f photoSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. August 2019, Teil 9

Redaktion

Mumbai (Weltexpresso) - Mumbai ist eine Stadt, die es Autoren von Reiseführern nicht gerade leicht macht - die Sehenswürdigkeiten lassen sich bequem auf zwei, drei Seiten aufzählen. Viele raten westlichen Touristen sogar explizit, den Besuch möglichst kurz zu gestalten: Die Stadt stinkt vielerorts entsetzlich, der Verkehr ist eine einzige Zumutung, die Slums zählen zu den größten der Welt, die Hotels sind teuer, viele Museen in einem erbärmlich traurigem Zustand, historische Gebäude rotten vor sich hin.

Aber Mumbai ist eben auch die "City of Gold" mit einer magischen Anziehungskraft, die man ohne weiteres mit der von New York oder Paris vergleichen kann. Es braucht jedoch alle Sinne und den Willen, sie zu überfordern, versucht man, diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Es sei denn, man nähert sich Mumbai auf Umwegen an - zum Beispiel über Filme. C.I.D aus dem Jahr 1956 könnte man sich beispielsweise ansehen, darin singt Dev Anand den immer noch populären Song Bombay meri jaan - die heimliche Hymne der Stadt.

Mumbai ist die Wirtschafts- und Finanzmetropole Indiens, die ihre Blütezeit dem Baumwollboom verdankt. Im Stadtzentrum, entlang der zwei wichtigen Eisenbahnlinien, stehen noch viele der riesigen Spinnereien und Webereien, wie Industrie-Saurier. Einige sind bereits zu schicken Einkaufs- und Bürozentren umgebaut worden, über den anderen kreisen Spekulanten - die Immobilienpreise in Mumbai ähneln denen in Tokio. Die Baumwollindustrie zog vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts Migranten aus dem ganzen Subkontinent an, oftmals kamen nur die Männer. Heute sind die meisten der Menschen, die täglich neu in die überfüllte Stadt drängen, Flüchtlinge vom Land - Bauern, die von der Landwirtschaft nicht mehr leben können. In Mumbai hoffen sie, genau wie damals die Migranten, auf eine Anstellung als Kuli oder Riksha-Fahrer, als Hausmädchen oder Putzfrau, oder sie träumen von einer Filmkarriere. Viele dieser Menschen leben in schlimmster Armut, sogar für einen Platz auf dem Bürgersteig zahlt man in Mumbai "Miete". Die meisten wissen das ganz genau, bevor sie ankommen – und trotzdem hören sie nicht auf, den Traum von Mumbai weiterzuträumen.

Der Stoff, aus dem diese Träume von Mumbai sind, der Stadt, die aus Bettlern Millionäre macht, Verstoßenen eine neue Heimat bietet und Kulisse für eigentlich unmögliche Liebesgeschichten ist, werden in Bollywood gemacht. Die berühmte „Film City" hätte ohne die vielen indischen Migranten niemals entstehen können - mehrere hundert Personen arbeiten an den Sets großer Produktionen. Ein Vielfaches an Personal, im Vergleich zu westlichen Studios. Die Handwerkskünste der Migranten aus allen Teilen des Landes waren immer schon sehr gefragt, ebenso die notgeborene Bereitschaft, 12, 15 und mehr Stunden am Tag für geringes Geld Tee zu kochen, Kostüme zu nähen, als Komparsen herumzulaufen, Elektrokabel zu verlegen, Windmaschinen zu bedienen und der Hauptdarstellerin am Set einen Sonnenschirm zu halten. Die unglaublich gemischte, multi-ethnische, multi-linguale, multi-kulturelle Bevölkerung von Mumbai war aber nicht nur als „Produktiv-Kraft" für die Entstehung der Bollywood-Studios entscheidend.

Als 1896 der erste Film im Watson-Hotel lief, schlug das Ereignis ein wie eine Bombe. Den europäischen und amerikanischen Filmverleihern entging die stark ausgeprägte Kinoleidenschaft der Inder nicht, in der Stummfilmzeit wurde fast alles, was in Italien, Frankreich, Russland, Deutschland und in den USA produziert wurde, auch nach Indien verschifft. Es dauerte keine 20 Jahre und der erste indische Film wurde produziert. Doch erst mit der Einführung des Tonfilms entwickelte das indische Kino seine unverkennbaren Elemente. Filme, die Mumbai als verheißungsvolle Traumstadt zeigen, kommen beim indischen Publikum immer gut an – und mit jedem dieser Filme wächst die Zahl derer, die es genau deswegen nach Mumbai zieht.

Mumbai ist aufgrund seiner (Industrie)-Geschichte eine Stadt, die ethnisch und kulturell gemischter ist als andere Städte Indiens. Das hat sich in den letzten 20 Jahren des Wirtschaftsbooms nicht verändert. Die Stadt ist nur immer voller, lauter und größer geworden. Die Mittelschicht hat zahlenmäßig stark zugenommen, ohne dass die Extreme von immensem Reichtum und schlimmster Armut in den oberen und unteren Gesellschaftsschichten verschwunden wären. In den Wohnbezirken oder Stadtteilen erkennt man gleich, ob es muslimische oder christliche Viertel sind, auch die Parsen haben eigene Siedlungen. Doch egal, wohin man kommt: In einem Apartmenthaus, das von Superreichen bewohnt wird, findet man sicher irgendwo Dienstboten oder Kindermädchen, die wirken, als würden sie einem anderen Jahrhundert leben als ihre Arbeitgeber. Ausgebeutet, ja – aber zumeist unbehelligt lässt man sie in ihrem komplett anderen Kosmos.

Das Nebeneinander solcher Kontraste birgt enormen sozialen Sprengstoff, manchmal wundert man sich, warum es – zahlreicher Angriffe auf diese extreme Stadtzivilisation zum Trotz – eine vergleichsweise friedliche Stadt ist. Die Toleranz, die in Mumbai den Nachbarn, dem Kollegen, den Mitreisenden, den Taxifahrern oder Gemüseverkäuferinnen im Alltag entgegengebracht wird, äußert sich selten pathetisch. Es wirkt eher wie ein Geheimnis, über das man nicht so offen spricht, um es nicht zu gefährden. In Mumbai darf man anders sein und nicht nur mit seinesgleichen verkehren: Diese kostbare Freiheit ist es, die die Stadt zum Sehnsuchtsort macht.

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Info:
Besetzung

Rafi                        Nawazuddin Siddiqui
Miloni                     Sanya Malhotra
Dadi                       Farrukh Jaffar
Amjad                    Abdul Quadir Amin
Tiwari’s Geist         Vijay Raaz
Straßenverkäufer   Virendra Sa xena
Rampyaari             Geetanjali Kulkarni
Anmol  Sir              Jim Sarbh
Banke                    Akash Sinha

Abdruck aus dem Presseheft