Drucken
Kategorie: Film & Fernsehen

Wie geht es weiter mit dem deutschen Filmerbe?

Kirsten Liese

BErlin (Weltexpresso) - Seit 2013 drängt die Initiative „Filmerbe in Gefahr“ darauf, kostbare Unikate zu retten, bevor sie zerfallen und nicht mehr umkopiert werden können. Aber bislang scheiterte sie daran, dass die Bundesregierung zu geringe finanzielle Mittel zur Verfügung stellte, wiewohl diese die Digitalisierung des Filmbestandes im Koalitionsvertrag aufgenommen hatte.

Aber auch seit der Vorlage eines im vergangenen Jahr von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price Waterhouse Coopers vorgelegten Gutachtens, das die Deutsche Filmförderungsanstalt (FFA) in  Auftrag gab, lassen sich noch keine wesentlichen Fortschritte verzeichnen. Denn es wären 473 Millionen Euro nötig, um sämtliche 170.000 vorliegenden Filme zu digitalisieren. Zusammen sind der Bund und die FFA aber nur mit drei Millionen dabei. Ein neues, von der Deutschen Kinemathek in Berlin ausgerichtetes viertägiges Festival versuchte nun, mit Vorträgen, Podiumsrunden, Werkstattgesprächen und Kinopremieren seinen Beitrag dazu zu leisten, das Projekt voranzubringen.


Diese Rettungsaktion kam allerdings auf dem Festival Restored 01 nicht – wie erhofft in Schwung.  Das liegt daran, dass die verantwortlichen Institutionen finanziell nicht adäquat ausgestattet sind, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Für Michael Hollmann vom Bundesfilmarchiv kann es jetzt nur noch darum gehen, schnell zu handeln und das Schlimmste zu verhindern und mittels einer Kommission von Experten eine Auslese der zu digitalisierenden Filme zu treffen.
Rainer Rother von der deutschen Kinemathek nannte dafür Kriterien, die er auf drei Säulen stellte: Erstens sollten Filme digitalisiert werden, die akut vom Zerfall bedroht sind, zweitens Filme, bei denen ein wirtschaftliches Interesse an die Auswertung gekoppelt ist, drittens sollten schließlich auch Produktionen „im öffentlichen Bewusstsein präsent sein, auch wenn kein wirtschaftliches Interesse dahinter steht und wenn dieser Film auch nicht gefährdet ist.“


Die Kongressteilnehmer beurteilten die Zersetzungsgefahren für das Filmmaterial auf unterschiedliche Weise. Archivar Hollmann schätzt die Situation dramatischer ein als Rainer Rother oder auch Anke Wilkening von der Friedrich Wilhelm Murnau Stiftung, denen es in erster Linie darum geht, die Filme einem Publikum wieder zugänglich zu machen, da immer weniger Kinos eine historische Abspieltechnik bereitstellen. Er wies dabei vor allem auf Acetat-Filme hin, „die nicht explosiv sind, aber im Ausscheiden von Essigsäure mindestens genauso dramatische Zerfallsprozesse an den Tag legen.“
Ebenso tut sich Peter Dinges von von der Filmförderungsanstalt – kurz FFA- schwer, die desolaten Perspektiven zu beschönigen. Mitnichten kann er garantieren, dass alle 500 Titel auf einer kuratierten Prioritätenliste auch tatsächlich digitalisiert werden können. Ein wirtschaftliches  Auswertungsinteresse muss gegeben sein.

Ein unterschätztes, modernes Frauenporträt wie „Die Rote“ von Helmut Käutner, das auf Festivals keine Preise gewann, in den 1960er Jahren bei der Presse durchfiel und sich jetzt auf einer Retrospektive in Locarno wiederentdecken ließ, hätte unter diesen Vorzeichen vermutlich schlechte Chancen. Hinzu kommt, dass die FFA die Rechteinhaber zu einer Übernahme von 20 Prozent der Restaurierungskosten verpflichtet.
Insofern erstaunt nicht, dass die große Filmkunst im Katalog der seit 2012 mit öffentlichen Geldern digitalisierten rund 1150 Produktionen sehr bescheiden vertreten ist. Von genialen Größen wie Helmut Käutner und Wolfgang Staudte finden sich nur vereinzelte Werke , von Volker Schlöndorff oder Margarethe von Trotta nicht ein einziger Film.


In der kommenden Woche will Kulturstaatsministerin Monika Grütters zwar in Verhandlungen mit den Ländern erwirken, dass das Budget für das Filmerbe aus ihrem Haushalt von derzeit einer auf zehn  Millionen Euro aufgestockt wird. Aber so wie sich aus einigen Ländern Widerstände regen und diese Mittel für ihre eigenen Archive beanspruchen, steht zu befürchten, dass es zu keinem effizienten Ergebnis kommen wird. Die Gäste auf dem Podium mühten sich zwar redlich, noch nicht so schwarz zu malen. Aber der Unmut auf dem Festival Restored 01 ließ sich nicht überhören. Er machte sich vor allem im Publikum breit und richtete sich vorzugsweise gegen eine Politik, die ihr Filmerbe nicht annähernd so zu schätzen weiß wie die Franzosen oder Schweden, die alle ihre Filme digitalisieren und dazu analog in ihrem Originalformat erhalten.

Foto: aus dem Film von 1957 ROSE BERND nach dem gleichnamigen Theaterstück von Gerhard Hauptmann, Maria Schell und Raf Vallone