Drucken
Kategorie: Film & Fernsehen

Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. Januar 2013, Teil 1

 

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Januar hat's wirklich in sich. Die Filmindustrie blüht und gedeiht und bringt Früchte hervor, an denen wir noch lange zu knabbern haben. Der Film LINCOLN, der in den USA direkt nach der Präsidentenwahl herauskam, läuft in Deutschland unmittelbar nach der Vereidigung zur nächsten Präsidentschaft an und bringt ein altes Thema neu.

 

 

LINCOLN

 

Man könnte den neuen Film von Steven Spielberg natürlich auch allein als amerikanisches Geschichtsdrama werten – und er wäre immer noch spannend. Noch spannender allerdings wird der Hintergrund der letzten vier Monate von Lincolns Präsidentschaft und seines Lebens, wenn wir die zugrundeliegende Problematik ernst nehmen: heiligt der Zweck die Mittel? Was sonst mit Machiavellis IL PRINCIPE in der Regel als degoutant abgetan wird, daß nämlich scheußliche Mittel – sprich Mord- und Totschlag, Verleumdung und Verbannung – durch keinen Zweck geheiligt werden können, braucht man überhaupt nicht mehr theoretisch diskutieren, sondern kann den Zwiespalt an diesem Film sehr deutlich nachvollziehen, der schlußendlich bejaht wird.

 

Durfte Lincoln in der Absicht, umgehend ein Verbot der Sklaverei als 13. Verfassungszusatz politisch durchzusetzen, also verschweigen, daß die Separatisten der Südstaaten längst ihre Niederlage eingestanden hatten und reumütig in den Staatenbund zurückkehren wollten? Ja. Er verschwieg es und nahm weitere Opfer des Aufstandes, des Bürgerkriegs auf sich, also tote Soldaten auf beiden Seiten, weil er wußte, daß nach der Wiedereingliederung der Südstaaten mit den neuen Mehrheitsverhältnissen die Sklaverei auf lange Sicht mit demokratischen Mitteln, also Mehrheiten, gesetzlich nicht hätte abgeschafft werden können.

 

Es geht also in der Tat um die Legitimation politischen Handelns, hier des Verbots der Sklaverei, dessen konkretes Zustandekommen man selten so ausführlich und mit allen politischen Verästelungen hat erleben können, wie in diesem drei-Stunden-Drama, das Weltgeschichte wiedergibt. Was wir allerdings sehen, sind oft kleine Leute, die schmierig mit den Stimmen Geschäfte machen, wir sehen menschliche Wackelkandidaten, die sich kaufen lassen oder auch nicht. Wir erleben, aus welchen Gründen sich Menschen für und wider die Sklaverei entscheiden, oder wie wenig es bedarf, um sie zum einen oder anderen zu bringen.

 

Schon das ganze Drumherum, die Geschäftigkeit, die Geschäftemachen nicht verbirgt, mit dem Ziel genug Stimmen für oder genug Stimmen gegen diesen 13. Verfassungszusatz zu gewinnen, macht den Film spannend, selbst dann, wenn man das politische Ergebnis ja weiß. Aber man wußte im Detail nicht, wie es zustandekam, zumal wir mit den Parteibegriffen der Republikaner und Demokraten von heute andere politische Auffassungen erleben, als sie damals der Fall waren. Lincoln war ein Republikaner. Das würde heute keiner glauben, daß diese die Menschenrechte so wichtig nahmen, daß sie sogar tote Soldaten dafür opferten.

 

Der Film strapaziert die moralische Frage und damit die Legitimation der politischen Tat nicht über, sondern bringt durch die zeitliche Beschränkung auf vier Monate die Handlungen und politischen Verhandlungen uns schon deshalb als Politdrama nahe, weil sich der Film auf wesentliche Träger und ihr Hin und Her von Repräsentantenhaus und Kabinett stützt und ansonsten nur das allgemeine Gefiebere und eine gewisse Hysterie zeigt. Hauptpersonen sind Abraham Lincoln, aber auch seine Frau. Daniel Day-Lewis gelingt, sich in Lincoln zu verwandeln, gar nicht, weil er ihm von Natur aus so ähnlich sähe, sondern weil er unterstützt von Maskenbildnerei und Frisur einen Gesichtsausdruck und vor allem eine Haltung, verbunden mit Gesten hinbekommt, die allen Abbildungen des ermordeten Präsidenten sehr ähnlich sieht. Das ist ein Phänomen, daß die Zuschauer bald bei dem Film HITCHCOCK erneut erleben, wenn Anthony Hopkins zu Hitchcock wird.

 

Sally Field spielt seine Frau Mary Todd Lincoln, die aus den Südstaaten stammt und ihm in Fortsetzung seiner politischen Arbeit auch zu Hause ein Schlachtfeld liefert. Sie hat allen Grund nachzufragen, wie die Friedenssache stehe, denn beide haben im Sezessionskrieg zwei Söhne verloren und ein weiterer ist noch auf dem Feld, denn, das verfolgen wir mit, er will gegen den familiären Widerstand noch in den Krieg ziehen, was ihm gelingt.. Oje, ist diese Frau schwierig, denkt man sich im Film immer wieder. Das scheint auch in Wirklichkeit so gewesen zu sein. Im Film kommt aber auch ihre Loyalität zum Tragen, so daß sie zu Hause die Xanthippe, aber öffentlich die First Lady gibt.

 

Die vielen politischen Implikationen, wie die Stimmung und die Stimmen wechseln und wie verläßliche Mehrheiten sich aufbauen, das muß man im Film selbst verfolgen, auch, welche Rolle Schwarze in diesem Film spielen. Da gibt es schauspielerisch keinen Ausfall, nur einige bekannte Gesichter, die man so auch noch nicht sah wie Tommy Lee Jones, der des Nachts im Bett noch eine besondere Überraschung bereithält.

 

Auf jeden Fall tut der Film denen gut, die mit dem dann immer formal gemeinten Demokratiegeseiere ihre Probleme haben, dann nämlich, wenn sozusagen wertfrei demokratische Prozesse für sich als gut und die beste aller Welten hingestellt werden. Politik muß kein schmutziges Geschäft sein, ist es aber immer wieder. Und wenn die heutigen Superdemokraten, die das Wort der Mehrheit als der Wahrheit ständig im Munde führen, die Demokratie von Athen wirklich kennten, dann wüßten sie, daß dies eine Sklavenhaltergesellschaft war, bei der der Besitz und die Geburt ausschlaggebend für das Stimmrecht war.

 

Daß Demokratie nicht immer die beste Regierungsform, aber die einzige ist, die Menschen miteinander aushandeln können, auch davon spricht dieser Film, der Mut macht, etwas zu wollen und politische Arbeit zu tun, um durchzusetzen, was man für richtig hält. Also ein Film, der zwar in Amerika spielt, aber Grundsätzliches zum Thema hat und nebenbei auch noch das Ambiente der guten Mitte des 19. Jahrhunderts zeigt, dessen Kinder und Kindeskinder wir alle noch sind.