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Kategorie: Film & Fernsehen
f binoche1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. August 2019, Teil 5

Redaktion

Paris (Weltexpresso) -SO WIE DU MICH WILLST ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Camille Laurens. Wie sind Sie auf die Geschichte gestoßen?

Zum ersten Mal ist mir der Roman in einem Newsletter von Gallimard aufgefallen. Sofort hatte ich Lust, ihn noch vor der Veröffentlichung zu lesen. Ich habe ihn verschlungen und war total überwältigt. Schon während der Lektüre habe ich an Akira Kurosawas Film RASHOMON gedacht, in dem jeder seine Version der Geschichte erzählt. Auch Alfred Hitchcocks VERTIGO – AUS DEM REICH DER TOTEN kam mir in den Sinn, in dem James Stewart sich in das Trugbild einer Frau verliebt. Ich dachte an Marivauxs‘ LES SERMENTS INDISCRETS wie auch an Choderlos de Laclos‘ GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN aber auch an die Geschichten von Borges und Pirandello. Mein Produzent Michel Saint Jean war genauso begeistert wie ich. So haben wir uns hingesetzt und das Drehbuch geschrieben. SO WIE DU MICH WILLST ist unser dritter gemeinsamer Film nach DAS ZEICHEN DES ENGELS und COMME UN HOMME.


SO WIE DU MICH WILLST ist nicht ihre erste Literaturadaption. Auch COMME UN HOMME basiert auf einem Roman von Boileau-Narcejac. Wie unterscheiden sich die beiden Adaptionen?

Camille Laurens' Roman ist sowohl sehr komplex als auch unerbittlich wie das Gefüge einer Uhr. Das auf die Leinwand zu bringen war eine sehr anspornende Herausforderung. Es ist eine fortlaufende Erzählung, in der die erste Story mit der zweiten verkettet ist und sich beide um das Thema Identität drehen. Lügen, Betrügen, Wahrheit, Manipulation und Liebe, das sind die tollen Zutaten für dieses narrative Labyrinth. Neben dem romantischen Aspekt mit seinen zahlreichen Anspielungen auf das Thriller-Genre geht es auch um eine gesellschaftliche Dimension. Kurz: dieser verschachtelte Roman mit verschiedenartigen Ansätzen, der wiederum mittels unterschiedlicher sprachlicher Kommunikationsformen erzählt wird, eröffnete spannende Perspektiven für eine Filmadaption. Und ist es nicht so, dass Kino uns dazu bringt, für die Zeit eines Spielfilms die auf der Leinwand abgebildete Fiktion als Wahrheit zu betrachten?


Das hat Sie vom formalen Standpunkt gereizt. Aber wie steht es mit dem Inhalt? Ihr Film zeigt eine tiefe Verbindung zu Claire, der einsamen Hauptfigur, die sich eine fiktionale Online-Persönlichkeit schafft...

Claire will einen Konflikt lösen, indem sie in die Haut einer anderen Frau schlüpft. Was mich sofort an ihr berührte, war ihr Status als unsichtbare Frau – symbolisch für die meisten Frauen über 50. Meine Absicht war es nicht, gegen diesen Status zu protestieren oder ihn frontal anzugehen, es ging auch nicht um eine militante Herangehensweise. Für mich ist Claire eine Art „Anti-Heldin“, sehr komplex und gleichzeitig in sich widersprüchlich. Ihre tragische Dimension ist deshalb bestimmt von einem zerstörerischen Schuldgefühl. Sie überwindet ihre Demütigung und ihren Schmerz, indem sie ihre Lebenskraft durch eine andere, imaginäre Frau ausdrückt. Sie ist eine unglückliche Person und teils auch Opfer unserer heutigen Gesellschaftsstruktur. Das Gefühl, die beste Zeit hinter sich zu haben, abgelehnt zu werden sowie die Erkenntnis, dass man dadurch, dass Zeit vergangen ist, an den gesellschaftlichen Rand gedrängt und in vielen Dingen vielleicht kaltgestellt wird, trifft nicht nur auf Frauen zu, sondern ist allgemein gültig.


Julie Peyr ist Ko-Autorin des Drehbuchs...

