the frenchSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. Oktober 2021, Teil 2
 
Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es ist ganz einfach, diesen so liebevoll gestalteten, herrlich skurrilen Film zu sehen, aber es ist ganz schwierig, zu beschreiben, was man sieht. Fangen wir also leider mit Erklärungen an. Der Titel THE FRENCH DISPATCH ist nur verständlich, wenn man den Bezug herstellt, hier: of the Liberty Kansas Evening Sun, es geht also um eine fiktive Beilage, um ein Magazin, wie es hierzulande lange alle besseren Zeitungen, die etwas auf sich hielten, FAZ, Süddeutsche..., besaßen, die dieser fiktiven Zeitung beigelegt wird. In ihr schreiben vor allem Auslandsjournalisten, die in einer fiktiven französischen Stadt sitzen.

Ausgangspunkt ist nun, daß Arthur Howitzer junior (Bill Murray), Gründer und Chefredakteur gestorben ist und ein doppelter Verlust betrauert wird. Der Zeitungsmacher ist tot und mit seinem Tod stirbt auch THE FRENCH DISPATCH, so hat er es verfügt, traurig fürwahr und aus der Zeit gefallen auch. Nun soll es eine Abschiedsausgabe geben, die auch aus der Vergangenheit berichtet. Wir befinden uns als Filmzuschauer so etwas in der Rolle des Lesers, der die bisher schreibende Zunft der Beilage mit Rührung betrachtet, sich an den alten Geschichten erfreut und sich leicht sentimental und inniglich an das Frühere erinnert. Liebevoll ist ein Begriff, der sich von Anfang an durch das Geschehen auf der Leinwand bewahrheitet und es ist diese Form von Liebe zum jeweiligen Gegenstand, der das Gemeinsame des Films bleibt, denn hier gibt es keine zusammenhängende Handlung, sondern es gibt, wie in der Zeitung, nur verschiedene Artikel hintereinander, im Buch hieße das Episodenroman. Also ein Episodenfilm.

Und der hat es in sich. Doch irgendwie scheuen wir uns, die Geschichten weiterzuerzählen, die teils so unglaublich sind, daß man kaum die Worte dafür findet und überhaupt so verrückt, „ver-rückt“ sind, daß man gleichzeitig vergangene Welten beschreiben muß, also doch, einige Geschichten müssen wir einfach erzählen, aber stärker wollen wir auf die Form eingehen, die diesen Film prägt. Einen Zeitungsfilm zu drehen, ist ja nichts Neues, sondern ein bewährtes Sujet, insbesondere aus den USA. Dort spielten die großen Zeitungen die entscheidende Rolle bei politischen Skandalen, die vertuscht werden sollten und die durch Zeitungsveröffentlichungen sogar zum Rücktritt eines US-Präsidenten führte. Da ist die Handlung spannend, die Spannung steigt und findet im Finale seine Erlösung! Diese Filme haben Tradition, eine gute Tradition. Doch THE FRENCH DISPATCH ist und will etwas völlig anderes. Denn da wird nichts im politischen Bereich an die Öffentlichkeit gebracht, sondern da werden Geschichten erzählt, um die es endlich geht. Ach, doch noch etwas, was den Film so einzigartig macht. In den einzelnen Geschichten spielt die Creme gegenwärtiger Schauspielkunst mit. Man muß sicher Wes Anderson heißen und über ein solches Konvolut von bizarren, ins Gemüt treffenden Filmen verfügen wie dieser charismatische Regisseur, um oft winzige Rollen mit berühmten Filmnamen besetzen zu können.

Also, die erzählten Geschichten! Es fängt ja noch harmlos an. Da ist Herbsaint Sazerac (Owen Wilson), der mit der Baskenmütze auf dem Kopf und den Hintern auf dem Sattel eines Rennrades das französische Städtchen von THE FRENCH DISPATCH erkundet und Kolumnen über seine Strecken schreibt. Falsch gedacht, er schreibt nicht nur über die Schönheit der Natur und deren Herunterwirtschaften, sondern auch über die unverhältnismäßig vielen Leichen, die im beschaulichen Flüßchen herumschwimmen und herausgefischt werden: per Durchschnitt 8, 25 Tote in jeder Woche!

Auch Tilda Swinton ist dabei. Immer erstaunlich, wie man sie erkennt, obwohl sie völlig unterschiedlich aussieht und zurechtgemacht ist. Hier ist sie als J.K.L. Berensen porträtiert, eine Kunstkritikerin, die über den zum Star der Kunstszene Gewordenen wacht und ihn fördert: den lustvollen Maler Moses Rosenthaler (Benicio Del Toro), der es zu weit getrieben hatte und . gemordet hat, weswegen er im Gefängnis sitzt, wo er – und das sind absolut mehr als skurrile Szenen! - seine Aufseherin (Léa Seydoux) zur Geliebten und seinem Modell macht. Nackt. Im Gefängnis. Das Modellstehen vollzieht sie wie eine Arbeit, wie Putzen oder sonstwas, irgendwie ohne größere Emotion und das wirkt dann höchst emotional auf den Zuschauer. Stark gemacht. Es ist übrigens der Kunsthändler Cadazio (Adrien Brody), der dann Moses Rosenthaler ‚entdeckt‘. Eine krasse Geschichte. Und sehr bildstark.

Und dann gibt es noch zwei Geschichten, die wir nur andeuten. Lucinda Krementz (Frances McDormand) schreibt über ein revolutionäres Pärchen, über Zeffirelli (Timothée Chalamet) und Juliette (Lyna Khoudri) und der Restaurantkritiker Roebuck Wright (Jeffrey Wright) einen alten Kriminalfall löst.

Abschließend noch mal zu den filmischen Mitteln von Wes Anderson, der so viele Anspielungen in Bild, Ton und Text unterbringt, daß man daraus, aus der Entschlüsselung eine Doktorarbeit machen könnte. Vor allem im Bild, denn dieser Film ist ein graphisches Wunder, wenn er mit Strichen beginnt und daraus ein Gemälde entsteht. Das soll sagen, hier wird nicht nur eine Handlung wiedergegeben, sondern eine graphische Umsetzung, wenn man sie gerade will, findet auf der Leinwand statt. Oft haben wir also Schwarz-Weiß-Bilder. Dann wieder eine Zeichensprache. Auf jeden Fall kommt man erst einmal mit einer doppelt so dicken Birne aus dem Kino, weil einem so viele Andeutungen zu dem überaus vielfältigen Handlungsgestrüpp geboten sind, daß der Kopf brummt.

Sonst heißt es, viele Köche verderben den Brei, aber hier rührt der alleinige Koch Wes Anderson doch zuviel in den Brei, zu viel Geschichten, zu viele Stars, zu viele Andeutungen, von allem zuviel. Aber lange ist man total glücklich mit dem, was auf der Leinwand stattfindet. Man ist am Schluß eben einfach überfressen. Weniger ist mehr.

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© Verleih

Info:
The French Dispatch
Titel: The French Dispatch
Originaltitel: The French Dispatch
Startdatum: 2021-10-21 00:00:00.0
Länge (min): 107
FSK: 12

Regie: Wes Anderson
Darsteller: Benicio del Toro, Frances McDormand, Jeffrey
Wright, Adrien Brody, Tilda Swinton, Timothee Chalamet, Lea
Seydoux, Owen Wilson, Bill Murray, Matthieu Almaric, Liev
Schreiber, u.v.a.