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Kategorie: Bücher

Iain Levisons Roman HOFFNUNG IST GIFT aus dem Deuticke Verlag

 

Felicitas Schubert

 

Hamburg (Weltexpresso) – Was ist gefährlicher: Taxi zu fahren oder Taxi zu fahren, also Fahrer zu sein oder Fahrgast? Meist leben die Taxifahrer gefährlich, weil Ihnen potentiell von ihren Kunden Gefahr droht. Daß aber ein Taxifahrer, weil er auch noch ein netter Mensch ist, außerhalb seines Taxis von einem Fahrgast der Hochsicherheitstrakt und das Urteil „lebenslänglich“ verpaßt wird, obwohl er total unschuldig ist, das geht unter die Haut.

 

Wir sind auf diesen Roman gekommen, weil er aus dem Stand auf die monatliche KrimiBestenListe der ZEIT gelangt ist, auf Platz 7. Beim Lesen wurden wir hin und her geschüttelt, zum einen ist der Vorgang – so denkt man – ungeheuerlich und kann gar nicht wahr sein, zum anderen sind die Reaktionen des Opfers, also dessen, der unschuldig in die Maschinerie von Strafverfolgung gerät, zunehmend so stoisch, daß er sich selbst wohl schon der Verbrechen zeiht, deren er angeklagt ist.

Konkret: Kindesentführung, Mißbrauch und Mord. Und das kam so.

 

Taxifahrer Jeff Sutton aus Dallas, der am Flughafen auf Fahrgäste wartet, hat Glück. Eine elegante und wohlerzogene Dame will ins Villenviertel Westboro. „Ja, kenn ich“, sagt er und denkt: „Da könnten an die sechzig Dollar rausspringen“, denn meist wollen die Geschäftsreisenden nur in die nahen Stadthotels. Angekommen, hat sie nicht genug bares Geld bei sich und bittet den Fahrer zu warten. Der muß schon seit Stunden auf die Toilette, fragt nach und darf ins Haus. Das war es dann. Wäre das nicht passiert, wäre der Roman nicht geschrieben worden, den Krimi zu nennen, man sich fast geniert, denn der Icherzähler, der Taxifahrer und unschuldige angebliche Mörder, Entführer und Vergewaltiger erzählt lakonisch der Reihe nach, was passierte.

 

Im feinen Haus muß er nämlich erst einmal lange auf dessen Dame warten, die oben Geld holen wollte und die er dauernd telefonieren hört. Er sieht sich die Fenster an, denn da ist er Spezialist, hat er doch bis vor elf Jahren in einer Fensterfirma Fenster eingebaut. Auch hier sagt ihm der erste Blick, wer der Hersteller ist, er öffnet das Fenster und schließt es. Erneut: das war es dann. Denn Stunden später wird er verhaftet und angeklagt, weil die pubertäre Tochter seiner Fahrkundin verschwunden ist. Das einzige „Indiz“, das wird das ganze Verfolgungsjahr und anschließenden Prozeß so bleiben, ist sein Fingerabdruck auf der Fensterbank.

 

Verfasser Iain Levison, 1963 in Schottland geboren, lebt sei seinem 9. Lebensjahr in den USA, hat dort auch studiert, verschiedene Jobs ausprobiert und erfolgreich Bücher geschrieben. HOFFNUNG IST GIFT ist keine Fiktion, sondern beruht auf einem echten Justizirrtum in den USA. Allerdings ist der angebliche Mörder noch im Gefängnis an einer Gehirnblutung gestorben, ehe seine Unschuld erwiesen wurde. Diesem Richard Ricci widmet Levison sein Buch und damit all den von 1989 bis zum Februar 2012 erfaßten 901 Menschen, die in den Vereinigten Staaten unschuldig zum Tode verurteilt wurden. Die Dunkelziffer ist weit höher, denn diese 901 sind diejenigen Verurteilten, bei denen sich im Nachhinein die Unschuld herausgestellt hat. In Worten: neunhundertundeins. Das mag man nicht glauben, ist aber so.

 

Die literarische Figur Jeff Sutton darf überleben, wobei das erst einmal rein biologisch gemeint ist, denn wie sich die Anschuldigung, das Eingeschlossensein unter Schwerverbrechern, der Prozeß selbst auf das Verhalten des unschuldigen Delinquenten auswirken, das beschreibt Levison an vielen kleinen Details, wenn er nach der Freilassung beispielsweise nicht glauben kann, daß sich die Hoteltüren tatsächlich von ihm öffnen lassen. Sehr plausibel liefert der Autor eine psychologische Studie über Traumata, die sich durch äußeres Eingesperrtsein im Menschen auch innerlich verfestigen. Erst recht, wenn er selber der einzige ist, der von seiner Unschuld weiß. Wenigstens am Anfang, denn dieses Buch ist auch deshalb so bestürzend, wenn wir mitverfolgen, wie der Unschuldige an sich selbst irre zu werden beginnt, wo doch seine Umwelt ihm lückenlos beweist, daß er der Täter ist.

 

Warum wir so atemlos weiterlesen – und das haben wir trotz oder gerade wegen des gemächlichen und immer wieder redundanten Erzählertons getan – hat mit der fehlenden Weinerlichkeit zu tun, die man ja sogar verstehen könnte, dem lakonischen Ton des sich Einfindens in die Gegebenheiten. Das hat uns nachgerade wütend gemacht, daß sich der Erzähler nicht stärker gegen die Falschaussagen von Polizei und Opfermutter gewehrt hat und eben vor allem gegen die Anschuldigung, das Weggeschlossenwerden und das Lebenslänglich des Prozesses.

 

In dieser Spannung liegt die literarische Qualität des Romans. Die politische liegt in den Ungeheuerlichkeiten, daß es der Polizei und Staatsanwaltschaft in den USA möglich ist, nicht nur einseitig zu ermitteln, sondern alle Beweise für die Unschuld des Taxifahrers unter den Tisch fallen zu lassen und ihnen einfach nicht nachzugehen. Wie diese Beweise den geldgierigen Anwälten, die nun ihren Anteil vom wahrscheinlichen Schadensersatzprozeßurteil schon einberechnen, auf Anhieb gelingen, zeigt erst die volle Tragweite von Schlamperei und Böswilligkeit der ermittelnden Beamten. Hauptsache, es ist jemand eingesperrt und das Geschehen aus der Öffentlichkeit eliminiert.

 

Man hofft zwar, daß so etwas in Deutschland nicht möglich ist, denkt aber gleichzeitig auch an das Gegenteil, daß in der rechten Szene Gewalttaten geschehen konnten, ohne daß ermittelt wurde. Das Buch wirkt also in zweierlei Richtungen im Leser: saubere Ermittlungen, Anklagen und jegliche Intensität in die Beweisführung sowohl von Schuld, wie auch von Alibi und Entlastung. Dies Buch läßt einen so schnell nicht los. Weil es wütend macht. Nachdenklich auch.

 

P.S. Ach so, daß Mädchen wurde unmittelbar nach dem Urteil bei Ihrem wirklichen Entführer lebend gefunden. Diesen Mann hatte ein anderer Polizist, aus einem anderen Distrikt, schon lange beschuldigt, was die Polizei im feinen Westboro nicht interessierte. Dies kommt strafverschärfend zur dotigen Polizeiarbeit noch hinzu.

 

Iain Levison, Hoffnung ist Gift. Roman. Aus dem Englischen von Walter Goidinger, Deuticke Verlag Wien 2012