f bird3Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. April 2018, Teil 4

N.N.

New York  (Weltexpresso) - Sie haben über die Jahre schon mehrere Drehbücher als Ko-Autorin verfasst, doch LADY BIRD ist Ihre erste Regiearbeit. Hatten Sie schon beim Schreiben den Wunsch, den Film selbst zu inszenieren?

Schreiben ist für mich ein sehr langwieriger Prozess. Ich kann nicht einmal genau benennen, wie lange ich für ein Drehbuch brauche. Vermutlich sogar mehrere Jahre, denn das verläuft nie geradlinig. Ich bringe mal hier eine Szene, mal dort eine Figur zu Papier. Deswegen schreibe ich auch immer viel zu viel, Hunderte Seiten Ausschuss. Aber irgendwann reduziere ich das alles natürlich und finde die Essenz des Ganzen. Trotzdem erscheint es während des Schreibens immer undenkbar, dass aus all diesen Seiten mal ein Film wird. Deswegen ist auch der Gedanke ans Regieführen erst einmal vollkommen abwegig.

Als ich allerdings irgendwann das fertige Drehbuch in den Händen hielt, war ich mir sicher, dass ich den Film auch selbst inszenieren wollte. Und mir wurde klar, dass das eigentlich von Beginn an die treibende Kraft hinter dieser Geschichte war. Das hatte ich mir nur nicht eingestehen können, weil ich sonst zu viel Ehrfurcht entwickelt hätte. Selbst Regie zu führen ist mein Wunsch gewesen, solange ich denken kann. Doch der Mut dazu ist eben nichts, was über Nacht entsteht.


Wie war die Erfahrung des Inszenierens denn dann? Und was haben Sie dabei gelernt?

Ich lerne immer noch, was das Regieführen anbelangt, und ich hoffe sehr, dass sich daran auch nie etwas ändern wird. Selbst wenn ich irgendwann 80 bin und mich eigentlich nur noch wiederhole. Aber es wäre gleichermaßen langweilig wie unmöglich, hier alles aufzulisten, was ich gelernt habe.

Was sich auf jeden Fall als wichtigste Lektion herausgestellt hat, war der Grundsatz: Engagiere immer Mitstreiter, die klüger sind als du. Das Zitat stammt von dem großen verstorbenen Kameramann Harris Savides, und ich habe es von meinem Kameramann Sam Levy gehört. Der Grundsatz gilt übrigens für alle, von Schauspielern über Ausstatter bis hin zu den Designern des Filmplakats. Ich hatte das große Glück, bei LADY BIRD von Anfang bis Ende von Menschen umgeben zu sein, die klüger sind als ich.

Außerdem ist mir bei der Arbeit an dem Film klar geworden, dass das englische Wort „Director“ nicht das passendste für den Beruf des Regisseurs ist. Es lässt nämlich vermuten, dass man nur noch alles lenken muss, was man vorfindet. Das französische Wort „Réalisateur“ ist eigentlich treffender. Denn als Regisseur lenkt man nicht nur, sondern lässt eine Geschichte Wirklichkeit werden. Der einzige Grund, warum ein Film existiert, ist der, dass der Regisseur ihn hat real werden lassen.


Was war in diesem Prozess die größte Überraschung für Sie?

Das Kaliber meiner Mitstreiter. Wie unbeschreiblich gut all diese Menschen sind, war für mich die größte Überraschung und das, wofür ich am dankbarsten bin. Bis heute finde ich es schwer zu begreifen, dass all diese enorm talentierten Menschen ihre Zeit und ihr Können meinem kleinen Film gewidmet haben. Von Scott Rudin und IAC Films, die das Projekt Wirklichkeit werden ließen, bis hin zu Lois Smith, die die kleine Rolle der Sister Sarah Joan übernahm, übertraf jede einzelne Person alle meine Erwartungen.


Was waren die größten Herausforderungen? Und welches waren die schönsten Erfahrungen?

