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Kategorie: Bücher
toko neue stadtSerie: DIE KRIMIBESTENLISTE im MAI 2021,  Teil 1

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Daß David Peace mit dem Abschluß seiner TOKIO-Trilogie gleich den ersten Platz erringt, zeigt Zweierlei: wie gut das Buch sein muß und wie entlastend es ist, daß es da ist, weil man seit elf Jahren darauf gewartet hat. Dazu gleich mehr. Zwar sind uns alle zehn Bücher der Krimibestenliste wichtig, aber die Reihenfolge ist natürlich zusätzlich aussagekräftig, voe allem, wenn sie aus dem Nichts erfolgt. Die ersten vier Plätze besetzen zwei neue  und zwei 'alte' Krimis, die im April neu auf die Liste kamen und nun vorrutschten.


Das ist auf Platz 2 Simone Buchholz mit RIVER CLYDE, bei Suhrkamp, was in WELTEXPRESSO schon besprochen wurde, vgl. Links unten. Der Roman ist vom vormonatlichen 8. Rang auf den 2. hochgeklettert. Dann folgt auf Platz 3 neu NUR DIE TIERE von Colin Niel, wo wir erst einmal froh sind, daß ein französischer Krimi wieder dabei ist. Das, was man den Zuschreibungen entnehmen kann, macht auf eine spezielle Aufarbeitung des für Frankreich besonders brisanten Kolonialismus aufmerksam. Was das mit den Tieren zu tun hat, dem werden wir bei der Besprechung nachgehen. Auf jeden Fall gefällt einem auf Anhieb, daß man einen neuen Namen, einen neuen Krimischriftsteller kennenlernt.
Auf Platz 4 ist Matthias Wittekindts VOR GERICHT - EIN ALGER FALL VON KRIMINALDRIEKTOR a.D. MANZ, aus dem Kampa Verlag, runtergerutscht, nachdem er im April direkt auf dem dritten Rang eingestiefen war. Wir haben ihn schon gelesen, finden diesen Fall aufregend und werden ihn bald vorstellen.

Unter den übrigen sechs Krimis sind zwei der aufsehenerregendsten Romane der letzten Monate mit völlig gegensätzlichen Inhalten. Merle Kröger bringt mit DIE EXPERTEN aus dem Suhrkamp Verlag eine geschichtliche Erinnerung an das Nachkriegsdeutschland, wo Altnazi einerseits das Gestern politisch wiederbeleben wollen und deren Steigbügelhalter und technische Experten, die nicht nach Rußland, in die USA oder Südamerika geholt worden waren, von Nasser für Ägypten angeworben wurden. Deren Geschichte dort ist Inhalt dieses Buches, das ebenfalls schon sehr ausführlich besprochen worden ist und bei seinem Einstand im März wie diesmal David Peace, direkt auf Platz 1 einstieg und im Mai auf siebten Rang steht. Das Gleiche gilt für GESTAPELTE FRAUEN von Patrícia Melo, Unionsverlag, jetzt auf Platz 9, ein wunderbares Buch, das im März nau auf Platz 3 plaziert wurde. S.A. Cosby hat sich mit BLACKTOP WASTELAND auf Platz 5 eingerichtet, nachdem er im April auf Platz 2 neu herauskam.

Neu ist TOTE OHNE NAMEN  von Louisa Luna, wo der Suhrkamp Verlag einen weiteren, den dritten Krimi unter den zehn besten auf Rang 6 plazieren konnte, was schon eine Auszeichnung ist. Wir können über die Kurzfassung in der Liste hinaus noch nichts dazu sagen, denn es bleibt die Crux, daß auch für uns die Liste neu ist und man sich erst die Bücher besorgen muß, um sie besprechen zu können. Darum zeigen wir auch unseren Stolz, wenn es uns einmal gelingt, zu den Neuen auf der neuen Liste schon Rezensionen vorliegen zu haben. Bei der unglaublichen Dichte von Neuerscheinungen von Krimis ist das einfach schwierig. Neu ist auch Kate Atkinson WEITER HIMMEL, erschienen bei DuMont, eine bewährte Kriminalromanautorin, auf deren neuen Krimi, auf Platz 10, wir uns schon freuen.

