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Kategorie: Heimspiel

Die offizielle Verabschiedung der 17 Jahre tätigen Oberbürgermeisterin Petra Roth in der Frankfurter Paulskirche

 

Helga Faber

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ja, stimmt, in Frankfurt gehen die Uhren anders. Denn der Dienst der aus eigenem Wunsch um ein Jahr verkürzten Amtszeit der 68jährigen Petra Roth geht noch bis Ende Juni, aber heute am Montag, 11. Juni, findet in der Paulskirche ihre feierliche Verabschiedung statt. Von wem? Von den politischen Größen und dem, was hier Stadtgesellschaft heißt.

 

Eigentlich ist der stehende Applaus der rund 900 Ehrengäste, deren politische Spitze Bundeskanzlerin Angela Merkel und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier bilden und dessen kultureller Leuchtturm der 85jährige Komponist und Dirigent Michael Gielen ist, eigentlich ist der stehende Applaus einerseits und die vor der Paulskirche protestierenden – von der Polizei auf über 450 eingeschätzten und von den Protestlern auf 3000 addierten - Flughafengegner und diejenigen, die sich in ihrer Versammlungsfreiheit eingeschränkt sehen – und es auch sind – und mit Trommeln und Tröten und Trillerpfeifen von ihrem Protest der Festversammlung Mitteilung machen wollen, ein adäquates Bild für die gesellschaftspolitische Situation in Frankfurt. Drinnen konnte man nämlich nichts von dem hören, was draußen gewaltiger Lärm war.

 

So muß man sich auch nicht wundern, daß Petra Roth an ihrem Ehrentag kein Wort über die Protestkationen verlor, die sie sich zum guten Teil selbst eingehandelt hatte. Dazu nachher mehr.

Zuerst einmal noch zur Vorgeschichte, weshalb die Amtszeit nicht ordentlich nach 18 Jahren endete, sondern OB Roth als Coup ihre Abdankung zusammen mit dem Personalvorschlag Boris Rhein als neuer Frankfurter Oberbürgermeister Ende des letzten Jahres verkündete. Eigentlich eine Verkündigung. Denn es war eine elegante Volte, mit der die wählerstarke Roth den derzeitigen Innenminister Hessens auf das CDU-Schild hob, was die Partei auch nachvollzog. Der Frankfurter Wähler allerdings nicht.

 

Die Wahl selbst haben wir mit drei Artikeln begleiten, die man nachlesen kann. Viele Dinge kann man an diesem Tag Petra Roth nachsagen. Zuerst einmal die Worte der Festversammlung. Angela Merkel hatte eine fade, von allen als Routine eingeschätzte Wertschätzung verteilt, die sie auf die Amtszeit von 17 Jahren und das Wirken von OB Roth als Präsidentin des Deutschen Städtetages zuschnitt. „Deutschland kann letztlich nur so stark sein wie alle seine Städte und Gemeinden.“ Für die CDU sei deren frühzeitiger Einsatz für eine andere Drogenpolitik sowie Integrationsmaßnahmen beispielgebend gewesen und Petra Roth habe das Gesicht der Stadt Frankfurt im nationalen Bewußtsein positiv verändert.

 

Ansonsten nahm die Kanzlerin die Gelegenheit von Fernsehen und Funk wahr, um über das Geld und Europa zu sprechen, was auch in die Hauptnachrichten kam, gefolgt von dem Hinweis der Verabschiedung der Oberbürgermeisterin. Das Schönste und auch Provokativste war die Aufführung der Kammersinfonie von Franz Schreker durch Michael Gielen mit dem Ensemble Modern zu Beginn der Veranstaltung. Nein, der österreichische Komponist Schreker, den die Nazis sofort seiner Berliner Ämter entbanden und der ihnen 1934 wegstarb, ist heute schon lange erlaubt, aber eine halbe Stunde ohne Worte, nur Musik, das ist schon ungewöhnlich und war der Wunsch der Geehrten, hieß es. Musikalisch endete die Feier mit Hindemith, dem in Hanau Geborenen ist Frankfurt seit jeher sehr verbunden.

