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Kategorie: Film & Fernsehen
f binocheSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. August 2019, Teil 4

Redaktion

Paris (Weltexpresso) - Kannten Sie den Roman von Camille Laurens, die Grundlage für die Filmadaption? 
Ich habe ihn nur einmal gelesen, nachdem ich das Drehbuch gelesen hatte. Die Struktur der Geschichte fand ich atemberaubend und ich wollte sehen, ob das Buch die gleiche emotionale Spirale besitzt. Ich war überrascht über die Freiheit, die sich Safy erlaubte und wie er sich die Story zu Eigen gemacht hat. Ich habe mir einige kostbare Momente aus dem Roman herausgefischt und er zeigte sich begeistert davon, sie in das Drehbuch einzubringen. Bei der Übertragung in einen Film ist der Verrat am Buch zwingend notwendig. Aber es noch einmal während der Dreharbeiten zu lesen, ist eine geniale Quelle, sich den Zusammenhang erneut in Erinnerung rufen zu können – die Emotionen, den Tonfall oder den inneren Raum, die die Darstellung antreiben. Was sich da lebendig anfühlt, muss bleiben. Worte sollten wie Stimulanzien wirken. Sie fungieren nicht nur als Ideen, sie beinhalten Themen und Gedanken, die wir zum Leben erwecken müssen, die die Leute neugierig machen – und das nicht nur auf einer intellektuellen Ebene. Camille Laurens zu treffen war mir ein großes Vergnügen. Sie zeigte sich auf Anhieb sehr offen, sehr herzlich und sehr freundlich. Später tauchte sie sehr diskret am Set auf und gab uns jedwede Unterstützung.


Was hat Sie am Meisten am Drehbuch fasziniert? Der (atemberaubende) Aufbau oder die Doppelrolle bzw. die multiple Rolle selbst?

Es geht nicht nur um Faszination, besonders bei diesem Film ging es um die Leidenschaft und Gefährlichkeit der Geschichte überhaupt. Das Unbekannte regt die Neugier an. Für mich hieß das, in eine mir fremde Welt einzutauchen, in die von Facebook und seinen Möglichkeiten. Die Struktur des Drehbuches erlaubte mir, mich sukzessive an den Gefühls- und psychologischen Zustand meiner Figur heranzutasten. Sie macht unterschiedliche Zeitabschnitte durch: die Zeit mit ihrer Therapeutin, die Zeit wie im Roman und dann ihr Leben, dem wir im Film folgen und das sich wandelt. Diese Frau bewegt sich in verschiedenen Altersstufen, so glaubt sie wenigstens. Sie wundern sich wahrscheinlich, wie es möglich ist, dass eine Frau, die Literatur studiert hat und als Universitätsprofessorin arbeitet, an ihrem iPhone klebt wie ein Teenager. Sie scheint ein in sich widersprüchliches Leben zu leben. Trotz ihrer akademischen Bildung hält sich eines ihrer fundamentalen Bedürfnisse aus der Kindheit: der Wunsch nach Bestätigung und Liebe. Das Gefühl des Verlassen worden seins scheint der Auslöser für ihren Identitätsverlust zu sein. Für mich war es überraschend zu sehen, wie sie aus Enttäuschung oder Rache ein Fake-Profil nutzt und es dadurch, dass sie sich total in dieses neue Leben wirft, schafft, diese Lüge zu vergessen. Folglich erlaubten mir die zahlreichen Facetten ihrer Persönlichkeit, ihre komplexen Gefühle zu erforschen: Begehren, Angst vor dem Verlust der Jugend, die Kraft der Fantasie. Gleichzeitig verstand ich, wie jemand im selben Zuge eine ganze Welt erschaffen kann, für die man lebt und die einen am Leben hält, aber gleichzeitig auch erdrückt. Claire hat die Fähigkeit, ins Leben zurückzukehren, als sie vor einem Scherbenhaufen steht... Und davon erzählt der Film.

 
Claire ist eine Figur, die den Boden unter den Füßen verliert, sich selbst wieder aufrappelt, erneut strauchelt usw. Jemand, der sein Unglück mit sich stetig herum schleppt...

Am Ende, wenn sie ganz unten angekommen ist, wenn sie alles verloren hat und nicht mehr zurückkehren kann, eröffnet sich ein neuer Bewusstseinsstand. Das wahre Elend zeigt sich, wenn man in seiner Erfahrung dem Tod nahegekommen ist – das kann katastrophal sein, macht aber menschlich. Stolz alleine ist da kein Rettungsanker mehr, man muss ein Stück Glauben aufgeben und Werte, die relevant schienen. Wenn das Unglück uns nicht komplett bricht, kann die Erfahrung dessen zu einem inneren Leitfaden werden. Am Anfang des Films wird Claire von zwei Menschen zurückgestoßen – von ihrem Mann und ihrem jungen Liebhaber. Nach so einem heftigen Nackenschlag ermöglicht es ihr der Aufbau ihres Avatars, den Kopf aufrecht zu halten und nicht unterzugehen, sich als nicht besiegt zu behaupten. Sie kann diese Situation bezwingen, sie kann ihre Kraft und Macht spüren, ihre Freude und Neugier. Als sie dann jedoch in die Sackgasse ihrer Lügengeschichte gerät, muss sie sich dem grausamen Ende der Illusion stellen. Der angebliche Selbstmord ihres fiktionalen Liebhabers, verkündet von ihrem vormaligen Liebhaber, zeigt, welches Gewicht diese Liebe besaß. Es ist ein Beweis für eine Liebe, die tröstet, aber auch zerstört. Claire fällt in eine Depression, die sie dazu bringt, sich wieder mit ihrem wahren Selbst zu verbinden, auch wenn sie noch eine Zeitlang die Wahrheit leugnet.


