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Kategorie: Kulturbetrieb
Bildschirmfoto 2022 02 25 um 01.16.46Serie: MARIA ORSKA  ... WIEDERENTDECKT ...Die Verfolgung einer kulturhistorischen Spur..., Teil 5/15

WM.Wolfgang.Mielke

Hamburg (Weltexpresso) - Das berufliche Glück der beiden dagegen war in Mannheim indes deutlich unterschiedlich: Kortner erhielt fast ausschließlich negative, herablassende, spöttische, ja auch antisemitische Kritiken. (Das hätte von der Autorin noch deutlicher herausgearbeitet werden können.) - In Heinrich v. Kleists (1777 – 1811) Drama "Das Kätchen von Heilbronn" (um 1808) spielt Kortner die Nebenrolle des 'Burggrafen von Freiburg'. Der Kritiker Ernst Leopold Stahl macht sich lächerlich über den: #"ahasverhaft flackernden Fritz Kortner, seine tobenden Talente und den blöd bramarbasierenden Ritter, der sich mit wilder Rhetorik gründlich blamierte."# 

Über Ahasverus ist (bei Wikipedia) zu lesen: #"Die christliche Volkssage vom Ewigen Juden (...) erzählt von einem Jerusalemer Schuster, der dem sein Kreuz tragenden Jesus von Nazareth eine Ruhepause auf seiner Türschwelle verwehrt und deshalb verflucht wird, nicht eher zur Ruhe zu kommen, bis der Gekreuzigte am Ende der Tage wiederkomme. Seither befinde er sich auf ruheloser Wanderschaft durch die Zeiten, um Zeugnis für Jesus und gegen das Judentum abzulegen. In dieser Form ist Ahasver zum Stoff für vieler Werke der Literatur und Kunst, aber auch antisemitischer Propaganda geworden."# -

Der antisemitische Unterton dieser Kritik wird Kortner besonders getroffen haben, weil er schon seit seiner Kindheit in Wien und auf der Schauspielschule antisemitischen Anfeindungen und Ausgrenzungen häufig begegnet war; Kortner: #"Ich fing an, ohne dazu angeregt zu werden, auf den Text des Partners zu reagieren. 'Sie sind ein begabtes Jingel', rief Meixner aus (...) 'Jingel' war dem wienerisch-jüdischen Jargon entnommen und hatte im Munde eines Nichtjuden etwas Deklassierendes, etwas zahm Antisemitisches. Dieses durch das ironische 'Jingel' geschmälerte Lob wurde mit zuteil, als ich den alten Walter Fürst in der großen Melchthalszene aus dem 'Wilhelm Tell' probierte.

Den Melchthal selbst ließ mich Meixner nicht spielen, obwohl er wusste, dass ich danach brannte. (...) 'Mit dem Ponim können Sie nie den Melchthal spielen, mit dem Ponim sollten Sie überhaupt nicht zum Theater gehen. In einer Bank oder einem Geschäft spielt das keine Rolle.' - 'Ponim' war ebenfalls dem Wienerisch-Jüdischen entnommen, es ist das hebräische Wort für 'Gesicht'. (...) Es kam zum Melchthal und zur Besiegung des Meixnerschen Widerstandes. Indessen konnte der offenbar durch die Vehemenz der Darbietung aufgescheuchte Meixner es sich dann doch nicht verkneifen, in sein sachlich uneingeschränktes, ja enthusiastisches Lob noch die Wörter 'Ponim' und 'Jingel' 'humorig' einzubauen. Fraglos war er nun von meiner Zukunft am Theater überzeugt. Ebenso fraglos war es aber auch, dass er lieber unüberzeugt geblieben wäre."# -

