t onlineFRANKFURT liest ein Buch, 24. Oktober bis 1. November 2020, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Keine Ahnung, wieviele Artikel das nun werden, aus dem angehäuften lokalen Wissen, was in eineinhalb Stunden der sagenhafte Stadtführer Christian Setzepfandt uns beim Gang AUF DEN SPUREN DER NITRIBITT in Frankfurt ins Ohr flüsterte. Eigentlich redet er laut und sehr verständlich, aber man muß den Eindruck haben, daß in der Innenstadt menschenverachtend nur gebaut und gebuddelt wird,so daß man sein eigenes Wort nicht versteht. Von daher kann man die didaktische Qualität unseres Rosemarieführers bestaunen, der dem Krach etwas entgegensetzt: mit einem DIN A4 Tablet macht er bildliche Anschauung möglich, sowohl Fotografien der bekleideten und unbekleideten Edelhure wie auch ihr tägliches Umfeld in der Stadt.

Treffpunkt war der Brunnen gegenüber dem Frankfurter Hof, wo Rosemarie Nitribitt (angeblich) Hausverbot hatte, auf jeden Fall verbot 1958 das Nobelhotel Dreharbeiten für den Film ROSEMARIE, an dessen Drehbuch Kuby beteiligt war, was er anschließend als Roman im selben Jahr niederschrieb. Keine Drehgenehmigung gab es auch für das gegenüberliegende Juniorhaus – 1951 von Wilhelm Berentzen (1890-1984) erbaut, der auch das abgerissene Rundschauhaus, gegenüber der Wohnung der Nitribitt am Eschenheimer Turm baute und ihr Wohnhaus in der Stiftstraße auc - mit dem Mercedes-Stern auf dem Dach bis heute, wo die damalige Mercedes-Benz Niederlassung die bar bezahlende Nitribitt sehr gerne empfing, als sie, nachdem ihr Opel Kapitän nicht mehr mondän genug schien, einen 190 SL erwarb.

Und dann brachte Christian Setzepfand erst einmal Informationen über ROSEMARIE, die im Roman überhaupt keine Rolle spielen, aber für Heutige unabdingbar zur Einschätzung der Person sind. Sie wurde am 1. Februar 1933 in Düsseldorf geboren und starb vermutlich am 29. Oktober 1957 in ihrer Frankfurter Wohnung. Sie war wie ihre beiden Halbschwestern unehelich geboren, heute ein kaum mehr wesentlicher Begriff, aber in den Fünfziger Jahren noch ein gesellschaftliches Todesurteil – im hessischen, ziemlich katholischen Fulda wurde bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts bei der Erfassung der neuen Referendare nachgefragt: ehelich – unehelich!! Ihre sich prostituierende Mutter kam immer wieder ins Gefängnis, weshalb das Mädchen in Heimen aufwuchs, wo sie immer wieder ausriß, manchmal als schwer erziehbar galt, aber sich auch arrangieren konnte. Sie kam in eine Pflegefamilie nach Niedermendig, die Vulkangegend der Eifel in der Nähe des Laacher Sees, Rheinland Pfalz. Mit elf Jahren wurde sie nachweislich vergewaltigt von einem Nachbarn, was im Ort jeder wußte, was aber nie geahndet wurde. Schon mit 13 Jahren wird sie an französische Soldaten ‚verkauft‘, 1946/47 wird der kälteste Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, die Leute tuen alles mögliche, um zu überleben. Rosemarie reißt nach Koblenz aus, geht dann siebzehnjährig nach Frankfurt, wo sie aufgegriffen und in ein Heim gesteckt wird, wieder ausreißt und schließlich vorzeitig für volljährig erklärt wird, damit die öffentliche Hand nicht für sie aufkommen muß.

Warum Frankfurt am Main? Aus den gleichen Gründen, warum ein kritischer Gesellschaftsjournalist wie Erich Kuby diesen Fall als Film und Buch zur Anklage gegen diese verlogene Wirtschaftswundergesellschaft nutzt. Frankfurt ist Zentrum der amerikanischen Zone, die erst einmal im IG-Farbenhaus das schon vor dem Kriegseintritt der USA geplante europäische Headquarter einrichtet. Frankfurt wird Sitz verschiedener Aufbaubanken, Wirtschafts- und andere gesellschaftlichen Verbände siedeln sich an. Insbesondere Letzteres wird durch die fast ausschließlich von Männern besuchten Tagungen und Sitzungen für das Wachsen der Prostitution verantwortlich. Frankfurt wird Wirtschaftszentrum und gilt lange als zukünftige Hauptstadt des sich konstituierenden Westdeutschlands mit rasantem Wirtschaftsaufschwung. In Frankfurt, dessen Innenstadt im Krieg zu über 90 Prozent zerstört war, setzt eine enorme Aufbauleistung ein, noch mehr Geld strömt in die Stadt, noch wichtigere Leute kommen, wobei die Präsenz von Tausenden von meist hochrangigen amerikanischen Soldaten wichtig bleibt.