Bleibt DER HEILIGE KING KONG von James McBride, bei btb, neu im April auf Platz 19, nun auf dem achten Rang. Das ist ein ganz besonderes Stück Literatur, das nur der genießen kann, der sich darauf einläßt. Ein geradezu poetischer Roman, der tief in die abgedriftete und gleichermaßen humane Welt einer abgeschriebenen Gesellschaft eindringt.

Vier Krimis sind ausgeschieden, ihnen gilt die Fortsetzung, wo bei drei schon besprochen hatten und den einen noch vorstellen wollen. 

FORTSETZUNG FOLGT 


DIE KRIMIBESTENLISTE IM MAI 2021


1 (-) David Peace: „Tokio, neue Stadt“
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Liebeskind, München 2021
432 Seiten, 24 Euro
Tokio 1949, 1964, 1988. Rätsel bis heute: Wie kam Shimoyama, Präsident der Nationalen Eisenbahngesellschaft, unter den Zug? Sie zerbrechen daran: Spione, Detektive, Schriftsteller. Neu sind nur die Machtverhältnisse. Alt ist die Macht, undurchschaubar. Sprachgewaltig, Totenklage aus dem Diesseits.


2 (8) Simone Buchholz: „River Clyde“
Suhrkamp, Berlin 2021
230 Seiten, 15,95 Euro
Hamburg, Glasgow. Disruption allerorten. Chastity nimmt bei ihren schottischen Ahnen eine Auszeit von der Strafjustiz, ihre verlassenen Kumpels von der Polizei reden sich mit Vornamen an und üben Achtsamkeit in der „Blauen Nacht“. Trauer. Hamburger Immobilienhaie sind dagegen winzige Fischlein.


3 (-) Colin Niel: „Nur die Tiere“
Aus dem Französischen von Anne Thomas
Lenos, Basel 2021
286 Seiten, 22 Euro
Massif Central, Côte d‘Ivoire. Verschwunden: die freizügige Frau eines wohlhabenden Mannes. Ein Schafzüchter findet zeitweilig bei ihr großes Glück. Der Mörder ist verknallt in die Fiktion einer Geliebten. Ein armer Mann macht Euros im Netz. Globalisierung: Sehnsucht ist Einsamkeit. Noir vom Land.


4 (3) Matthias Wittekindt: „Vor Gericht“
Kampa, Zürich 2021
318 Seiten, 19,90 Euro
Dresden, Berlin. Kriminaldirektor a. D. Manz ist recht zufrieden mit sich und seinem Ruhestand, bis er noch einmal zu einem 30 Jahre zurückliegenden Fall aussagen soll. Ein Revisionsverfahren: Fast alles, was Manz für sicher und fest gehalten hatte, beginnt zu bröckeln. Seine Ehe, der Fall, die Gewissheit.


5 (2) S. A. Cosby: „Blacktop Wasteland“
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Ars Vivendi, Cadolzburg 2021
320 Seiten, 22 Euro
Virginia: Schulden, Arztrechnungen, Billigkonkurrenz – Beauregard Montages Perspektiven verengen sich. Dabei will er nur gut zu Frau und Kindern sein und Duster fahren. Als schnelles Geld winkt, fackelt er nicht lange, hat aber seine Rechnung ohne die Partner gemacht. Letzter Ausweg: Gewalt.


6 (-) Louisa Luna: „Tote ohne Namen“
Aus dem Englischen von Andrea O‘Brien
Suhrkamp, Berlin 2021
444 Seiten, 15,95 Euro
Louisa Luna: „Tote ohne Namen“ (Deutschlandradio / Suhrkamp)n Diego. Zwei blutjunge Latinas aufgeschlitzt. Das Police Department engagiert Alice Vega samt Partner, nicht zur reinen Freude der Kollegen von der DEA. Die wollen die Tunnel aus Mexiko selbst kontrollieren, durch die die Mädchen kommen. Im Showdown tut sich Unerwartetes auf.


