Bildschirmfoto 2019 04 19 um 01.18.24Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. April 2019, Teil 10

Redaktion

Paris (Weltexpresso) – Kann ein Film, der mit seiner Ästhetik die Zeit manipuliert, diesen intensiven Wirbel von Emotion und Leidenschaft vermitteln, der in einem Gemälde steckt? – Mit diesem scheinbar unmöglichen Unterfangen fand sich Julian Schnabel bei VAN GOGH - AN DER SCHWELLE ZUR EWIGKEIT konfrontiert. Er wollte die Dinge einfangen, die in Filmen über Künstler oft nicht zu finden waren, und so eine unvergleichliche Vision der letzten Tage van Goghs schaffen.

Diese Geschichte versucht eine einzigartige Sicht auf ein Künstlerleben zu vermitteln, indem sie den kreativen Schaffensakt eines Malers auf intime und tiefgreifende Weise nachbildet und nachempfindet: diese, überwältigende Magie, die sich nicht mit Worten beschreiben lässt und sich jeder zeitlichen Eingrenzung verweigert, die damit verbundene physische Anstrengung und beinah religiöse Intensität.

„Der van Gogh dieses Films entstand direkt aus meiner persönlichen Reaktion auf seine Bilder, und nicht auf Grundlage dessen, was andere über ihn geschrieben haben.“, so Schnabel. Van Gogh wurde für Schnabel, Jean-Claude Carrière (seinen Koautor), Louise Kugelberg (seine Koautorin- und Cutterin) und letztlich für Besetzung und Crew zu einem Prisma, das einen neuen Blick auf einen Urdrang des Menschen gestattete – den Drang, sich auszudrücken und zu kommunizieren. Der Film stützt sich auf Briefe, Biografien, die bekannten Legenden und unzählige historische Analysen. Aber in seinem Kern ist er ein Werk purer Imagination, eine Ode an den künstlerischen Geist und an die lebensbestimmende Macht einer absoluten Überzeugung.

„Dieser Film handelt von dem Maler van Gogh, aber wir haben nicht versucht, eine Biografie abzuliefern.“, so Jean-Claude Carrière. „Das wäre absurd. Jeder kennt sie. Statt dessen dachten wir uns Szenen aus, die sich so abgespielt haben könnten – an denen van Gogh vielleicht beteiligt war, in denen er etwas gesprochen haben könnte, die jedoch nicht in den Geschichtsbüchern zu finden sind. Das ist bei van Gogh eine ziemlich neuartige Vorgehensweise.“

VAN GOGH - AN DER SCHWELLE ZUR EWIGKEIT nahm seinen Anfang in einem M seum. Julian Schnabel nahm seinen Freund, den berühmten französischen Drehbuchautor, Romancier und Schauspieler Jean-Claude Carrière ins Musée d’Orsay in die Ausstellung „Van Gogh/Artaud: Der Selbstmörder durch die Gesellschaft” (nach dem gleichnamigen Buch des französischen Dramatikers, Dichters und Visionärs Antonin Artaud) mit. Carrière ist selbst eine Kinolegende, insbesondere bekannt für seine 19-jährige Zusammenarbeit mit  Meisterregisseur Luis Buñuel (TAGEBUCH EINER KAMMERZOFE, BELLE DE JOUR – SCHÖNE DES TAGES und DER DISKRETE CHARME DER BOURGEOISIE) sowie für die Drehbücher zu DANTON, DIE WIEDERKEHR DES MARTIN GUERRE, DIE UNERTRÄGLICHE LEICHTIGKEIT DES SEINS und CYRANO VON BERGERAC). 2014 erhielt Carrière für seine Arbeit als Drehbuchautor einen Ehren-Oscar®.

Als das Duo durch die 40 Gemälde der Ausstellung schlenderte, darunter „Selbstbildnis”, „Paul Gauguins Stuhl”, „Porträt des Dr. Gachet”, „Augustine Rouline“ und „Ein Paar Schuhe“, begannen sie über einen Film zu sprechen und die Idee bekam plötzlich ein unerwartetes Eigenleben. Carrière erinnert sich: „Für mich war es höchst interessant, dass ein Maler einen Film über das Leben eines Malers machen wollte.”

An diesem Nachmittag hatte Schnabel bereits ein erstes Gespür für die Struktur des geplanten Films: „Jedes Gemälde, vor dem du stehst, sagt dir etwas. Aber nach 30 Gemälden wird diese Erfahrung noch umfassender. Sie wird zu einer Ansammlung all dieser verschiedenen Emotio-nen. Und genau diese Wirkung wollte ich mit diesem Film erreichen. Ich wollte ihn so struk- turieren, dass sich alle Ereignisse von Vincents Leben in dieser Zeit verdichten und es sich so anfühlt, als würde sich seine ganze Geschichte in einem einzigen Moment abspielen.”

Mit dieser Ausgangsidee bekamen Schnabel und Carrière einen ersten Eindruck von der möglichen Gestalt des Films. „Wir fingen an, ge- meinsam zu schreiben.“, so Carrière. „Aber wir hatten nie vor, eine klassische Biografie zu ma- chen oder die üblichen Fragen zu beantworten. Wir fanden es vielmehr sehr interessant, wie sehr sich van Gogh in den letzten Jahren seines Lebens bewusst war, dass er eine neue Vision der Welt hatte und dass er nicht mehr wie ande- re Maler malte. Er brachte den Menschen eine neue Sichtweise, und genau diese wollten wir in dem Film zeigen.”

