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Kategorie: Kulturbetrieb
adel wis potsdam.deAdeliges Leben im Baltikum. Herrenhäuser in Estland und Lettland, 27. Juni bis 4. Oktober, Deutsches Bernsteinmuseum Ribnitz-Damgarten, Teil 2/4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Aufmerksamen Lesern des WELTEXPRESSO ist sicherlich aufgefallen, daß wir immer wieder und sehr viel stärker als andere Publikationen über Ausstellungen berichten, die das „Deutsche Kulturforum östliches Europa“ kuratiert und die meist auch in den Nachbarländern Polen und Tschechien gezeigt werden.

Ich kann einfach nicht verstehen, warum die Spuren ehemaligen deutschen Lebens im östlichen Europa heute so wenig berichtenswert erscheinen, weshalb wir die Informationen dieses Kulturforums gerne aufgreifen und zumindest die Kenntnisse über deren Ausstellungen weitergeben. Nun aber gibt es zur obigen Ausstellung auch ein Buch dazu, das sich nicht als Katalog bezeichnet, wohl aber einer ist, aber auch ohne Ausstellung interessant und lesenswert ist. Dazu gleich mehr.

Erst einmal zur Selbstbeschreibung des Deutschen Kulturforums östliches Europa: das engagiert sich für die Vermittlung deutscher Kultur und Geschichte des östlichen Europa. Dabei sind alle jene Regionen im Blick, in denen Deutsche gelebt haben oder bis heute leben. Zusammen mit Partnern aus dem In- und Ausland organisiert das Kulturforum Ausstellungen und Veranstaltungen. In seiner „Potsdamer Bibliothek östliches Europa“ erscheinen Sachbücher und Kulturreiseführer...

Ich weiß noch, wie ich als Jugendliche in Westdeutschland die Heimattreffen der Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten verabscheut habe, die in den Trachten ihrer Heimat ihre Jahrestreffen abhielten, um damit nach außen deutlich zu machen, daß sie sich hier in Westdeutschland nur als Gast fühlten und nach Jahren der Buße, der Greultaten der Nazis wegen, die die meisten kräftig unterstützt hatten, erwarteten, daß sie in ihre „angestammte“ Heimat, in ihre Häuser wieder zurückkehren könnten. Die berühmte Oder-Neiße-Linie, die von Westdeutschland bekämpft und aufgehoben werden sollte. Die meisten von ihnen – die sich erst in Vertriebenenparteien, dann endgültig in der CDU/CSU versammelten - kamen aus wohlhabenden Verhältnissen – wir schreiben hier nur vom Baltikum ! - was daran lag, daß diese Deutschen in den ehemaligen deutschen Ostgebieten, der Oberschicht, zumindest dem Mittelstand entstammten. Und nun neu anfangen mußten.

Es kann sein, daß man als Erwachsene, erst recht nach längerem Leben, sowieso eine andere Einstellung zu solchen Fragen von Heimat, von Vertreibung, von Krieg und Kriegsfolgen gewinnt. Auf jeden Fall ist mir die heutige Sprachlosigkeit in Deutschland auf diesem Gebiet der ‚Heimatvertriebenen‘, wie es hieß, was ja nicht falsch ist, nicht ganz geheuer. Erst viel Lärm und politische Einflußnahme, Entschädigungen etc. und jetzt – infolge der segensreichen Ostpolitik von Willy Brandt - herrscht schon lange Schweigen. Das wäre doch nicht nötig, denn diese Gebiete waren Teil deutscher Identität und Geschichte, was heute noch die Steine, die Architektur der Herrenhäuser beweisen.

Da mir Osteuropa schon wegen der deutschsprachigen Inseln in Galizien (Lemberg, Czernowitz), dem Ursprung wichtiger Literaten des Habsburger Reiches, aber auch generell der osteuropäischen Juden mit ihrem aussterbenden Jiddisch – früher noch in Israel und New York zu hören, heute kaum noch – immer schon besonders wichtig war, habe ich auch die gesellschaftlichen Entwicklungen nach 1945 stärker verfolgt, als ‚normale‘ Bundesdeutsche. Das fiel mir auf, als ich 1967 von Finnland aus, mit dem Schiff nach Estland übersetzen konnte. Für Deutsche war es nämlich damals verboten, in das ehemalige Baltikum und nun Estland, Lettland und Litauen heißende und unter sowjetischer Vormundschaft/Herrschaft stehende Staaten zu reisen. Man bekam kein Visum, wenn man nicht Geschäftsmann/frau war.

