berl19 aretha 21BERLINALE 2019: Der Wettbewerb, Teil 21

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Hatte sie den Film noch sehen können, das Alan Elliott – Realisierung, und Produzent - zu fragen hatten wir auf der Pressekonferenz nach dem Film vergessen: Aretha Franklin, die Göttin des Gospel und Soul, die im August 2018 gestorben ist und der mit diesem Film eine mitreißende und wehmütige Erinnerung sicher ist.

Das Besondere an diesem Film ist, daß er aus Aufnahmen vom Januar 1972 zusammengeschnitten wurde. Damals nahm Aretha Franklin an zwei Abenden in der New Temple Missionary Church in Los Angeles gemeinsam mit dem Southern California Community Chor und Reverend James Cleveland – ebenfalls sehr eindrucksvoll, das auf, was als AMAZING GRACE zum größten Plattenerfolg der Gospelmusik wurde. Sitzt man die 87 Minuten dabei, hört und sieht zu, weiß man warum. Die Unmittelbarkeit der Situation, daß hier live gesungen und mitgeschnitten wurde, war ihr Wunsch gewesen, sie wollte keine sterile Studioatmosphäre, sondern die Gotteslieder an der Stelle singen, wo die Gemeinde sich zusammenfand. Der religiöse Hintergrund, ja die Inbrunst des Singens gehört zur Stärke der Platte und ebenso zur Stärke des Films.

Und warum im Jahr 2019? Es waren technische Gründe, die zuvor verhindert hatten, daß die Filmaufnahmen zu einem Film wurden. Leider wurde das nicht richtig geklärt. Hatte sich niemand gefunden, der das Material sinnvoll sichtete? War es verschollen? Wie auch immer, es geschehen Wunder im Alltag und einem Kirchengesang einer Göttin in einer Kirche stehen Wunder besonders gut an.

Der Film lebt auch durch die unmittelbare Ansprache des Reverend James Cleveland. Es ist seine Gemeinde und er spielt den Steinwayflügel so gekonnt wie später die Sängern. Da saßen wir schon mit offenem Mund da, als wir sahen, wie sie spielte und dazu mit ihrer kräftigen, hohen, so musikalischen Stimme sang. Dabei ist ‚Singen‘ oft der falsche Ausdruck. Sie kann ihre Stimme zu Lauten nutzen, die wir heute von Bobby McFerrin kennen, der auch seine Stimme zum Instrument machen kann – wie sie. Sie jubelt, sie jubiliert, meist mit geschlossenen Augen. An diesen Stellen ist der Film notwendigerweise auch indezent, wenn man ihre Anstrengung weder der Stimme noch ihrem Verhalten anmerkt, aber die Schweißtropfen ein Übriges sagen.

Eigentlich wollen wir in der Bewunderung für diesen Film fortfahren, denn anzuschauen auf jeden Fall lohnt. Und das nicht nur der Stimme, des Gesangs und der ganzen Atmosphäre wegen. Erst nach dem Schauen wird einem klar, welches kulturhistorischen Dokument da nebenbei entstanden ist. Sie war auf dem Höhepunkt ihres Ruhms, Aretha Franklin, die uns dort so jung erscheint, weil sie ja mit uns gealtert ist und die Gegenwart die Vergangenheit leicht auslöscht. Die Kirche ist nicht mal voll besetzt, so ungewöhnlich waren wohl diese Aufnahmen. Es sind fast nur Schwarze unter den Zuhören, nur vereinzelt ein weißes Gesicht.

Das wäre für die damalige Zeit noch nicht ungewöhnlich. Aber die, die gekommen sind, sind so typisch für ihre Zeit als Angehörige der besseren Klasse angezogen, in Kleidern und Mäntel sowie Hüten, die für uns heute etwas von Verkleidung haben. Aber so war das Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre. Zum Ausgehen hat man sich fein gemacht, in die Kirche ist man in Samt und Seide und Pelz gegangen. Da wir in den USA sind, haben sich Frauen vorwiegend in Rosa oder Hellblau in Schale geworfen. Und deshalb sprachen wir von einem kulturgeschichtlichen Dokument, das in der Tat zu dem Menschheitserbe gehört, weil es eine Zeit dokumentiert, die für schwarze Amerikaner nach den Rassenkrawallen der Sechziger Jahre und der Ermordung von Martin Luther King – er heißt ja nicht umsonst so, sondern war Baptistenpfarrer - am 4. April in Memphis durch Civil Rights Movement und damit der Aufhebung der Rassentrennung eine gesellschaftliche Konsolidierung bedeutete, was man hier im Bilde sieht.

Es gibt noch einen anderen Aspekt, den junge Zuschauer kaum fassen können. Wir sind 1972 noch in einer Zeit, wo auch Berühmtheiten eine von uns sind. Wenn man das sieht, wie Aretha Franklin, ihr Vater, all die anderen wichtigen Personen hier ohne jeden Bodyguard, ohne Leute, die Ketten um sie bilden, die das Publikum wegdrücken, einfach in die Kirche kommen, sich hinsetzen und sie an den Flügel und dann ans Singpodest mit Mikrophon geht, der bedauert, was heute daraus geworden ist. Heute sind öffentliche Personen versklavt durch ihr Berühmtsein. 1972 war darin noch eine Zeit der Unschuld, die nahegeht.

Dieser Film ist vorrangig natürlich ein Dokument der Sangeskraft und der bescheidenen Persönlichkeit von Aretha Franklin. Anders als Barbara Streisand mit dem Filmmuscal FUNNY LADY oder Diana Ross mit LADY SINGS THE BLUES, wo sie Billie Holiday gibt, was ihre Karriere befeuerte, hatte Aretha Franklin niemals eine solche Gelegenheit, über die Leinwand als eine andere bekannt zu werden. Bei ihr blieb es ihre Stimme und ihre Auftritte, denn die Filmaufnahmen waren ja nicht bekannt.

Jetzt aber kommt diesem Film umso eher die besondere Bedeutung zu, daß sie hier niemanden mimt, sondern einfach nur zur Ehre ihres Gottes singt, mit einer Stimme, die so zart sein kann wie kraftvoll durchs Kirchenhaus schmettern. Wie gesagt, ein Dokument in mehrfachem Sinn, eine Sängerpersönlichkeit, aber auch eine spannende Zeit der wachsenden Emanzipation der Afroamerikaner in den USA. Hoffentlich kommt dieser Film in die deutschen Kinos und hoffentlich wird darauf eine DVD Produktion entstehen. Wir sind sofort wieder dabei. Man geht dankbar aus diesem Film, das man an diesem Konzert an zwei Abenden teilhaben durfte.

Foto:
© Aretha Franklin

© Amazing Grace Movie, LLC

Info:
Aus welchen Gründen dieser Film außer Konkurrenz lief, wurde nicht bekannt.