 

Petra Roth zog für sich selbst noch einmal Bilanz – die Abschiede verteilen sich nun schon auf viele Wochen – und ist sich mit sich einig, daß sie eine Stadt hinterlasse, die ein „ in jeder Hinsicht funktionierendes Gemeinwesen“ besitze und eine Speerspitze der Bundesrepublik bleibe, weil hier so stark wie nirgends sonst das Globale auf das Lokale treffe und beide miteinander auskämen, also beides hier gelebt werde. Frankfurt zeichne sich durch die Internationalität aus und sei für Deutschland das „Tor zur Welt“. Ihrem Nachfolger, dem SPD-Politiker Peter Feldmann, gab sie auf den Weg: „Werden Sie das Gesicht dieser Stadt. Treffen Sie Entscheidungen zum Wohl dieser Stadt und ihrer Bürgerinnen und Bürger.“

 

Darin nun liegt allerdings gerade die Hoffnung derer, die vor der Paulskirche demonstrierten. Denn das Gesicht der Stadt wird zwar durch diejenigen, die in der Versammlung die Stadt präsentierten, in ihren Ämtern – Museumsleiter, Städtische Bühnen, Berühmtheiten aus Kultur und Wissenschaft sowie Wirtschaft und die Medien, wird also durch diese als öffentliche Meinung und damit Mehrheitsmeinung dargestellt, aber wie die Wahl zeigte, gibt es eine Mehrheit für ein anderes Frankfurt. Für ein Frankfurt, das nicht nur durch Banken und Geld, auch Geld für Museen und Kultur repräsentiert wird.

 

Wie Kinder in Frankfurt leben, wie sie außerhalb der Wohlstandsbezirke leben, wie es überhaupt an den Rändern Frankfurts aussieht, erst recht an den Rändern der Gesellschaft durch Arbeitslosigkeit, das alles wären Themen, die hier angesprochen sind, aber keine öffentliche Stimme finden. Das änderte sich erst, als die Klientel, die überwiegend durchaus die der Petra Roth und der CDU waren, durch qualitative Einbußen in ihrer Lebensqualität hinnehmen mußten: der Fluglärm durch eine neue Landebahn und andere Flugrouten. Hier nun zeigten sich die Grenzen der Petra Roth, die als Oberbürgermeisterin nur von einer zu stoppen war, von sich selbst.

 

Das war ihre Schwäche: die Fettnäpfchen. Denn den Anwohnern im überwiegend wohlhabenden Süden Frankfurts mit Villen und kleinen Häusern zu sagen, sie könnten angesichts des Lärms ja wegziehen, ist menschlich so unmöglich wie politisch dumm. Am letzten Wochenende haben es die Lärmgeplagten bei ihrer Rundreise zu Prominenten, die sie mit dem Flughafenlärm akustisch konfrontieren, vor dem Haus der Petra Roth im Norden Frankfurts laut werden lassen.

 

Daß Petra Roth sich viele Verdienste, insbesondere um die Kultur und den Kulturetat Frankfurts, erworben hat, steht außer Zweifel. Nach wie vor gibt keine Stadt Deutschlands pro Einwohner so viel Geld dafür aus wie die Stadt am Main. Aber das innere Leben der Stadt wird nicht nur von den Großkopferten und den Gebildeten gelebt. Und da hat der neue Oberbürgermeister ab Juli 2012 ein breites und weithin unbeacktertes Betätigungsfeld.

 

Vergleiche unsere Wahlartikel

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/heimspiel/557-eigentor-fuer-petra-roth-cdu

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/heimspiel/558-kleine-spontane-wahlanalyse

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/heimspiel/559-peter-feldmann-und-der-kampf-gegen-kinderarmut

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/heimspiel/567-trauer-im-tigerpalast-oder-die-schwarz-gruenen-trotzkoepfchen