f jojo3Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Januar 2020, Teil 18

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - „Versprich mit bitte eins, ja? Wenn dies alles vorbei ist, wenn die Welt wieder normal ist, kann du dann versuchen, wieder ein Kind zu sein?“
- Rosie Betzler
Die Nazis wurden bereits zu Beginn der Vierziger, einer Zeit, in der sie eine ungeheure globale Bedrohung darstellten, parodiert – nach der Devise „wer zuletzt lacht, lacht am besten“. Ganz wie Mel Brooks es sagte: „Wenn man es schafft, Hitler auf eine lächerliche Figur zu reduzieren, hat man gewonnen.“

Diese Tradition reicht von Chaplin (THE GREAT DICTATOR – „Der große Diktator“, 1940), Lubitsch (TO BE OR NOT TO BE – „Sein oder Nichtsein“, 1942) und Brooks (THE PRODUCERS – „Frühling für Hitler“, 1968) über John Boorman (HOPE AND GLORY – „Hoffnung und Ruhm“, 1984) und Roberto Benigni (LIFE IS BEAUTIFUL – „Das Leben ist schön“, 1997) bis hin sogar zu Quentin Tarantino (INGLOURIOUS BASTERDS – „Inglourious Basterds“, 2009).

Und sie löste oft Kontroversen aus. Es heißt, dass der Vater des jüdischen Komiker Jack Benny, geschockt über die Verkörperung seines Sohnes eines Gestapo-Offiziers in TO BE OR NOT TO BE, das Filmtheater verlassen hätte. Zugleich aber bewegte der Film Generationen von Zuschauern und gilt heute als meisterhaftes Beispiel dafür, wie eine extrem respektlose Satire zum Sprungbrett einer vielschichtigen und humanistischen Geschichte werden kann.

Stephen Merchant, der in JOJO RABBIT einen besonders finsteren Nazi-Hauptmann spielt, sagt dazu: „Hitler wurde sowohl während wie nach dem Krieg kontinuierlich verspottet, weil das für die Menschen die einzige Möglichkeit war, mit dem Schrecken, den er erzeugte, zurechtzukommen. Taika folgt dieser Tradition, jedoch in seiner eigenen, modernen Handschrift.“

Waititis erfrischende Originalität machte sich zunächst in einer Anzahl ebenso unorthodoxer wie treffsicherer und charmant handgemachter Komödien bemerkbar, beginnend mit EAGLE vs SHARK („Eagle vs. Shark – Liebe auf Neuseeländisch“, 2007) und BOY (2010). Im Fahrwasser seines Erfolges mit dem Vampir- Mockumentary WHAT WE DO IN THE SHADOWS („5 Zimmer Küche Sarg“, 2014) und der Abenteuerkomödie HUNT FOR THE WILDERPEOPLE („Wo die wilden Menschen jagen“, 2016), klopfte Marvel bei ihm an. Und so konnte er seine wild wuchernde Kreativität auch in THOR: RAGNAROK („Thor: Tag der Entscheidung“, 2017) zu Geltung bringen (in letzterem übernahm er zudem die Sprechrolle von ‚Korg’, gefolgt von AVENGERS: ENDGAME – „Avengers: Endgame“, 2019).

JOJO RABBIT stellt in vielerlei Hinsicht der Höhepunkt seiner bisherigen kreativen Karriere dar. Denn er verbindet hier intime Gefühlswelten und exzentrische Komik mit jenen epischen Themen, die ihn selbst in seinem tiefsten Inneren angehen. Tatsächlich wurde der Samen für diesen Film von Waititis Mutter gepflanzt, die, in Neuseeland geboren, aus einer russisch-jüdischen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Neuseeland ausgewanderten Familie entstammt. Sie war die erste, die Christine Leunens’ Roman Caging Skies las und Waititi dann die Geschichte dieses Jungen nahe brachte, dessen fanatische Hitlerverehrung durch die Entdeckung, dass seine Familie in ihrem Haus hinter einer falschen Wand ein jüdisches Mädchen versteckt, total auf den Kopf gestellt wird.