Daisy Orska, ja ebenfalls jüdisch, hingegen begeistert sofort – zunächst ihre Kollegen: #"Sie braucht nur ein paar Schritte zu machen, zu lächeln, sich in den Hüften zu wiegen, ihren stark anklingenden russischen Akzent hören zu lassen, und sie löst eine merkwürdige Unruhe aus"#; und weiter: #"Jeder begehrt sie und glaubt an Möglichkeiten."# - Der Dramaturg des Theaters beschreibt die Wirkung der jungen Orska so: #"Sie ist das aufmischende Element an Talent und Lebenstrieb, wodurch sie in der gemessenen, hochbürgerlichen Zone Mannheims auffällt. Sie wirkt ungemein in dieser Atmosphäre."# --- Die Kritik braucht einige Zeit, sich mit ihrer Spielweise und Wirkung anzufreunden. So beschreibt Hermann Sinsheimer (1883 – 1950) ihr Spiel als Grillparzers (1791 - 1872) 'Jüdin von Toledo' als #"kokott und flatterhaft, launenhaft und berechnend, dazu mit aufdringlicher Erotik"#. --- Diese Anteile werden fast all ihre künftigen Bühnengestaltungen kennzeichnen.

Und so ist es wohl auch folgerichtig, wenn Kortner über seine Kollegin schreibt, dass #"ihr nie entging, was immer sich zwischen Mann und Frau anspinnt"# und in dem Zusammenhang von #"der ihr eigenen wehmutsvollen Bosheit"# spricht. ---- Kortner geht in seiner Autobiografie noch weiter, indem er über die Orska schreibt, dass #"Männerraub ihr Trachten war, im Leben wie auf der Bühne."# - Und nicht ohne sich rächende Bosheit und gesteigert dialektisch versiert weiter: #"Später eroberte sie Berlin im Sturm, wie man im übertreibenden Theaterjargon sagt. Sie wurde das erotische Ideal, der Inbegriff der Sündhaftigkeit und brachte es durch Bett und Bühne zu einer früh beendeten Berühmtheit. Noch zu dicklich für eine solche Karriere, bereitete sie sich in Mannheim schon für die fetten Jahre zukünftiger Schlankheit vor."# --------

Diese Art von Vorbereitung sah Kortner auch in dem Umgang der Orska mit seiner Mutter, die, als er durch eine Liebesbeziehung zu einem anderen Mädchen in Schwierigkeiten geraten war, helfend von Wien nach Mannheim eilte und sich sogar zu der Bemerkung hinreißen ließ: #"Ja, wenn du dich so einem netten, bescheidenen, braven Mädchen wie der Orska anschließen würdest, dagegen hätte ich bestimmt nichts"#, was Kortner nur fragen lässt: #"Was war geschehen? Die Orska hatte sich während der wenigen Tage, die meine Mutter in Mannheim war, schon an sie herangemacht, und die beiden hatten eine groteske Freundschaft geschlossen. Meine alternde, solide Mutter und diese irisierende, bezaubernd verlogene, geborene Verführerin! Was muss sie meiner Mutter vorgespielt haben! Wie ahungslos war meine Mutter. Nun wollte die Orska keineswegs etwa über meine Mutter sich an mich heranmachen. Ich glaube, ihr Hauptmotiv war ihre Spiellust. Sie, die spätere Virtuosin der Betörung, übte, sich einspielend, wie der Klavierspieler seine Etüden. Sie erprobte ihr nicht zu sättigendes Bedürfnis, geliebt und beliebt zu sein auch an dieser desperaten, ihr in ihrer Not bestimmt gleichgültigen Frau. (...) eine reine l'art pour l'art-Aktion. (...) und Mannheim war langweilig."#

Bei allem steckt in dieser genauen Beschreibung natürlich auch – neben aller Spielsucht – eine latente seelische Not der Orska, die Kortner so nicht erkennt, die aber zum späteren Schicksal der Orska, ihrem enttäuschten Untergang in ihren Beziehungen und der Flucht ins Morphium, einen Schlüssel liefert.

Foto:
Maria(Daisy) Orska(1893â 1930) by Arnold Mocsigay(1840â 1911)
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Info:
Ursula Overhage, "Sie spielte wie im Rausch" / Die Schauspielerin Maria Orska, Henschel-Verlag, 2021
Fritz Kortner, Aller Tage Abend, Kindler Verlag GmbH, München, 1959  (ist seitdem in mehreren Taschenbuchausgaben erschienen)