Ist es für eine Schauspielerin nicht doppelt verwirrend, eine Frau darzustellen, die an einem bestimmten Punkt nicht mehr zwischen Fiktion und Realität unterscheiden kann?

Das ist nicht das erste Mal! In Olivier Assayas‘ DIE WOLKEN VON SILS MARIA, Abbas Kiarostamis DIE LIEBESFÄLSCHER und Michael Hanekes CODE: UNBEKANNT spiele ich beispielsweise auch eine Figur zwischen Realität und Fiktion... Regisseure lieben dieses Thema und für uns Schauspieler ist es ein Spaß, weil man eine Distanz wahren kann, obgleich man voll bei der Sache ist - ein bisschen wie im realen Leben. Vielleicht, weil diese Geschichten in der Geschichte uns den Spiegel vorhalten, uns helfen, unser Verhalten zu verstehen und auch die Regeln, nach denen wir spielen. Wir erzählen uns selbst ständig Geschichten, oder? Subjektivität gehört zu den Grundfesten unseres Lebens, obwohl wir irgendwie wissen, dass „Realität“ woanders ist, wir fühlen und verstehen das. Dennoch wissen wir nicht immer genau, was „Realität“ wirklich bedeutet, wo ihre Grenzen liegen. Der Film vermittelt uns unterschiedliche Sichtweisen auf eine Geschichte. So scheint auch die Therapeutin dieser Frau berührt zu sein, die ihr Leben hinterfragt, ihre Weiblichkeit, ihr Verlangen und die verronnene Zeit.


Der alltägliche Sexismus ist auch ein Thema in diesem „Matrjoschka-Film". Als Claire diese OnlineFigur auf Facebook erfindet, die halb so alt ist wie sie, ist das doch kein reiner Zufall, oder?

Natürlich, ihre Online-Persönlichkeit ist jung und schön und sie nutzt diese wie eine magische Waffe. Dieses Alter Ego ist ihr Feind Nummer 1, gleichzeitig aber auch ein ultimatives Machtinstrument, das es ihr erlaubt, zu manipulieren, Spaß zu haben und Teil dieser Gesellschaft zu sein, die sie ansonsten an den Rand gedrückt hat. Da spielt auch eine Art Ironie mit, wenn sie diese Fotos auf ihrem falschen Profil postet, die Ironie reserviert für das Schicksal der Frauen ihres Alters. Es geht nicht nur darum, durch dieses Foto wieder jung zu sein, sondern diese Jugend zu benutzen, um auch Würde und Kraft für eine kurze Zeit zurück zu gewinnen. Es dauert eine ganze Weile, bis sie ihre wahre Stärke zurückerobern kann – eine tief verwurzelte Unabhängigkeit, Befreiung von ihren Ängsten und die an sie gerichteten Erwartungen. Einen Verlust zu akzeptieren ist eine Stärke, die mit dem Alter kommt und ein inneres Universum öffnet, wo Glück auf unterschiedliche Weise erlebt wird.


Ein weiterer Fokus des Films liegt auf den Sozialen Medien mit ihren gefährlichen Möglichkeiten und Abhängigkeiten... I

ch persönlich habe einen Instagram-Account, ich finde ihn sehr unterhaltsam, denn er eröffnet mir den direkten Weg, Informationen über meine Arbeit, Filmaufnahmen, Fotos und etwas Poesie mit Leuten aus der ganzen Welt zu teilen. Diese internationale Verbindung gibt mir Sicherheit. Durch die sozialen Medien hat sich die Kommunikation total verändert – wir sind skeptischer gegenüber den klassischen Medien geworden. Information breitet sich in jede Ecke aus, und wir haben den Eindruck, dass alles sehr schnell geht, sich alles beschleunigt. Um sich wieder auf die eigene Energie zu fokussieren, benötigen wir die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein dafür, dass wir von allen Seiten beobachtet und beeinflusst werden.


SO WIE DU MICH WILLST ist ihr erster Film mit Safy Nebbou. Ist diese enge und kreative Zusammenarbeit mit den Regisseuren üblich für Sie?

Am Anfang gab es unsere Begeisterung dafür, einen gefährlichen und furchtlosen Film gemeinsam zu realisieren. Unser gegenseitiges Vertrauen wuchs im Laufe der Arbeit. Wir waren beide offen genug, uns gegenseitig Fragen zu stellen, wie auch uns selber. Das Gefühl von Freiheit teilten wir beide. Am Anfang, das muss ich sagen, war Safy noch etwas zurückhaltend aufgrund meiner Zusammenarbeit mit anderen Regisseuren. Ich glaube, er dachte, ich würde ihm durch die Finger gleiten.