7 (1) Merle Kröger: „Die Experten“
Suhrkamp, Berlin 2021
688 Seiten, 20 Euro
Kairo in den1960er-Jahren: Rita Hellberg, 17, ist mit ihrem Vater, einem Flugzeugingenieur bei Hitler und nun auch beim ägyptischen Präsidenten Nasser, und ihrer neurotischen Mutter unter die „Experten“ geraten, einer Gruppe von Ingenieuren und Wissenschaftlern, die für Ägypten Raketen und Flugzeuge bauen soll. Erste Liebe, Orient, Nazis, Anschläge, im Hintergrund die BRD und Israel. Geschichte stört Gegenwart.



8 (10) James McBride: „Der heilige King Kong“
Aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence
btb, München 2021
448 Seiten, 22 Euro
Brooklyn 1969: Diakon Cuffy, den alle nur Sportcoat nennen, ist ein Kind Gottes, ein versoffenes. Seit Jahren nährt er sich von selbstgebranntem „King Kong“, überlebt alles, und schießt auf den 19-jährigen Dealer Deems, natürlich vorbei. Das löst allerhand aus, vor allem das wundersame Fabulieren McBrides.



9 (6) Patrícia Melo: „Gestapelte Frauen“
Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita
Unionsverlag, Zürich 2021
252 Seiten, 22 Euro
Acre, West-Brasilien. Femicídio. Die namenlose Icherzählerin, Anwältin, erforscht die Urteilsfindung über Frauenmorde: zu viele, gestapelt in ihrem Notizbuch. Eine 14-jährige Indigene wird von drei Upperclass-Jungs vergewaltigt und zerstückelt. Mordermittlung, gellende Anklage, Rachefantasie. Femizid.
 

10 (-) „Kate Atkinson: Weiter Himmel“
Aus dem Englischen von Anette Gruber
Dumont, Köln 2021
476 Seiten, 24 Euro
Yorkshire, Küste. Vier Golffreunde, drei davon Gentlemen mit Vergangenheit und üblen Geschäften. Dazu die Frauen: Mitwisserinnen, Aufgestiegene, brave Mütter – nordenglischer Mittelstand und seine Finsternisse. Dazwischen – immer noch clever – Privatdetektiv Jackson Brodie, leiser Held großer Romane.



Die Krimibestenliste, wo kann man sie lesen, wer erstellt sie, wo wird sie veröffentlicht?

WO? außerhalb von WELTEXPRESSO?
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de

Die Krimibestenliste erscheint  nicht mehr am ersten Sonntag des Monats in der Printausgabe: www.faz.net !!! Die zukünftigen Krimibestenlisten  2021 sind allerdings noch nicht einmal  online  für die FAS verfügbar. In der Vergangenheit veröffentlichte die FAS, die Sonntagszeitung der FAZ, an jedem ersten Sonntag im Monat die jeweilige Liste im Feuilletonteil. Noch einmal im Klartext: Leider gibt es die Liste ab 2021  noch nicht einmal  im FAZ-Internet. Ob die FAZ und FAS wissen, welche Einbuße sie damit bei Krimilesern erfahren? Da muß man froh sein, daß der Deutschlandfunk Kultur die Kriminalromane als anspruchsvolles Genre noch nicht aufgegeben hat, sondern weiterhin jeden ersten Freitag im Monat die neue Liste bringt, die wir sobald wir können, nachveröffentlichen.

An jedem ersten Freitag des Monats geben also 18 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste war zuvor eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen mit Deutschlandfunk Kultur, der Sender, der nun die Krimibestenliste alleine veröffentlicht und trägt. Das wäre schon für die Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt ein wichtiges Argument, den Rundfunkgebühren zuzustimmen.