In diesem aufblühende Babylon sucht Rosemarie Nitribitt ihren Platz. Sie wird geradezu zum Symbol für den Wiederaufstieg Deutschlands aus Ruinen durch Fleiß und Umerziehung ihrer eigenen Person zu einer Edelnutte. Aber diese Rolle muß sie erst finden, erst einmal fängt sie klein an, mit Zuhälter und allem, was dazugehört. Witzig,daß ausgerechnet Bill Ramsey, der hierzulande sehr bekannte Jazzsänger und Schlagerstar, der als amerikanischer Soldat kam,dann aber blieb, einer ihrer Mitbewohner in einer Wohnung im Westend wurde und – wie Christian Setzepfandt erzählt – sie nicht mochte, weil sie selbstsüchtig zu lange das Badezimmer nutzte, zu lange und zu oft das Telefon frequentierte, sich im Kühlschrank nicht auf ihre Lebensmittel beschränkte, überhaupt zum Eigentum ein eigennütziges Verhältnis hatte.

Wir stehen die ganze Zeit in der Kaiserstraße gegenüber dem prächtigen Bau, den einst ein Frankfurter Kunstmäzen für sein Museum ausbauen wollte, doch der Preis, nämlich eine der Villen am Museumsufer, das allein für Museumsnutzung per Satzung vorgesehen war, rechtswidrig in Privathand zu übergeben, war dem Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann zu hoch, so daß er auch nach Ende seiner Amtszeit, als Felix Semmelroth seine Arbeit weiterführte, kräftig öffentlich einschritt, so daß die längst mit der CDU ausgehandelten Pläne ad acta gelegt werden mußten. In diesem Haus also war auch eines der edlen Geschäfte, in denen die Prostituierte Nitribitt genauso einkaufte, sich die Haare blondieren und ondulieren ließ, ihre Garderobe bei den Kostümschneidereien der Stadt machen ließ, insbesondere, das wird unser Stadtführer an anderer Stelle weitergeben, frönt sie ihrer Schuhleidenschaft, 60 Paar kommen so zusammen. Das Wichtige ist, daß es dieselben Luxusgeschäfte sind, in denen die Frauen ihrer Kunden einkaufen. Wirklich frech. So was muß geahndet werden.

Im vornehmen Erdgeschoß des Hauses, vor dem wir immer noch stehen, und das vom Architekten Paul Wallot stammt, der aus der Pfalz kommend auch den Berliner Reichstag erbaute, residierte 1957 ein Juwelier namens Robert Koch, in dessen elegantem Geschäft sich Rosemarie Nitribitt drei Wochen vor ihrem Tod einen Diamanten bestellte für den damals sagenhaften Preis von 30 000 Deutscher Mark. Ihn abzuholen, verhinderte ihr Tod. 30 000 DM, eine ungeheuere Summe, für sie ein Drittel ihres hohen Jahreseinkommens, für einen herkömmlichen Arbeiter, der monatlich im Schnitt 195 DM verdiente (in den 60er Jahren wurden 590 DM daraus) unerschwinglich.

Was sie mit diesem Diamanten wollte, bleibt eines der Rätsel. Wollte sie ihn als Schmuckstück tragen, provokativ in der besseren Gesellschaft, in der sie in den Hinterzimmern die Herren empfing, aber sich gerne in der Öffentlichkeit zeigte. Oder war es eine Geldanlage? Im Roman hat sie mit Hartog (im Film verkörpert von Carl Raddatz, in Wirklichkeit soll das der Kruppsohn Harald von Bohlen und Halbach sein) einen Förderer, der sie mit 18 000 DM abfindet, womit sie auf einen Schlag den Mercedes kauft.

Die Kaiserstraße war einst die Einkaufsstraße der Stadt, wo die besseren Läden und die besseren Kunden zu Hause waren. Aber in der Nachkriegszeit verslumte die einstige Prachtstraße und es kam zu einer Koinzidenz von Luxus und Elend, was sich später im Straßenstrich und Drogendschungel äußerte. Wir stehen noch immer hier, sind aber trotz gewaltiger Vorkenntnisse um vieles schlauer geworden. Es macht Spaß, so in der Geschichte Frankfurts zu wühlen, Namen (u.a. Toni Schießer) und Orte wiederauftauchen zu

sehen, auch wenn der Anlaß ein trauriger ist. Ein Mensch ist ums Leben gekommen, ist ermordet worden und bis heute ist der Mörder – oder die Mörder - nicht entdeckt, der Fall nicht aufgeklärt. Welche kaum glaublichen Unterlassungen der Polizei passieren, regelrechte schwere Ermittlungsfehler, bei denen man gut eine Absicht konstruieren kann, den Mörder mit Absicht nicht zu finden, wird in der Fortsetzung eine Rolle spielen. Eine solche Interpretation liegt in der Luft, weil man sich solche absichtslosen Dämlichkeiten einfach nicht vorstellen kann.

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:
©t-online.de

Info;
Erich Kuby, Rosemarie, Schöffling &Co, 2020

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Das so übersichtlich gestaltete Heft zu FRANKFURT LIEST EIN BUCH,  2020 also ROSEMARIE, gilt zwar grundsätzlich, aber auf der Webseite finden Sie dann, welche Veranstaltungen schon besetzt sind, welche noch frei und vor allem, welche leider ausfallen müssen.