Ausschlaggebend war aber nicht ihr Geschlecht, sondern ihre Qualität und Erfahrung als Drehbuchautorin, die ich sehr schätze, wie z.B. in ihrer Arbeit mit Arnaud Desplechin bei JIMMY P. – PSYCHOTHERAPIE EINES INDIANERS, MEINE GOLDENEN TAGE und LES FANTôMES D'ISMAËL. Ich konnte mir nie einen männlichen Ko-Autor vorstellen. Gleichberechtigung lautete das Gebot. Da Julie Peyr in Los Angeles lebt, mussten wir uns länger als ein Jahr lang über Skype und WhatsApp austauschen. Man kann also sagen, dass wir uns bereits weit vorher in einer ähnlichen Art von Kommunikation bewegten, wie sie auch im Film wieder aufgegriffen wird.


 SO WIE DU MICH WILLST ist eine faszinierende Reflexion über die menschlichen und eben auch romantischen Möglichkeiten, die uns soziale Medien eröffnen können. Sind diese das neue Terrain für künftige „gefährliche Liebschaften"?

Genau, allerdings oft weniger romantisch. Aber der Begriff „gefährliche Liebschaften“ ist hier sehr treffend, weil Claire als Professorin für vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität arbeitet. Es liegt doch auf der Hand, an Laclos‘ Text zu denken, wenn man die Machtspiele und Manipulationen unter die Lupe nimmt, die in den sozialen Medien Alltag sind. Im Schutz der virtuellen Welt ist es doch leicht, eine neue Identität und ein neues Leben zu erfinden. Eines, das wir gerne leben würden... Soziale Netzwerke eröffnen unendlich viele Möglichkeiten verschiedener Formen dieser sogenannten „gefährlichen Liebschaften“ zu begünstigen, zu pflegen und anzufeuern. Wahrscheinlich werden diese neuen Technologien auch neue Krankheitsbilder erzeugen.


Dieses Thema liegt Ihnen wohl sehr am Herzen...

Ja, weil ich selbst von einer Frau im Netz hinters Licht geführt wurde. Eine Frau in Claires Alter, die vorgab, jünger zu sein. So wie Claire. Diese Affäre – ich nenne es „Affäre“ – passierte, als ich an der Adaption von SO WIE DU MICH WILLST schrieb. Ist das nicht unglaublich? Ich habe mit diesem „Catfish“ drei Monate Mails ausgetauscht, bevor ich die unangenehme Wahrheit entdeckte. Wie Claire benutzte sie das Bild einer anderen. Ich gebe zu, ein Großteil dieser Erfahrung inspirierte mich beim Schreiben sehr, und ich habe sogar einige Passagen unseres Austausches genutzt.


Wirklichkeit und Fiktion vermischen sich auf mehreren Ebenen bei diesem Abenteuer...

Es ist schon verrückt, aber gleichzeitig auch logisch! Man kann sagen, dass Claire, wie die Frau, die mich reingelegt hat, als eine Drehbuchschreiberin in dem Sinn fungiert, dass sie ihr eigenes Leben schreibt, sich selbst eine Rolle zuteilt und diese inszeniert, als wäre sie eine Schauspielerin oder eine Regisseurin. Hier findet sich eine primäre Annäherung an die Filmkunst und insbesondere an meinem Film. Darüber hinaus – und das ist kein reiner Zufall – ist SO WIE DU MICH WILLST der „filmischste“ meiner Filme mit einer leichten und bescheidenen Anspielung auf Hitchcock im ersten Teil und auf Truffaut oder Sautet in der zweiten Hälfte.


 Ihr narrativer Ansatz ist von einer starken Visualität geprägt, wenn man an die vielfachen Spiegelungen in den französischen Fenstern, Spiegeln, Bildschirmen denkt...

