt zwischen Mordermittlern und Bürokraten
um Wahrheit und Mitleid. Große Klasse. Nobelpreis für Kriminalliteratur!


2 Denise Mina: Blut Salz Wasser
Aus dem Englischen von Zoë Beck.
Ariadne im Argument-Verlag, 368 Seiten, 19 Euro
Glasgow, Helensburgh. Wer nimmt den Drogenhändlern ihre Millionen ab - Police Scotland Police oder Metropolitan
Police? Das ist der Grund, warum DI Alex Morrow die verschwundene Roxanne sucht. Und auf Frauenleichen stößt. Alex
lässt sich nicht beirren, nicht von Bossen, nicht von Gangstern.


3 Aidan Truhen: Fuck You Very Much
Aus dem Englischen von Sven Koch und Andrea Stumpf.
Suhrkamp, 350 Seiten, 14,95 Euro
London. Mit Poltergeist navigiert sich‘s prima: Jack Price liefert gänzlich gefahrlos besten Stoff. Bis er auf der
Abschussliste der übelsten Killer der Welt landet. Price muss die „Seven Demons“ totquatschen oder umbringen.
Irgendwie gelingt ihm beides brillant. Krimi im Wortrausch.


4 Matthias Wittekindt: Die Tankstelle von Courcelles
Edition Nautilus, 252 Seiten, 16,90 Euro
„Courcelles“. Wie setzt sich Schuldgefühl zusammen? Bilder überlappen sich, Phantasien auch. Eine Gruppe von
Jugendlichen wächst heran. Lou wird Zeugin eines Schusswechsels, Philippe stürzt in den Steinbruch. Der junge Gendarm
Ohayon bei seinen ersten Ermittlerschritten. Wittekindt wird immer besser.


5 Lisa McInerney: Glorreiche Ketzereien
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence.
Liebeskind, 448 Seiten, 24 Euro
Cork, Irland. Seniorin Maureen erschlägt einen Einbrecher mit einem Heiligen Stein. Die Leiche muss weg. Wie
überhaupt alles, was den Anschein von Wohlanständigkeit stören konnte. Poetisch, direkt, kalt servierter schwarzer
Humor: endlos die Spirale von gekränkter Ehre, Demütigung und Gewalt.


6 Tom Hillenbrand: Hologrammatica
Kiepenheuer&Witsch, 560 Seiten, 12 Euro
2088. Horror für Identitätsfetischisten. Die überhitzte Erde ist holographisch geschönt, man uploadet sein Hirn in
Klonkörper. Verschwunden: Spitzenprogrammiererin Juliette samt Knowhow. Quästor Singh hinterher. Prima ausgedacht,
schlüssig designt, Zukunft durch Detektivbrille, Philosophie light.


7 Tom Franklin: Krumme Type, krumme Type
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl.
Pulp Master, 416 Seiten, 15,80 Euro
„Chabot“, Mississippi. Alle nennen ihn „Scary Larry“. Hat er wieder, wie vor 25 Jahren, ein Mädchen umgebracht?
Constable Silas, einst eine schwarze Baseballhoffnung, zweifelt. Einen Sommer lang waren die beiden Außenseiter
Freunde. Schweigen, Angst, Rassismus – gelähmte Gesellschaft, tolles Buch.


8 Mike Nicol: Korrupt
Aus dem Englischen von Mechthild Barth.
btb, 510 Seiten, 10 Euro
Kapstadt, „Bambatha“. Südafrika unterm Regime von Plünderern. Killt den Oberst im Exil, handelt mit Mädchen aus
Bangui - Hauptsache, der Präsident macht Reibach. Agentin Vicki Kahn und ihr Lover Fish Pescado unter GeheimdienstHaien und Attentätern: Überleben Glückssache. Nicol ist eine Klasse für sich.


9 Adrian McKinty: Dirty Cops
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Suhrkamp, 392 Seiten, 14,95 Euro
Carrickfergus, 1988. Der Tod lässt ihn leben, weil er ihm so viel Arbeit verschafft. In seinem sechsten Fall wird DI Sean
Duffy, Katholik in britischen Diensten, beinahe von der IRA hingerichtet. Weil er den Mord an einem Drogendealer nicht
auf sich beruhen lassen will. Der Roman steht für eine große Serie, historische Kriminalliteratur vom allerfeinsten.


10 Giorgio Scerbanenco: Die Verratenen
Aus dem Italienischen von Christiane Rhein, Nachwort von Tobias Gohlis
Folio, 256 Seiten, 18 Euro
Mailand Mitte der 1960er Jahre. Der komplexeste der vier Kriminalromane um den zartfühlenden Arzt und späteren
Polizisten Duca Lamberti. Giorgio Scerbanenco ist meine Krimi-Wiederentdeckung des Jahres. Ein Werk der
Nachkriegszeit auf der Kippe ins hedonistische 68, voll moralischer Verzweiflung, Sarkasmus und Ambiguität. Klassiker
wieder lesbar.