„Ich schaute mir also mit einem Maler einen anderen Maler an, nämlich van Gogh.“, so Carrière weiter. „Abgesehen von den paar Zeichnungen Artauds befand ich mich in Gesellschaft von Julian und van Gogh. An einem bestimmten Punkt ließ er mich vor einem der Selbstporträts aus dem Musée d’Orsay stoppen – in ganz, ganz kurzem Abstand, vielleicht 20 Zentimeter. Er stand an der einen Seite des Gemäldes, ich auf der anderen, so dass wir zu dritt etwa einen halben Quadratmeter belegten. Seltsamerweise begann er dann die Maltechnik zu erläutern und vermied es die ganze Zeit, über den Mann oder die Gefühle zu sprechen, die das Gemälde auslösen konnte. Er sagte einfach: ‚Schau mal, er hat drei verschiedene Blautöne gebraucht – hier Preußischblau, da Cölinblau und dort Marineblau. Und für alle drei gibt es bestimmte Gründe.‘

Dann erklärte er mir, warum das Auge völlig von roten Linien eingerahmt war und dass man das nur aus allernächster Distanz erkennen konnte. Deshalb ließ er mich auch so nahe rantreten. Seine Bemerkungen waren so scharf und präzise, dass sie die Emotion, die in dem Gemälde steckten, nicht zerstörten, sondern erst richtig zum Leben erweckten. Es war so, als würde uns van Gogh zuhören. Es kam mir so vor, als würde ich sein Herz schlagen, ihn neben uns atmen hören, weil es ihn freute, was ein anderer Maler über ihn sagte. Ich war 82 und ich hätte mir nie erträumen lassen, dass bei mir in dem Alter ein Gemälde noch solche Gefühle auslösen würde. Das habe ich natürlich Julian zu verdanken. Allein wäre ich vermutlich an diesen Bildern vorbeigegangen, ohne etwas zu bemerken. Das waren eben keine sozioästhetischen oder historischen Betrachtungen, und das wusste ich extrem zu schätzen. Hier kamen vermutlich auch meine Erfahrungen als Filmemacher zum Tragen. Denn für mich ist Technik eine Sprache: Keine Kamerabewegung kann unschuldig sein. Das Gleiche galt für van Goghs Selbstporträt. Wir standen eine ganz lange Zeit da. Und an dem Tag – ich hoffe, davon gibt es noch mehr – entdeckte ich, was man alles mit Malerei erreichen kann. Und das dank ganz einfacher, fast würde ich sagen gewöhnlicher Beob- achtungen: ‚Er hat diese Art von Pinsel, diese Sorte von Farbe benutzt. So fing er an, damit machte er weiter usw.‘ Es war wie die Geschichte einer Geburt, des Beginns eines Lebens.”

Laurence des Cars, Direktor und Vorstandsvorsitzender der Musée d’Orsay und Musée de l’Orangerie, Paris, (dem d’Orsay hat der Film bekanntermaßen seine Entstehung zu verdanken und Schnabel präsentierte dort unlängst die Ausstellung „Orsay gesehen von Julian Schnabel”) meint zu VAN GOGH - AN DER SCHWELLE ZUR EWIGKEIT: „Das geht über die klassische Filmbiografie hinaus. Das ist wahrlich der Film eines Malers, die Vision eines Künstlers, der uns einen Einblick in den kreativen Schaffensprozess vermittelt. Für mich erinnert er an ein Schnabel-Porträt. Es gibt denkwürdige Momente, wo die Kamera und damit Schnabel sprichwörtlich an die Stelle van Goghs tritt. Julian hat sehr viel von sich in diesen Film eingebracht, und er sagt Dinge über die Malerei, die ihm sehr am Herzen liegen.”

„Wenn sie sich van Goghs Gemälde und Zeichnungen anschauen, erkennen sie die Perspektive einer Person, die sich weit entfernt von der Gesellschaft inmitten der Natur befindet.“, so Ko- autorin und Cutterin Louise Kugelberg. „Wir mussten auch selbst diesen Weg einschlagen und ihm auf diesem körperlich anstrengenden Pfad folgen, um das zu sehen, was er gesehen hatte. Stille ist so wichtig wie Dialog, die Landschaft so bedeutsam wie das Porträt. Für den Film reisten wir an alle Orte, wo van Gogh in seinen letzten beiden Jahren arbeitete und lebte – Arles, die Nervenheilanstalt von Saint-Remy, Au- vers-Sur-Oise. Die Geschichte ist hauptsächlich aus der ersten Person erzählt. Ich hoffe, sie bietet die Chance, ein wenig im Körper dieses Mannes zu leben, anstatt ihn aus der Distanz zu beobachten.”

Im Lauf der Dreharbeiten spielte Kugelberg (eine Innendesignerin, die für ihre Kombinationen aus historischen Renovierungen mit moderner Kunst bekannt ist) eine zunehmend wichtigere Rolle für die Entstehung des Films. Auf diese Weise entwickelte sich eine dreigeteilte Zusammenarbeit, wie Julian Schnabel erläutert: „Sie brachte eine Affinität für die Natur mit, durch die sie auch dem Drehbuch und der ganzen Produktion van Goghs tiefes Naturverständnis vermittelte.”

Foto:
© Verleih

Info:
Besetzung
WILLEM DAFOE (Vincent van Gogh)
RUPERT FRIEND (Theo van Gogh)
MADS MIKKELSEN (Priester)
MATHIEU AMALRIC (Doktor Paul Gachet)
EMMANUELLE SEIGNER (Md Ginoux)
AMIRA CASAR (Johanna van Gogh)
ANNE CONSIGNY (Lehrerin
OSCAR ISAAC (Paul Gauguin))