Die größte Befriedigung bereitete es mir auf jeden Fall, den Schauspielern bei der Arbeit zuzusehen. Ich hatte diese Dialoge alleine geschrieben und in meinem Kopf gehört, aber mit einem Mal wurden sie wirklich zum Leben erweckt und in einer Art und Weise verkörpert, die ich mir so großartig gar nicht hätte ausmalen können. Ich glaube, dass es Regisseure gibt, die sich am liebsten klonen und jeden Job selber machen würden. Zu denen gehöre ich definitiv nicht. Es gehört für mich im Gegenteil zu den größten Freuden des Jobs, Kollaborateure mit ins Boot zu holen, die sich selbst, ihren Geist und ihre Kreativität in das Projekt einbringen. Was die Herausforderungen angeht: Eigentlich ist jeder Schritt eine Herausforderung. Aber in der Erinnerung verblasst jede Hürde, kaum dass sie genommen ist.


Glauben Sie, dass Ihre Erfahrungen als Schauspielerin Ihre Arbeit als Regisseurin beeinflussen?

Durch meine Arbeit als Schauspielerin habe ich auf jeden Fall sehr feine Antennen, was das ganze Verfahren des Vorsprechens angeht. Ich selbst fand mich oft in sehr erniedrigenden, peinlichen Casting-Situationen wieder, und ich weiß, wie es sich anfühlt, alles zu geben, und dann gucken die Leute noch nicht einmal richtig hin. Auch ich konnte natürlich nicht allen wunderbaren Schauspielern eine Rolle geben, die ich mir für LADY BIRD angesehen habe. Aber es war das Mindeste, dass ich ihnen Respekt und Rücksicht entgegenbringe, wenn sie ihre Kunst mit mir teilen.

Darüber hinaus habe ich viel Verständnis dafür, dass Schauspieler auch Raum für sich brauchen, in dem man als Regisseur nichts zu suchen hat. Sie müssen ihre eigenen Beziehungen aufbauen, untereinander, zu ihren Figuren, aber auch zum Team, und ich glaube nicht, dass man als Regisseur da immer seine Finger mit im Spiel haben muss. Mir war es daher stets wichtig, ihnen diesen Raum zu geben. Ich sorgte dafür, dass sie zum Beispiel Meetings mit der Kostümdesignerin hatten, ohne dass ich dabei war. Einfach um das Gefühl zu bekommen, selbst ihren Teil zur Gestaltung der Figuren beizutragen.

Natürlich gab es Input meinerseits. Ich sagte immer, was mir gefiel und was nicht, aber ich wollte mich auch nicht zu sehr aufdrängen. Schauspieler sein bedeutet eben auch, sich eine Figur vollkommen zu eigen zu machen – und wenn sich da ständig jemand einmischt, dann fühlt sich das immer so an, als würde es einem nicht bis zum Letzten gelingen. Meine Aufgabe war es also, den Rahmen zu schaffen, den sie dann übernehmen konnten, weil er eben nicht mehr ausschließlich mir gehörte.


Klingt, als hätten Sie Gefallen gefunden am Regieführen?

Oh ja, das habe ich. Und ich werde es auch wieder tun.


Wie haben Sie Ihre Hauptdarstellerin Saoirse Ronan gefunden?

Saoirse und ich haben uns 2015 während des Filmfestivals in Toronto kennengelernt, als sie zur Premiere von Brooklyn – Eine Liebe zwischen zwei Welten dort war. Wir saßen in ihrem Hotelzimmer und lasen gemeinsam laut das Drehbuch. Sobald ich sie diese Worte sprechen hörte, wusste ich ohne Zweifel, dass sie meine Lady Bird war. Plötzlich wirkte dieses Mädchen noch mal ganz anders und viel besser, als ich sie mir vorgestellt hatte. Sie war eigensinnig und lustig und herzzerreißend, gleichermaßen universell wie fokussiert. Dass sie gerade kurz vor den Proben für eine neue Inszenierung von Hexenjagd am Broadway stand, bedeutete für mich, dass ich mit LADY BIRD ein halbes Jahr später als gehofft beginnen konnte. Aber es gab niemand anderen, dem ich diese Rolle hätte geben können. Es war Saoirses Rolle von dem Moment an, in dem sie sie las.


