welt0Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29.10. 2020, Teil 9

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Man sollte unbedingt die Äußerungen der Regisseurin über ihre eigenen Erfahrungen lesen, die sie veranlaßten, diesen Film zu schreiben, zu drehen und zu produzieren und zu den Filmfestspielen  in Venedig 2020 eingeladen zu werden. Was? Nein, natürlich konnte Julia von Heinz ihre Einladung nach Venedig nicht steuern, auch nicht vorhersehen, aber von außen her kann man die Entscheidung, diesen deutschen Film einzuladen, gut verstehen, denn der Gehalt des Films ist auf fast jedes Land in Europa in der eigenen Geschichte anwendbar, besonders sogar in Italien und Spanien. 

Der  autobiographische Hintergrund der Geschichte um eine junge Frau, die mit den vorgefundenen gesellschaftlichen Zuständen nicht einverstanden ist und etwas dagegen tut, wird im Film durch die junge Studentin Luisa (Mala Emde) repräsentiert. Wir können ihre Gefühle, die Entwicklung ihrer Einschätzung ihrer neuen Welt sehr gut nachvollziehen, was auch mit dem unprätentiösen Spiel, diesem offenen, uneitlen Gesicht der Luisa zu tun hat. Sie kommt aus eher kleinbürgerlichen Verhältnissen, wo es fast unanständig ist, sich anzumaßen, die Welt ändern zu wollen. Aber die ungeprägte junge Frau, die erst einmal unsicher überhaupt auf die so unterschiedlichen Welten ihres bürgerlichen Zuauses einerseits  und der lockeren Lebensweise im besetzten Haus andererseits, in das sie durch ihre Freundin Batte (Luis-Céline Gaffron) mitgenommen wird, reagiert, wird Position beziehen. Wir erleben sozusagen ihre Irritation hautnah mit, die in Faszination umschlägt. Das bewirkt eine Melange aus moralischen Erkenntnissen und dem Entstehen von Gefühlen für Alfa (Noa Saveedra), der eine klare politische Strategie hat, die die ganze Wohngemeinschaft, bzw. Hausgemeinschaft diskutiert, weithin übernimmt. 

welt2Klare Kante gegenüber Rechten, die Neonazis vorführen, ihnen Fallen stellen, ihnen Angst machen, sie verprügeln, Action eben. Mehr und mehr entgleitet Luisa dem Einfluß ihrer Freundin Batte, die strikt auf Gewaltlosigkeit drängt, was eigentlich für Luisa, die im ersten Semester Jura studiert, Grundlage ihres Handelns sein müßte. Doch, als sie die Typen sieht, die vom Aussehen, den Plakaten, den Farben her an die AfD erinnern, auch von den Sprüchen, als sie deren Auftreten erlebt, radikalisiert sie sich wie von alleine, da muß keiner mehr etwas tun. Sie greift mit an, sie fühlt sich als Teil dieser Gruppe, die Feinde der Gesellschaft verdrängen, vertreiben will in konkreter körperlicher Auseinandersetzung. Aber auch mit Witz und Chuzpe. 

Dieser Film ist nirgendwo ideologisch, auch nicht plakativ, sondern zeigt einen Zustand dieser Republik an ihren Rändern, wobei die Rechten sich aber als Mitte bezeichnen und ihre Gegner als linksaußen bezeichnen. Die sehen sich als Verteidiger eines Humanismus der gleichen Rechte und Lebensbedingungen für Menschen einer Gemeinschaft, eines Landes, möglichst auch des ganzen Planeten. Antifa war bisher ein ehrenwerter Begriff für antifaschistisches Handeln, das die Grundlage ihrer Gruppenbildung ist. Man kann im Moment beobachten, wie die US-Politik des gegenwärtigen Präsidentenalles was links der Mitte, oder schon links von halbrechts steht, als Antifa diffamiert, ein Vorgang, der in der bundesdeutschen Presse wenig reflektiert wird, so daß der Film gewissermaßen auch eine Ehrenrettung der Antifa ist, die eben kein Kindergeburtstag ist oder sein will.

Der Film zeigt realistisch die politische Lage, leider auch darin, daß am Schluß die Polizei das besetzte Haus räumt und damit eine Lebensgemeinschaft vertreibt und mit der Vertreibung beendet. Im Gespräch über Strategie und Taktik gegenüber den Rechten/Rechtsradikalen werden alle möglichen Positionen reflektiert, die im Ziel einig, in den Methoden große Uneinigkeit zeigen.  Der Film vermittelt  aber auch, weshalb es nötig ist, daß junge Menschen sich politisieren und ihr Leben und ihr Land in die Hand nehmen, damit es eine bessere Zukunft hat. Die  Vergangenheit  war schlimm genug. Und deshalb ist der Titel des Films, UND MORGEN DIE GANZE WELT nicht zu denken, ohne den Anfang dieses Naziliedes: "Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt." Nie wieder. 


Foto:
© Verleih

Info:
BESETZUNG & STAB
Luisa    MALA EMDE
Alfa      NOAH SAAVEDRA
Lenor   TONIO SCHNEIDER
Batte.   LUISA CÉLINE-GAFFRON
Dietmar ANDREAS LUST

Regie JULIA VON HEINZ
Drehbuch JULIA VON HEINZ & JOHN QUESTER