Die Jury:

Tobias Gohlis, Sprecher der Jury
Volker Albers, „Hamburger Abendblatt“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, ARD
Gunter Blank, „Rolling Stone“
Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“
Hanspeter Eggenberger, „Tages-Anzeiger“
Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“
Sonja Hartl, „Zeilenkino“, „Crimemag“, „Deutschlandfunk Kultur“
Hannes Hintermeier, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“
Alf Mayer, „CulturMag“, „Strandgut“
Kolja Mensing, „Deutschlandfunk Kultur“
Marcus Müntefering, „Der Spiegel“
Ulrich Noller, „Deutschlandfunk Kultur“, „Deutschlandfunk“, „SWR“, „WDR“
Frank Rumpel, „SWR“
Ingeborg Sperl, „Der Standard“
Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“
Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“

Wie funktioniert die Abstimmung?

Die Krimibestenliste wird im Auftrag von Deutschlandfunk Kultur durch eine Jury aus Kritikerinnen und Kritikern erstellt.
Es sind die obigen 19 Spezialistinnen und Spezialisten für Kriminalliteratur aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die aus der laufenden Produktion monatlich jeweils vier Titel vorschlagen, die sie mit sieben, fünf, drei oder einem Punkt bewerten.
Der so gefundene Punktwert pro Titel wird mit der Zahl der für ihn abgegebenen Stimmen multipliziert. Daraus wird die monatliche Liste berechnet.
Jedes Jurymitglied darf insgesamt drei Mal für denselben Titel votieren. Voten für Titel, an deren Entstehung oder Vorbereitung man beteiligt war, sind verboten.
Die Titel dürfen nicht älter als zwölf Monate und keine Wiederauflagen, Sammelbände oder Anthologien sein. Unterschiede zwischen Hardcover, Paperback und Taschenbuch werden nicht gemacht.
Im Durchschnitt kommen fünf Titel neu auf die monatliche Liste. Die Ziffer in Klammern gibt den Rang des Vormonats an.

Foto:
Cover

Info:
alte Besprechungen in den Rezensionen der Vormonate

Besprechungen der Krimibestenliste in WELTEXPRESSO im Februar 2021
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21208-tim-macgabhanns-der-erste-tote-von-suhrkamp-auf-platz-1
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21211-tim-macgabhanns-der-erste-tote-von-suhrkamp-auf-platz-2
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21226-dark-von-candice-fox-aus-dem-suhrkamp-verlag-auf-platz-7
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21248-westwind-von-samantha-harvey-im-atrium-verlag-auf-platz-3
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21249-boeses-blut-von-robert-galbraith-verlag-blanvalet-auf-dem-achten-rang
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21280-der-tschechische-thriller-die-residentur-trotz-qualitaet-und-aktualitaet-herausgefallen
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21256-das-grosse-aufraeumen-von-david-wish-wilson-suhrkamp-auf-platz


Besprechungen der Krimibestenliste in WELTEXPRESSO im März 2021
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21466-die-experten-von-merle-kroeger-bei-suhrkamp-auf-platz-1
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21465-mim-visier-des-snipers-von-stephen-hunter-festa-verlag-leider-verschwunden
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21464-verweigerung-von-graham-moore-eichborn-verlag-auf-platz-6
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21483-speziell-zum-weltfrauentag-gestapelte-frauen-von-patricia-melo-auf-platz-3


Besprechungen der Krimibestenliste in WELTEXPRESSO im April 2021
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21737-unter-den-auf-der-liste-verschwundenen-auch-der-solist-von-jan-seghers
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21748-frederick-forsyth-die-akte-odessa-piper-verlag
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21764-merle-kroegers-die-experten-weiterhin-auf-platz-1
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21801-die-sechs-neuen-krimis-auf-der-liste
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21802-tom-hillenbrand-montecrypto-bei-kiwi-neu-auf-platz-4
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21825-simone-buchholz-mit-river-clyde-auf-platz
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21839-die-zwei-schwestern-von-chan-ho-kei-auf-platz-9
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21851-blacktop-wasteland-von-s-a-cosby-auf-platz