Was meinen Sie damit?

Es überrascht mich, dass es in Frankreich Produzenten und Regisseure ängstigt, wenn ein Schauspieler sich schon vor den Dreharbeiten mit einem Film beschäftigt und in die Vorbereitung hineinkniet. Eine interessante Beobachtung. Im Gegenteil, es sollte doch beruhigend sein, mit einem Schauspieler zu arbeiten, der früh einsteigt. Das macht der Regisseur mit seinem Kameramann und seinem Set-Designer doch auch. Die frühe Vorbereitung bietet dem Schauspieler mehr Freiheit und eine höhere Flexibilität im Spielen. Es ist doch so: Wenn er oder sie das Projekt in- und auswendig kennt und voll in den kreativen Prozess integriert ist, nutzt das dem Projekt, inspiriert den Regisseur   und möglicherweise auch das Team.


Man kann sagen, dass SO WIE DU MICH WILLST schlussendlich eine scharfsichtige Reflexion der weiblichen Psyche darstellt...

Der Film ist das Porträt einer vielschichtigen und trotz allem nicht mit Komplexen beladenen Frau. Safy weiß genau, wie er sich dem weiblichen Wesen seiner Charaktere nähern muss. Er hat keine Angst davor, sondern er ist davon fasziniert, obgleich er nicht sicher ist, dass er alles genau versteht. 10 Ich meine damit, er stellt sie nicht in die „Alien-Ecke“, auch wenn er manches vielleicht nicht begreift. Ich glaube, seine Liebe zu Filmen von Ingmar Bergman hat ihm geholfen, die ganze Skala der weiblichen Empfindungen zu erfassen.


Man hat das Gefühl, dass Claire etwas sehr Persönliches in Ihnen berührt. Würden Sie dem zustimmen?

Wenn man eine Rolle spielt, erlaubt einem die Figur immer, etwas Neues in sich selbst zu erkunden. Immer. Die Idee, sich selbst in Gefahr zu begeben oder Unbehagen zu spüren, kann man nicht vom künstlerischen Prozess trennen. Auf der anderen Seite stimmt es, dass Claire zu den Rollen gehört, in welchen ich fürchtete, meinen Halt zu verlieren und die die Auseinandersetzung mit dem eigenen Alter provozierte. Da gibt es einen Moment, in dem Claire durch den Schmerz ziemlich lädiert aussieht. Sie lässt sich gehen und ihr graues Haar kümmert sie nicht mehr. Genau da versteht man die Reise, die sie durchgemacht hat, das körperliche und emotionale Auf und Ab, durch das sie gegangen ist. Es hat mir Spaß gemacht, die Unterschiede in Claires „diversen Leben" zu verkörpern, obgleich die Szenen mit der Therapeutin sehr anstrengend waren. Gegen Ende wollte ich einfach nur, dass es vorbei geht. Einerseits ist da die 50-jährige Claire, verlassen, alternd, unauffällig; dann taucht die begehrte Clara mit ihrem Verlangen und ihrer Sehnsucht auf; die Claire aus dem Roman ist kreativ, selbstbewusst und attraktiv, auf der anderen Seite ist sie eine 50-Jährige mit grauen Haaren, die nachlässig mit sich umgeht. Und die am Ende geläutert den emotionalen Turbulenzen entkommt, als die von ihren alten Ängsten befreite Claire. Es war einfach toll, so viele unterschiedliche Seiten einer Alterskategorie auszuspielen.


Ist es nicht paradox, in einem sehr strukturierten Film wie SO WIE DU MICH WILLST, ein solches Gefühl für das Loslassenkönnen entwickelt zu haben?

Stimmt, da ist etwas sehr Direktes und sehr Unverblümtes – obgleich der Film von einem Versteckspiel handelt. Gott sei Dank gab es eine Struktur. Dass wir beide loslassen konnten resultiert aus dem Vertrauen zwischen Safy und mir. Es dominierte die reine Freude an der Zusammenarbeit, und ich spürte, dass die ganze Crew und auch das Produktionsteam von dieser, in uns lodernden, Energie gesteuert wurde. Es gibt nichts Schöneres als dieses undefinierbare Gefühl, das dich überwältigt, über dich hinauswächst und trotzdem eine große Verbundenheit entstehen lässt.

Foto:
© Verleih

Info:
BESETZUNG

Claire Millaud                 JULIETTE BINOCHE
Alex Chelly                      FRANCOIS CIVIL
Dr. Catherine Bormans   NICOLE GARCIA
Katia                               MARIE-ANGE CASTA
Ludovic Dalaux              GUILLAUME GOUIX
Max                               JULES HOUPLAIN
Tristan                            JULES GAUZELIN
Gilles                              CHARLES BERLING
Solange                          CLAUDE PERRON

Abdruck aus dem Presseheft