Barstow poster korr 724x10241Die Dokumentation über ein Land der gespannten Art

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Film spielt an der Interstate 15, setzt zunächst behäbig ein, erregt dann aber wegen der - ganz Déjà-vus – abrupt einsetzenden Ausführungen und Selbstbekundungen zweier Brüder - von 15 – (des einsitzenden Hauptakteurs), die im extaseartigen Stakkato US-amerikanischer Deserts vorgetragen werden, einen gewissen Unwillen.


Nicht nur aufgrund der Nervigkeit der pathetischen Ausdrucksweise der „Jackson Crew“, sondern auch wegen dem, was als unverkennbar US-amerikanisch gilt. Das klischeehafte Hotel-Schild mit der Aufschrift Route 66 federt das nicht ab. 

Kolonialisierung von Natur und Lebenswelt

DSC04020 bereinigt 2Es braucht also einige Minuten, um sich mit dem Werk und Thema auszusöhnen. Die Pathetik der Sprache hebt das Geschick des Autors und Poeten Stanley „Spoon“ Jackson, der „seit 1978 wegen Mordes im berüchtigten San Quentin einsitzt", in eine entrückende Sphäre. Das geschieht im Ton der Segnung des Gewesenen und Passierten. Der Bruder Literat hatte sich in eine Sache verrannt und tötete jemanden. Nun hilft nur noch beten, meint der Vater. Eine lebenslange Strafe, so der, begreife man nicht, das sei nicht angemessen.

DSC04019 bereinigt 2Das verschiedentlich Aufgeblendete, die Landschaft der Minen und Mills, in der noch immer Gold abgebaut wird, die ratternden Züge, die gequälte Landschaft, das eine Maschinenmonsterunwesen vor allem, sind indes doch von so allgemeiner Bedeutung, dass das vermeintliche Wissen von einem Grundproblem amerikanischer Arbeits- und Lebensweise (in Nord wie Süd) wieder sich bestätigt findet. Züge rangieren immer noch, aber „passieren ohne Halt das gottverlassene Barstow“ (in San Bernardino County, Kalifornien), am Fuße des Calico-Gebirges, das das Selbstverständnis der Brüder hervorbrachte wie kein anderer Platz, der sich zum Klettern wunderbar eignete.

Die Kunde von Zerstörung ist die älteste

barstow california 8 1024x5451Umweltzerstörung war schon seit den Erkundungen Alexander von Humboldts aufgefallen, sie ist die Geißel des ganzen Kontinents. Und folglich bleibt nicht aus, dass die Zerstörung der Umwelt in die Zerstörung von Naturen und Biographien umschlagen muss. Denn dieser einen und den vielen einzelnen muss gezeigt werden, wer der Master ist. Es handelt sich um nichts anderes als um Kolonialismus in fortgesetzter Folge, der bis heute fortdauert. Der gegenwärtige Neokolonialismus frisst sich immer weiter und umfassender in alle Bereiche des organischen Lebens, das gegenwärtig bedrohter ist denn je. Das übermitteln die gemächlichen Takes von der umgewühlten Landschaft. Europäisch allerdings läuft es nicht besser.

Hat nicht der Mensch die Mojave-Wüste erst zu dieser auch so erbärmlichen und gräßlichen gemacht?

Die Brüder bilden die örtliche Legende

Der Besagte, der einsitzt, hat in 41 Jahren die Autobiographie ‚By Heart‘ verfasst. Aus ihr wird in dem Dokumentarfilm von Rainer Komers verlesen, ohne dass der Autor und Poet auch nur einmal gezeigt wird. Im Zentrum des Dramas von 15 Brüdern (ohne eine einzige Schwester) steht die Armut und das, was mit ihr zur Welt kommt: Erfahrung von Rassismus, Herabsetzung, Nichtanerkennung des Menschenrechts und der Menschenwürde. So scheint Amerika gebaut zu sein. Worüber sich schon Alexander von Humboldt erregte, was die Sklaverei anging. Das alte Unrecht besteht fort. Die geschundene Landschaft wird zum Sinnbild ausgeübten Unrechts.

barstow california 7 1024x5391Die beiden Brüder setzen immer wieder mit ihren rhythmisch vorgetragenen Erzählungen und Beschreibungen ein, Dramatisches eingeschlossen. Ihr Verhältnis zur Landschaft bleibt sachbezogen, sie ist ihnen trotz allem immer ein Anker gewesen, da sie prägend war und sie als Menschen überdauern wird. Sie gehen einzelne Stätten tastend ab, sind nicht immer ganz sicher, ob sie sich an der richtigen Stelle befinden und berichten, wie sie als Kinder und Jugendliche an den Wegmarken der Heimat auch bleibende Bestätigung erlebten.

Was Menschen der Landschaft antun, tun sie auch einander an

Wie Gewalt das Land prägte und noch immer prägt, zeigen Szenen mit Soldaten in voller Montur, die den Sieg über die Deutschen demonstrationsmäßig nachstellen, vor versammeltem - auch sehr jungem - Publikum. Und es fällt bei dieser Gelegenheit die Bemerkung: „Alle schlugen, dann war Vietnam“. Die jungen Leute dürfen auch mal ran ans Maschinengewehr und legen dann bäuchlings richtig los, dass die Hülsen nur so spritzen. Das gehört zum Inventar Amerikas. Auf den Angriff auf Natur folgt der Angriff mit militärischem Gerät, so als ob es als Spiel gebucht werden könnte.


Cast & Crew
Regie & Kamera: Rainer Komers
Assistent: Abraham Jackson
Ton: Michel Klöfkorn
Voice over: Spoon Jackson
Spoon Jackson aufgenommen von: Michel Wenzer
Editor: Gregor Bartsch
Sound Editor: Oscar Stiebitz
Tonmischung: Pierre Brand
Grading: Timm Kröger
Produktion: kOMERS.film; strandfilm
Förderung: Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein – Film und Medienstiftung NRW – Hessen Film und Medien – Medienboard Berlin-Brandenburg

Info:

Der Film war kürzlich im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen auf 3sat zu sehen.

Fotos © Jip Film & Verleih