FRIEDEN IM TOD FINDEN

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. Januar 2018, Teil 6

N.N.

Los Angeles (Weltexpresso) – Drehbuchautor und Regisseur Shults hatte bereits in der Zeit angefangen, an IT COMES AT NIGHT zu arbeiten, als Krisha (2015) begann, sich von einem Kurzfilm, der beim South By Southwest Filmfestival 2014 Premiere gefeiert hatte, in einen abendfüllenden Spielfilm zu verwandeln. Währenddessen verlor sein Vater den langen Kampf gegen die Sucht; die Figur der Krisha ist von ihm beeinflusst.

Auf eine siebenjährige Periode der Entfremdung, folgte, erst als der Vater auf dem Sterbebett lag, die Aussöhnung. Dies wiederum entwickelte sich zu einer starken Inspirationsquelle für das anschließende Filmprojekt. „Er war erfüllt von Bedauern, in Bezug auf die Art, wie er sein Leben gelebt hatte. Alles was ich tun konnte, war, ihm zu helfen, Frieden zu finden“, führt Shults aus. „Das Erlebnis gab meinen eigenen Ängsten bezüglich der Sterblichkeit neuen Auftrieb. Meine größte Angst ist, auf dem Sterbebett zu liegen, und Dinge zu bereuen.“ Dies führte dazu, dass Shults dazu überging, die Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen genauer zu studieren. Außerdem machte er sich Gedanken darüber, wie die jüngere Generation, das, was sie als die Fehler ihrer Eltern betrachtet, transzendieren kann.

IT COMES AT NIGHT beginnt auf unvergessliche Weise: Wir erleben einen älteren Mann, der zuerst auf dem Sterbebett von seiner Tochter Sarah (Carmen Ejogo) umhegt, im Anschluss zu einem Begräbnisort im Wald transportiert und dort letztlich von Paul (Joel Edgerton), dem Patriarchen der Familie, getötet wird. Sein Körper wird in ein flaches Grab geworfen und verbrannt, während Sarah und Travis von Trauer erfüllt in einigem Abstand warten. „Was Sarah zu ihrem Vater sagt, bevor dieser von seinem Leid erlöst wird, sind exakt die gleichen Worte, die ich meinem Vater gegenüber gewählt habe, als er im Sterben lag“, erklärt Shults. „Der Rest des Films hat sich aus dieser einen Situation heraus entwickelt.“


SUBJEKTIVES DELIRIUM

Wie der Titel verspricht, basiert IT COMES AT NIGHT auf Albträumen, sowohl im konkreten, als auch im übertragenen Sinne. Angefüllt mit Anspielungen auf Träume, , wie sie sich rasant von Realität zu Fantasie wandelt, entwickelt sich die Geschichte zu einem albhaften Wachtraum, aus Travis' Perspektive. Dieser versucht, die Schrecken der Seuche, den überfürsorglichen Vater, seinen eignen unvorhersehbaren Geisteszustand, sowie die irritierende Anwesenheit der anderen Familie zu integrieren, und dabei nicht den Verstand zu verlieren.

IT COMES AT NIGHT benutzt alles, von Kameratechnik und Produktionsdesign, bis hin zu Toneffekten, um Travis' gefolterte Psyche zu illustrieren. „Bei Krisha habe ich mich direkt in ihr subjektives Delirium begeben, wo einige Dinge tatsächlich passieren, andere nicht“, so der Regisseur. „Bei Travis ist es genauso, man weiß nicht immer, was ihn umtreibt und welche Erfahrung er gerade macht, da er von so viel Chaos umgeben ist. Dies ist Travis' Reise und wie er es schafft, durch das Chaos zu steuern.“

Travis' Welt erwacht zum Leben in einer filmischen Symphonie; Shults leitet sein Team bestehend aus famosen Technikern mit sicherer Hand. Die Kombination der fantastischen Kameraarbeit des Texaners Drew Daniels, mit dem klaustrophobischen Produktionsdesign von Karen Murphy und dem vorwärtstreibenden Soundtrack von Brian McOmber verwandeln IT COMES AT NIGHT in einen einmalig emotionalen Horrorfilm, erfüllt von intensiver Stimmung, lauernder Bedrohung und Chaos.

Wer sich Krisha (2015) genauer angesehen hat, wird einige der Kamerafahrten wiedererkennen, unheilvolle Korridore in den Blick nehmend, geschmückt mit Familienportraits und Erinnerungsstücken, die auf Shults Thema von Erbe und Überlieferung verweisen. Travis ist ein nachdenklicher Außenseiter, der die Dinge aus der Ferne betrachtet, um Ecken oder durch Löcher spähend, Informationen sammelnd, während er sich mit der Last seines Erbes herumschlägt.


MATERIAL FÜR ALBTRÄUME

IT COMES AT NIGHT untersucht das Grauen, das sich bereits in uns befindet, egal ob es von unseren Eltern kommt, von anderen Familienmitgliedern, oder ob es ein Teil des Horrors aus der Zeit des Heranwachsens ist, mit all seinen Konflikten, Nöten, Unsicherheiten und Ängsten. „Travis versucht, seinen Platz in der Welt zu finden“, führt Shults aus. „Er findet heraus, was für eine Person er sein will. Aber die Geschichte ist auch mit der Warnung verbunden, dass man seine Menschlichkeit einbüßen kann und erzählt davon, wie Angst und Unsicherheit einen von innen auffressen können. Dieses Schicksal ist schlimmer als der Tod.“

Travis hat viel zu tun mit sich selbst. Er nimmt Hinweise auf von den Menschen um sich herum, seinem Vater, dessen spezielle Vorstellung von Männlichkeit nicht mit seinem eigenen sich entwickelndem Selbstbild zusammenpasst, sowie Wills entspannterer Familie, deren Anwesenheit die gesamte Dynamik durcheinanderbringt. Besonders spannend an IT COMES AT NIGHT sind die Passagen, in denen Travis seinen persönlichen Kampf darum führt, wie er zu sein gedenkt. Wird er sich in ein Pulverfass verwandeln wie sein Vater, der zu allem bereit ist, um seine Familie zu schützen, oder wird die neue Energie, die durch Wills Familie eingebracht wird, ihn verändern? Kann es ihm vielleicht sogar gelingen, beide Einflüsse zu überwinden und seine Identität herauszubilden, trotz der Konfusion und Verunsicherung um ihn herum?

Travis' Kampf in IT COMES AT NIGHT, ob im Innen oder im Außen, entwickelt sich zu einem Albtraum. „Es geht darum, dass Travis seine Dämonen konfrontiert und die Traumata dieser Welt verarbeitet“, erklärt Shults. „Er bekämpft sein eigenes Unterbewusstsein, von dem Moment an, als er die rote Tür am Ende des Korridors durchschreitet und seinen Großvater sieht, der im Sterben liegt.“ Letztlich geht es darum, dass Travis herausfindet, wie er Frieden schließen kann, mit den Dingen, die ihm am meisten Angst machen: dem Tod, seiner Familie und sich selbst.