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Kategorie: Film & Fernsehen
f vatersschatten1Das EXGROUND FILMFEST vom 15. bis 24. November in Wiesbaden, Schwerpunkt BRASILIEN, Teil 4

Claudia Schulmerich

Wiesbaden (Weltexpresso) – Erst später weiß man, daß der Anfang eine Schlüsselszene bringt, wenn das kleine Mädchen, das dann zur neunjährigen Dalva (Nina Medeiros) wird, unter den Augen einer jungen Frau, die Wäsche aufhängt und eben nicht die Mutter, sondern Tante Christina (Luciana Paes) ist, aus der Erde eine Puppe ausgräbt und emsig die am Gesicht haftenden Erdkrümmel sorgfältig abwischt.

Ja, die Puppe ist die Beschwörung der Frau, die sie vermißt, ihre Mutter, die vor zwei Jahren gestorben ist, was sie und den Vater und Ehemann Jorge (Julio Machado) in den f vatersschattenAbgrund bringt. Den Vater noch mehr als sie selbst, denn sie versucht wenigstens mit abenteuerlichen Mitteln den Verlust ungeschehen zu machen, was bis zum Schluß spannend bleibt und das kleine Mädchen aufrecht hält. Der Vater aber wird zu einem Gespenst seiner selbst, der auf seiner Arbeitsstelle auf dem Bau zwar anwesend ist, den man aber als nicht mehr bei sich befindlichen Menschen erlebt und sich als Zuschauer nicht wundert, daß er entlassen wird, auch wenn man seine Fehlleistungen nicht mitbekam, ist doch das Entrückte und Fatalistische kaum auszuhalten, weshalb man sofort versteht, wenn Tochter Dalva einer Freundin davon spricht, ihre Vater entwickle sich zum Zombie.

Wichtig ist noch Tante Christine, die eine andere, eine positive Lebensentscheidung vor sich hat. Sie wird heiraten und zieht mit dem Mann schon zusammen, verläßt also Dalva und den Vater, was ihr Sorgen bereitet und dazu führt, daß sie immer wieder nach den beiden schaut. Die Puppe der kleinen Dalva sollte natürlich im Voodoo-Zauber, der nicht nur in Haiti, sondern in vielen Gegenden Brasilien virulent ist, die Mutter lebendig machen, was zwar nicht klappte, was aber Dalva mit anderen Mysterien weiter zu erreichen sucht. Und längst hat sie ein weiteres Ziel, sie will nicht nur die Mutter wiedererwecken, sie will auch den Vater aus seiner Lethargie, seinem Fatalismus, wir würden heute sagen aus seiner Depression herausholen.

Die junge brasilianische Regisseurin Gabriela Amaral Almeida hat sich viel vorgenommen, was sie an Filmen im Film vorgibt. Denn wenn sich Dalva im Fernsehen die erste Verfilmung (die zweite war jüngst) von Stephen Kings FRIEDHOF DER KUSCHELTIERE anschaut, weiß man um Verlustängste und Wunscherfüllungsphantasien, die Dalva mit anderen Mitteln angeht“Komm zu mir zurück! Komm zurück zu uns!“ Daß die Regisseurin beides: Familie und Horror im Sinn hat, erweist sich auch bei einer anderen filmischen Einspielung, die sozusagen eine Referenz ans Genre schlechthin ist: ein Film von George Andrew Romero (1940-2017), ich glaube aus DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN, dem damit als jüngst Verstorbenem dieser Film von 2018 Ehre erweist. Romero allerdings hatte immer auch die gesellschaftspolitischen Mißstände im Kopf und auf die Leinwand gebracht.

An einer Verschränkung des Individuellen und des Gesellschaftlichen mangelt es aber in diesem Film, von dem man den Eindruck hat, daß er bei aller atmosphärischen Dichte und eindrucksvollen Schauspielerleistungen nicht genau weiß, wohin die Reise gehen will. Zum einen werden die beiden Erzählstränge, der Vater bei der Arbeit auf dem Bau, die seelenlos und entfremdet wirkt, und Dalva zuhause und oft mit ihrer Tante, nicht zusammengeführt. Dann wirkt doch der Beginn mit der Puppe wie eine Einleitung einer Wiedererweckung durch Magie, aber das verläuft sich im Film, flammt dann wieder auf, hat aber keine durchschlagende Relevanz.

Aber so spricht die Kritikerin. Beim Zuschauen gewinnt man schon Einblicke, wie eine Familie durch den Tod auseinanderfällt und nur das Kind versucht, die Welt wieder heil zu machen, notfalls auch mit Zauber.

Der Focus auf Brasilien wird noch weitere 10 Langfilme und 12 Kurzfilme bringen, die, wie Kurator Amos Borchert verkündete, die Genregrenzen sprengen. Das sagt nun noch wenig, denn die Frage ist, ob ein Film wie der Eröffnungsfilm die Genregrenzen sprengte, oder ob er die des Horrorfilms nicht so richtig erfüllte. Ist ein Glas halbvoll, ist es halbleer. Und dann möchte man auch wissen, welche Genres bei den Sprengungen überhaupt angesprochen sind.

Das alles wird man im Programm erkunden können, wobei der heutige Montag schon den Film bringt, der einfach unabhängig von Ländern und Leuten die Leinwand zu dem Ort des Erinnerns macht, was nirgends so erschütternd wie auf der Leinwand geschieht: mit DIE SEHNSUCHT DER SCHWESTERN GUSMAO. Ein so poetischer wie erschütternder Film, der jedem von uns zeigt, wie sich Lebenswege entwickeln, wobei das Klavier und die Liebe eine besondere Rolle spielen, wie ich auch die Zeit, die ewig scheint, dann so schnell vergeht, aber eine innere Verbundenheit alles überwindet, Raum, Zeit, selbst den Tod.

Schauen Sie hinein in das Programm, wo die einzelnen Filme und Kurzfilme verzeichnet sind und Inhaltsangaben, zumindest Hinweise Ihnen sagen, um was es geht.

FORTSETZUNG FOLGT.

Foto:
© Verleih

Info:

A Sombra do Pai
Brasilien
92 Minuten

Regie Gabriela Amaral Almeida
Buch Gabriela Amaral Almeida

mit Nina Medeiros, Julio Machado, Luciana Paes u.a.