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Kategorie: Film & Fernsehen

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. Februar 2015, Teil 3

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) – Ein American-Football-Match in den letzten Minuten. Die Spieler sind an Kopf, Schulter und Brust stark gepanzert. Wild stürmen sie gegeneinander los, stürzen mit ihren Gegnern auf den Rasen. Es sind jedoch keine Männer, die mit bärenstarken Kräften nach dem Ball jagen, sondern schwarze Frauen.

 

GIRLHOOD

Die Regisseurin Céline Sciamma ist eine Expertin für unangepasste heranwachsende Frauen auf der Suche nach ihrer Identität. In ihrem dritten Film „Girlhood“ begibt sie sich auf das besonders harte Pflaster rund um die Pariser Vorstädte. Dort können sich schwarze Mädchen nur gegen die dominante Männerwelt behaupten, wenn sie sich hart wappnen wie die Footballspielerinnen.

 

Die 16-jährige Marieme (Karidja Touré) steht unter der Kuratel ihres älteren Bruders. In Abwesenheit des unbekannten Vaters führt er sich auf, als sei er der Herr im Haus. Als rackerte sich nicht die alleinerziehende Mutter ab, um mit miesen Putzjobs die Familie durchzubringen. Marieme könnte es ähnlich ergehen wie der Mutter: In der Schule hat sie versagt, nun muss sie mit ihren beiden jüngeren Schwestern den Haushalt führen, sich vom Bruder herumkommandieren lassen und Arbeit finden. - Keine tollen Aussichten. Doch dann lernt sie drei gleichaltrige Mädchen kennen, die eine Gang gegründet haben.

 

Lady, Adiatou und Fily planen einen Trip nach Paris und bieten Marieme an, sie mitzunehmen. Marieme sagt erst einmal nein. Als sie aber bemerkt, dass eine Gruppe von Jungen der Mädchenbande Aufmerksamkeit schenkt, revidiert sie ihre Entscheidung.

 

Die Teenagerinnen schwänzen die Schule, fahren gemeinsam in die City, schnorren, klauen, kiffen und machen Party in einem Pariser Hotel. Selbstverloren tanzen sie zu Rihannas Hit „Diamonds“.

 

Die treffliche Hauptdarstellerin Karidja Touré hat hier vielleicht ihren stärksten Auftritt: Im Tanz findet sie zu sich selbst, schaut immer seltener auf ihre coolen Freundinnen. Marieme überwindet ihre Schüchternheit, vertraut ganz ihrem Körper.

 

Bald wird die Clique für Marieme zu einer Art Ersatzfamilie, in ihr findet sie den nötigen Rückhalt gegen das machogeprägte Umfeld. Doch auch untereinander müssen die Freundinnen kämpferisch auftreten. Nur so verschaffen sie sich Respekt. Immer wieder prügeln sie sich vor Publikum mit anderen Mädchenbanden. Und da geht es hart zur Sache. Wie Gladiatoren gehen die Gegnerinnen aufeinander los. Sie ringen, boxen und schlagen fest zu. Die Siegerin entblößt ihrer Rivalin gewaltsam den Oberkörper, schneidet ihr - wie zum Triumph - den Büstenhalter entzwei.

 

Trotz solcher brutalen Szenen ist „Girlhood“ kein schwer verdauliches Sozialdrama. Gesellschaftspolitische Probleme werden in der Geschichte sichtbar, Anklage aber erhebt Regisseurin Céline Sciamma nicht. Ihr Kino meidet die Resignation. Sciamma feiert vielmehr ihre Heldinnen, die den Widrigkeiten trotzen, so gut es eben geht. Ihre Produktionen stellen unangepasste junge Frauen in den Mittelpunkt und schauen den Protagonistinnen beim Erwachsenwerden zu: Da sind die schönen Synchronschwimmerinnen in Sciammas Debütfilm „Water Lilies“, die zögerlich erste Erfahrungen mit der gleichgeschlechtlichen Liebe machen.

 

Oder die 14-jährige Laure, die in dem Film „Tomboy“ so gerne ein Junge sein möchte, oder eben Marieme, die in der Gang ihr Selbstbewusstsein stärkt. Ihre Probleme sind damit freilich nicht gelöst. Marieme kommt nicht umhin zu erkennen, dass ihr all die Mädchenpower gegen den Bruder nicht hilft. Und finanzielle Selbstständigkeit scheint es nur für den Preis neuer Abhängigkeiten zu geben.

 

Girlhood“ ist auch optisch ein starker Film, er besticht mit leuchtenden Farben. Die roten und blauen Kleider der Mädchen, blonde Perücken und dick geschminkte Lippen bilden einen starken Kontrast zu der grauen Sozialbausiedlung, die ihr Zuhause ist.

 

Sciamma hat ihre Heldinnen mit schwarzen Laiendarstellerinnen besetzt, so wirken die gespielten Szenen beinahe dokumentarisch. Die Kamera kommt den Freundinnen oft ganz nahe, betont die mitreißenden Selbstinszenierungen der Mädchen, fokussiert immer wieder auf ihre Körper und Gesichter, in denen sich oft widerstreitende Gefühle spiegeln.

 

Eine tragende Rolle kommt auch der Filmmusik zu. In ihr vermitteln sich das Lebensgefühl und der Kampfesgeist der jungen Frauen.