„Sie erzählte ihm von dem Buch, weil sie dachte, dass es ihn interessieren könnte“, sagt Produzent Carthew Neal. „Als Taiki es schließlich las, erkannte er, dass es ernster war, als er erwartet hatte – es wies jene tiefen Gefühle und jene Ernsthaftigkeit auf, die einer solchen Geschichte angemessen sind. Das war für ihn der Ausgangspunkt, von dem aus er seine spezielle Handschrift einbringen, es in seine eigene Tonart überführen konnte.”

Waititi meint dazu: „Das Buch ist eher ein Drama, obwohl es komische Momente hat. Doch ich hatte das Gefühl, dass, ich meine Persönlichkeit und meinen eigenen Stil einbringen musste, um das Thema wirklich zu umsetzen zu können. Was bedeutete, dass ich mehr fantastische Elemente und natürlich mehr Humor einfügen musste, um eine Art tänzerische Balance zwischen Drama und Satire zu schaffen.“

Leunens staunte über Waititis jazzartige Interpretation ihres Buchs, in der er ihre Geschichte in eine groteske Allegorie verwandelte – die zeigt, wie naive Gemüter durch Angstmacherei beeinflusst werden, und wie eine aus einer gänzlich unerwarteten Ecke kommende Liebe dazu beiträgt, die Mauern, die wir gegen andere errichtet haben, einzureißen. „Wenn man das Buch mit einem klassischen Gemälde gleichsetzt, dann verhält sich Taikas Film dazu wie Picassos Guernica“, meint Leunens. „Er findet einen Platz für alle essentiellen Szenen, hat aber auch vieles mit eigener Note hinzugefügt.“

In der Tat brachte Waititi sein eigenes Erleben der auch heutzutage existierenden weit verbreiteten Borniertheit in den Film ein. „Die meisten Vorurteile, die ich erlebte, hatten mit der Farbe meiner Haut zu tun“, erklärt er. „Traditionell herrschen in Neuseeland Vorurteile gegen die Māori-Völker. Ich habe das beim Aufwachsen erfahren und habe gelernt, es irgendwie von mir fernzuhalten, was nicht toll ist, aber man musste eben damit klarkommen. Ich glaube aber, dass ich viele dieser verdrängten Gefühle in Komödien verarbeite. Ich fühle mich also ganz in meinem Element, wenn ich Witze reiße über Menschen, die denken, dass es schlau ist, andere Menschen dafür zu hassen, wie sie sind.“

Als er mit dem Schreiben des Drehbuchs begann, war Waititi am meisten von dem Gedanken angezogen, dass Elsa, das jüdische Mädchen, das aus der Wand kommt, den fanatischen Jojo gegen seinen Willen verwandelt. „Ich konzentrierte mich auf die Entwicklung der Freundschaft zwischen zwei Menschen, die sich in ihrem Kopf als ultimative Feinde betrachten. Ich mochte besonders die Dynamik, die sich daraus entwickelte, dass, anders als Jojo erwartet, Elsa fast alle Karten in ihrer Hand hält und das Sagen hat“, erklärt er. „Dazu kommt, das beide in derselben Zwickmühle gefangen sind, denn für beide hätte es schreckliche Folgen, sollte ihr Geheimnis entdeckt werden.“

Genauso wichtig war es für Waititi, die Film-Nazis als lächerliche und leicht zu verspottende, aber auch als zutiefst menschliche Figuren zu zeigen, behaftet mit den gleichen Macken und Schrullen wie der Rest der Menschheit - denn gerade deshalb erzeugt ihre Teilnahme am faschistischen Treiben Gänsehaut. Es dient als Warnung davor, wie leicht bösartige Ideologien in großem Stil in die Gesellschaft einzusickern vermögen. Das ist vor allem an Jojo sichtbar, der anfangs Hitler und seine Macht huldigt, dann aber in Elsa und in seiner Mutter eine Charakterstärke erkennt, die viel mächtiger ist.

Foto:
© Verleih

Info:
Darsteller 
Jojo      ROMAN GRIFFIN DAVIS
Elsa      THOMASIN McKENZIE
Rosie    SCARLETT JOHANSSON
Adolf    TAIKA WAITITI
Captain Klenzendorf    SAM ROCKWELL
Fraulein Rahm Finkel   REBEL WILSON

REGIE                   TAIKA WAITITI
DREHBUCH          TAIKA WAITITI
NACH DEM ROMAN CAGING SKIES VON CHRISTINE LEUNENS