Der Film hat eine „Genre“-Dimension, das stimmt, er ist weit entfernt von einer naturalistischen Schreibweise. Diese Wahl war nötig, um voll und ganz in die Geschichte einzusteigen. Wir befinden uns die ganze Zeit über in einer symbolischen, spielerischen und metaphorischen Form des Ausdrucks. Der Computer-Bildschirm beispielsweise richtet sich darauf, dass wir uns selbst gegenüberstehen (unser eigenes Image widerspiegelnd), während gleichzeitig die Wirklichkeit verborgen wird (indem wir in eine virtuelle Welt eintauchen). Der Film spielt mit diesen Spiegel-Effekten. Zusätzlich bewegt sich die Erzählung hin und her zwischen Claires Realität und dem virtuellen Leben ihrer Online-Figur. Um das zu erreichen, haben wir sehr intensiv mit Kameramann Gilles Porte und Set-Designer Cyril Gomez-Mathieu zusammengearbeitet. Wir suchten nach Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen nicht nur in den Bildern, sondern auch im Licht und Tempo. Deshalb war auch eine kontinuierliche Abgleichung von Symbolen und Bildschirm nötig. Wir wollten, dass die optische Wahrnehmung des Alltaglebens mit der Vorstellung von Perfektion einherging. Darüber hinaus haben wir den Blick auf das heutige Paris mit seiner Gegenwartsarchitektur und seinem urbanen Charakter geworfen und die Umgebung sehr bewusst angepasst. Ich denke da speziell an Claires von Fenstern umgebene Hochhauswohnung, eine Art Glaskasten. Wenn es dunkelt, erscheint ihr Spiegelbild in den Panoramafenstern und ihr Double kommt auf diese Weise ins Spiel... Das Bild entwickelt fast eine geisterhafte Dimension.


Juliette Binoche ist ihre ideale Claire/Clara...

Haben Sie hinsichtlich der Besetzung von Anfang an sie gedacht? Von der ersten Minute. Ich hatte sie schon beim Drehbuchschreiben vor Augen, und als ich ihr das fertige Skript geschickt habe, hat sie es in drei Stunden gelesen und auf der Stelle zugesagt. Wir haben auf sehr konstruktive Weise noch einmal am Drehbuch gefeilt. Bezüglich der Narration vertritt Juliette einen allumfassenden und sehr scharfen Standpunkt, sie sprühte vor Ideen. Zwischen uns herrschte großes Vertrauen. Ich habe gefühlt, dass da etwas über Geschichte und Rolle hinaus war, was sie als Frau angesprochen hat. Am Set ist sie wie eine Stradivari, zeichnet sich durch Ehrlichkeit und Mut aus. Sie hat nicht das Gespür des kleinen Mädchens verloren, welches Schauspielerin sein wollte. Ich schätze ihre Großzügigkeit und sie scheint keine Angst vor Gefahr zu haben oder davor, sich zu exponieren. Juliette steht voll und ganz zu ihrem Alter, aus diesem Grund verfügt sie auch über diese einzigartige Ausstrahlung. Und deshalb war es ein großes Vergnügen, mit ihr zu arbeiten.


François Civil als ihr belogener und betrogener Lover und Nicole Garcia als Therapeutin beeindrucken ebenfalls durch eine wunderbare Intensität...

François ist ein vielversprechender und äußerst talentierter Schauspieler. Ich kannte seine bisherige Arbeit im ernsthaften Genre nicht besonders gut. Er stimmte den Casting-Aufnahmen sofort zu und die Wahl fiel ganz klar auf ihn. Er näherte sich dem Charakter sehr bescheiden und mit großer Sensibilität an. Während der ersten Hälfte des Films muss er viele Emotionen durch Telefonate ausdrücken, das ist nicht einfach. Um die besten Voraussetzungen für die Annäherung zwischen den beiden zu schaffen, haben wir diese Szenen kontinuierlich so gedreht, ohne dass sie sich getroffen haben. Und das funktionierte gut. Was Nicole Garcia betrifft, war sie eine Traumbesetzung für mich, da sie beides ist: nicht nur eine Schauspielerin, sondern auch eine gute Regisseurin, eine wirklich seltene Kombination. Fakt ist, schon durch ihre Präsenz erhält die Rolle der Therapeutin mehr Gewicht. Darüber hinaus verlieh sie der Figur Fragilität und Feinheit, zum Beispiel wenn sie als Therapeutin an ihrer Aufgabe scheitert, weil sie sich zu sehr in ihre Patientin hineinversetzt. Mir gefällt diese Idee von weiblicher Solidarität.


