dreiRichard David Precht und Harald Welzer am Buchmessenstand der ZEIT, Teil 1/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eigentlich wollte ich am Donnerstag, 20. Oktober in Halle 3.1 der Frankfurter Buchmesse an einen anderen Stand. Aber die riesige Menschentraube vor E 53 (Foto unten)  ließ mich nicht durch. Das interessiert natürlich, woher so viele Menschen an einem Fachbesuchertag kommen, die doch an ihren Verlagen oder beim Geschäftemachen gebunden sind. Das können doch nicht lauter Journalisten sein, von denen es diesmal 6 000 gegeben haben soll. Nein, waren es auch nicht, obwohl das Buch, um das es ging, genau für sie geschrieben wurde.

publikumDa die Letzten immer wieder die Ersten sind, beförderte mich die Welle von hinten ganz nach vorn, weshalb ich einen halben Meter hinter Precht zu sitzen kann und später für’s Foto den Moment aussuchte, wo er sich zur Seite drehte, um beweisen zu können, daß Harald Welzer nicht alleine argumentierte, der souverän alle Versuche des Moderators Alexander Cammann verbal zurückschlug, deshalb viele Lacher im Publikum hatte. Starker Auftritt, aber das Wichtigste ist, daß Pendant Precht ebenso dagegenhielt, wenngleich sehr viel empfindlicher, gefühlsbetonter, was man verstehen kann, wenn man die öffentliche Debatte über ihr Buch DIE VIERTE GEWALT kennt. Unsereiner, der ja mitgemeint ist, konnte da nur sagen: Wie gut, daß beide dies Sachbuch zusammen geschrieben und veröffentlicht haben, denn so verteilen sich die heftigen Dawiderreden auf vier Schultern. Gut so.

Tatsächlich, wenn man die fürsorgliche Art von Moderatoren bei Schriftstellern gewohnt ist, wo sie sanft in deren Inneres eindringen wollen und auf Preisgaben hoffen, was der Text mit ihnen selbst zu tun habe, dann wird hier wortreich mit härteren Bandagen gekämpft. Gut so, denn Welzer und Precht haben nichts zu verstecken, sondern fördern durch knallharte Diskussionen im Umkehrschluß das Interesse an ihrem Buch und der Aussage einer Infragestellung der gegenwärtigen fehlenden veröffentlichten Meinungspluralität zugunsten einer Einheitsmeinung der Print- und digitalen Medien sowie des TV. Deshalb konnten beide auch auf die süffisante Frage des Moderators, wie es Ihnen gehe, nachdem ihr Buch auf Platz 1 der Verkaufszahlen stehe, präzise antworten, daß sie gewohnt sind, Prügel einzustecken und keinen Anlaß haben, ihr Buch zu bereuen, auch noch nicht beim Paartherapeuthen hätten vorsprechen müssen, aber schon einmal sagen wollen, ein bißchen souveräner hätten die Kritiken schon sein dürfen, die sich jetzt drei Wochen austobten, wobei gerade jetzt die Kritik anfinge, differenzierter zu argumentieren.

Ob man den tatsächlich von einer Vierten Gewalt sprechen könne, war eine der Fragen, denn das Grundgesetz spricht ja in der Gewaltenteilung von drei Gewalten. Dies ist inzwischen nicht nur ein allgemein akzeptierter Begriff für die heutige Meinungsmacht der Medien, sondern hat sich ja positiv aus ihrer Kontrollfunktion in Westdeutschland entwickelt: Adenauer, Spiegelaffäre, Strauss etc. Den Unterschied zur kontrollierenden Gewalt sehen beide in der Dauererregung der Medien, die nicht mehr nur berichtet oder Politik kommentiert, sondern durch ihre Berichterstattung selber Politik macht. Die Zeitungen und das Fernsehen sind so zum Antreiber der Dauererregung geworden, ein Schwein wird nach dem anderen durch’s Dorf gejagt.

Was sich verändert hat, war eine weitere Frage. Dies könne man nur mit der fehlenden Kritik am System beantworten. Früher haben Medien eine Selbstreflexion geleistet, aber Medienkritik kommt nicht mehr vor, stattdessen erfolge eine Erregungsbewirtschaftung, deren Kern in der Personalisierung bestehe, wobei der Kontext gelöscht werde. Man benutzt Personen, um eine eigene Haltung auszudrücken, Inhalte spielten keine Rolle.

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Redaktion

Info:
Stand der ZEIT auf der Buchmesse an Donnerstag, 20. Oktober, 13 Uhr, Richard David Precht "Die vierte Gewalt" Moderartion Alexander Cammann