In Finnland aber, wo damals Alkoholverkauf und -ausschank noch verboten waren, hatte sich ein alkoholorientierter Tourismus nach Estland etabliert, wo man abends das Schiff am finnischen Meerbusen bestieg, morgens in Tallinn (Reval) ankam, wo offiziell Stadtbesichtigung sein sollte und es abends wieder zurückging. Als wir dies mitbekamen – wir waren in Ferien in einer der herrlichen finnländischen Hütten am Meer, nicht weit von Helsinki, in die uns ein finnischer Mitdemonstrant gegen den Vietnamkrieg, mit dem wir uns befreundet hatten, eingeladen hatte. Sein Vater war Direktor der größten finnischen Milchfabrik, was uns damals nichts sagte, was aber vergleichbar ist: dem Direktor von Thyssen-Krupp oder VW – als wir das also mitbekamen, daß man Reval besuchen konnte, wollten wir buchen, was aber nur mit Tagesvisum/Paß möglich war, den ich damals aber noch nicht hatte.

Kein Problem, die deutsche Botschaft in Helsinki stellte mir einen Paß aus, der noch viele Jahre Aufsehen erregte:Helsinki! Das Tolle an der Schiffsfahrt war, daß die finnischen und estnisch/russischen Behörden eben auch Deutsche mitfahren ließen, weil das außer uns wohl überhaupt niemand gemacht hatte, die nächtlichen Überfahrten. Denn die überwiegend männlichen Finnen fuhren nur aus einem Grund hinüber in den Kommunismus – es war die Hochzeit des Kalten Krieges -, um sich volllaufen zu lassen. So gab es auch kein Programm tagsüber in Tallinn, denn die Finnen gingen überhaupt nicht an Land, mußten doch schließlich an Bord ihren Rausch ausschlafen. Damit sie abends weitertrinken konnten.

Wir aber schauten uns die Ober- und Unterstadt von Tallinn an, was ich so in Erinnerung habe, was wahrscheinlich der Domberg war, alles machte mir großen Eindruck, war es doch die erste Begegnung mit Osteuropa und eben auch ehemaliger deutscher Geschichte im Osten. In Erinnerung habe ich auch noch mittelalterliche Bebauung und große Herrenhäuser.

Zurück in Westdeutschland erzählte ich von Reval, wie man es damals nur nannte, und Estland; niemand außer mir war in meiner ganzen Umgebung nach dem Krieg dort gewesen. Es war sozusagen exotisch.

Daß es aber noch einen weiteren, vielleicht den entscheidenden Grund für mein Interesse an Osteuropa gibt, will ich hier nur andeuten. Mein russischer Großvater aus St. Petersburg, aus einer vom Zaren geadelten Familie, hatten Vorfahren aus Reval. Nach Leningrad zu reisen, daran war 1967 noch überhaupt nicht zu denken, das konnte ich aber als Reiseleiterin 1979 tun, worüber ich schon einmal geschrieben hatte, denn es war sehr eindrucksvoll, die Kirche, wo meine Großeltern getraut wurden und deren Palais zu sehen, wo meine Mutter noch gezeugt wurde! Aber erst auf der Karte sieht man, wie nah das östlichere Petersburg liegt, von Reval aus gesehen und auch wie nah Helsinki ist, direkt im Norden, nur 80 km entfernt.

Später, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs konnte ich dann auch Lettland besuchen, mit seinen prächtigen Jugendstil-Straßenzügen, die sehr viel mehr dem französischen Jugendstil ähneln als unserem. Als dann das Hessische Kultusministerium in den Sommerferien der 90er Jahre Reisen nach Litauen anbot, war ich natürlich auch dabei und verdanke diesen Reisen wunderbare Naturerlebnisse an der litauischen Seenplatte, tiefen optischen Eindrücke einer fast homogenen barocken Bebauung im Habsburger Stil in manchen Städten und die Begegnung mit dem Werk von Mikalojus Konstantinas Čiurlionis, einem Kunst- und Musikgenie, gleichzeitig Maler und Komponist, den man hier viel zu wenig kennt und der Europa Anfang des 20. Jahrhunderts kräftig aufmischte, was eine Ausstellung in Paris vor Jahren zeigte, doch hierzulande nicht weiter wahrgenommen wurde. Wie anderes auch nicht.

Unsere Erziehung und auch die Bildung in der Bundesrepublik war strikt nach Westen ausgerichtet, eben auch, was die Kultur angeht. Und so ist es leider heute noch. Von daher weiß man erst, wenn man das Wirken des Deutschen Kulturforums östliches Europa wahrnimmt, was uns fehlt. Doch letzten Endes ist dessen Wirken auch nur der Tropfen auf den heißen Stein, so vielfältig und historisch vielschichtig wie das deutsche Erbe in Osteuropa ist (wobei wir vom Kleinod mit den gotischen Kirchen, Breslau, noch gar nicht gesprochen haben.) Aber immerhin. Und jetzt das Buch, das wohl ein Katalog ist.

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:
© wis-potsdam.de

Info:
Als Katalog zu nutzen, aber auch als eigenständiges Buch sinnvoll:
Agnese Bergholde-Wolf, ADLIGES LEBEN IM BALTIKUM, Herrenhäuser in Estland und Lettland
Potsdamer Bibliothek Östliches Europa, Kunst, Deutsches Kulturforum östliches Europa
o.J. , zweisprachig: deutsch+englisch

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