Das dritte wichtige Thema in SO WIE DU MICH WILLST handelt offensichtlich von der Liebe, allerdings im Wesentlichen in einer fiktionalen Form. Ist das auch wieder eine Art Projektion?

Wahrscheinlich ja... In der ersten Hälfte ist die Liebe zwischen Clara und Alex eine unmögliche Liebe und basiert einzig und allein auf Lügen. Aber obgleich ihre Bindung erfunden ist, ist sie trotzdem real. Im zweiten Teil existiert die Liebe zwischen Claire und Alex, aber sie ist dennoch fiktional. Ich möchte Antonioni zitieren mit einem Satz, der sich auch in Camille Laurens‘ Roman findet: „Liebe heißt, in der Imagination einer anderen Person zu leben“. Das ist es. Ich habe versucht, ein bisschen über die Liebe zu reflektieren mittels des imaginären Lebens dieser facettenreichen Frau.


Könnte man so weit gehen und – in Anlehnung an Flauberts berühmten Satz über Emma Bovary - sagen, Claire sind Sie?

Auf ihre Art verweigert sich Claire der Idee von der verrinnenden Zeit, indem sie sie sich weigert, ihr sexuelles Verlangen und ihre Sehnsucht aufzugeben. In diesem Sinn hoffe ich, dass Claire auch mich verkörpert und in dieser Konsequenz eben auch alle anderen...


ÜBER SAFY NEBBOU

Safy Nebbou, Sohn einer deutschen Mutter und eines algerischen Vaters, arbeitet als Filmregisseur, Drehbuchautor und Theaterdirektor. Zuerst plante er eine Schauspiel-Karriere, begann dann als Theaterregisseur am Théâtre des Chimères in Paris, wo er acht Jahre blieb. Später startete er mit international ausgezeichneten Kurzfilmen wie PÉDAGOGIE (1997) mit Julie Gayet oder LA VIE N'EST PAS UN PIQUE NIQUE (1999) durch und inszenierte Werbespots u.a. für France Télécom, Orange und Renault. Seinen ersten langen Spielfilm drehte er 2003. Das Melodram DER HALS DER GIRAFFE („Le Cou de la Girafe“) mit Sandrine Bonnaire und Claude Rich wurde ein Jahr später mit dem Naguib Mahfouz Award auf dem Cairo International Film Festival ausgezeichnet. 2007 folgte der Psychothriller DAS ZEICHEN DES ENGELS („L'empreinte de l'ange“) mit Catherine Frot und Sandrine Bonnaire. Sein historischer Film L'AUTRE DUMAS über den Schriftsteller Alexandre Dumas aus dem 19. Jahrhundert mit Gérard Depardieu, Benoît Poelvoorde und Mélanie Thierry lief im Berlinale Special 2010. COMME UN HOMME (2012) und DANS LES FORETS DE SIBÉRIE (2016) nach Sylvain Tessons gleichnamiger Romanvorlage begeisterten das französische Publikum. Auf große Resonanz stieß auch seine Theater-Adaption von Ingmar Bergmans SZENEN EINER EHE mit Laetitia Casta und Raphaël Personnaz, die im Februar 2017 im Theâtre de l'oeuvre Premiere feierte. Seine Verfilmung von Camille Laurens gleichnamigen Buch SO WIE DU MICH WILLST wurde auf der Berlinale 2019 in der Sektion Special Gala präsentiert. Derzeit arbeitet Safy Nebbou, der sich auch für die Drehbücher zu seinen Filmen verantwortlich zeichnet, an der Verfilmung von Daniel Pennacs AFRIKA UND BLAUER WOLF ("L'oeil du loup").


Foto:
© Verleih

Info:
BESETZUNG

Claire Millaud                 JULIETTE BINOCHE
Alex Chelly                      FRANCOIS CIVIL
Dr. Catherine Bormans   NICOLE GARCIA
Katia                               MARIE-ANGE CASTA
Ludovic Dalaux              GUILLAUME GOUIX
Max                                JULES HOUPLAIN
Tristan                            JULES GAUZELIN
Gilles                              CHARLES BERLING
Solange                          CLAUDE PERRON

Abdruck aus dem Presseheft