Wie haben Sie sich die Figur gemeinsam erarbeitet? Hat sie sich während des Drehs noch einmal verändert?

An meinen Büchern wird eigentlich während des Drehs nicht gerüttelt. Jeder Satz wird so gesagt, wie er geschrieben wurde. Film ist ja nicht in erster Linie ein Medium des Wortes, aber ich bin über meine Liebe zum Theater zum Film gekommen, daher ist die Sprache für mich das Wichtigste.

Das Erschaffen einer Figur ist allerdings wie das Erstellen einer Collage. Saoirse stand während der Vorbereitung wie gesagt am Broadway auf der Bühne, sodass ich ihr nach und nach Kleinigkeiten zukommen ließ. Ich gab ihr Romane oder Gedichte, mal einen Song oder ein Foto. Und als ich mehr Rollen besetzt hatte, versammelte ich die Schauspieler für kleine Mini-Proben. Ich wollte, dass mein Ensemble schon mal beginnt, diese magische Blase zu erschaffen, in der sie sich für den Film befinden würden.

Kurz vor Drehbeginn stürzten wir uns dann natürlich auch tiefer in die Proben. Saoirse und ich verbrachten Stunden damit, uns über die Figur auszutauschen. Als es schließlich losging, war sie die Person, an die ich mich wendete, wenn ich eine Frage zu Lady Bird hatte. Was würde sie anziehen? Wie würde sie laufen? Das wusste Saoirse irgendwann besser als ich. Sie erschuf eine Körperlichkeit für diese Figur, die direkten Einfluss darauf hatte, wie ich sie filmte.


Sie zeigen in LADY BIRD sehr unterschiedliche zwischenmenschliche Beziehungen. Aber im Zentrum steht die zwischen Mutter und Tochter, nicht wahr?

Genau, das ist für mich die zentrale Liebesgeschichte des Films. Nicht umsonst war der Arbeitstitel des Films lange Zeit „Mothers and Daughters“.

Bei Filmen über junge Frauen dreht sich die Geschichte meistens um einen Jungen: den Traumprinzen, der die Antwort auf alle Probleme und Fragen des Lebens ist. Doch das Leben, wie ich es kenne, funktioniert so nicht.

Die meisten Frauen in meinem Umfeld hatten als Teenager unendlich schöne, unglaublich komplizierte Beziehungen zu ihren Müttern. Ich wollte einen Film drehen, der genau das ins Zentrum rückt, und in dem man in jedem Moment mit beiden Frauen mitfühlt. Das Letzte, was ich wollte, war, dass die eine Recht und die andere Unrecht hat. Ich wollte zeigen, dass beide auf schmerzhafte Weise daran scheitern, einander zu erreichen – und am Ende für ihre ultimative Liebe belohnt werden. Für mich sind solche Momente die bewegendsten in einer Liebesgeschichte, und keine ist bewegender als die zwischen einer Mutter und ihrer Tochter.

Foto:
©

Info:

BESETZUNG

Rolle                          Schauspieler                          Synchronstimme

Lady Bird                  SAOIRSE RONAN                  Lydia Morgenstern
Marion                      LAURIE METCALF                 Madeleine Stolze
Priester                    PAUL KELLER                         Frank Röth
Julie                         BEANIE FELDSTEIN                Emily Gilbert
Mr. Bruno                KAKE MCDORMAN                 Armin Schlagwein
Sister Sarah Joan   LOIS SMITH                             Katharina Lopinski
Miguel                     JORDAN RODRIGUES            Constantin Jascheroff
Larry                        TRACY LETTS                         Peter Reinhardt
Shelly                       MARIELLE SCOTT                  Anja Thiemann
Jenna                       SEDONA FERETTO                 Lina Rabea Mohr
Danny                      LUCAS HEDGES                      Patrick Baehr
Kyle                         TIMOTHÉE CHALAMET          Marco Eßer
Father Walter          BOB STEPHENSON                Werner Böhnke
Father Leviatch      STEPHEN HENDERSON         Reinhard Scheunemann

gekürzter Abdruck aus dem Presseheft von UPI