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Kategorie: Kulturbetrieb

In den Hamburger Kammerspielen, Teil 1

 

Helmut Marrat

 

Hamburg (Weltexpresso) - An diese Aufführung zurückzudenken, die am 7.2.2016, einem Sonntag, abends in den Hamburger Kammerspielen Premiere hatte, vermittelt ein angenehmes Gefühl. Und so ist es auch eine Freude, über diese Aufführung zu schreiben.

 

"Ich bin, was die Qualität der Aufführungen angeht", schrieb ich einer Freundin im Vorfeld dieser ziemlich gut gelungenen Aufführung in den Hamburger Kammerspielen, "sowohl beim Schauspielhaus wie auch beim Thalia Theater sehr skeptisch. Das letzte, was ich dort sah, - es ist einige Zeit her -, war mehr oder weniger Dreck. - Ob sich das verbessert hat, weiß ich natürlich nicht. - Wie gesagt, ich rechne da immer mit dem Schlimmsten. - Hamburg ist ja eine drollige Stadt! - Die Hamburger denken immer, sie und ihre Stadt lägen ganz weit vorn, mindestens auf Platz 1, - aber bei all ihrer Selbstgenügsamkeit merken sie nicht, wie weit diese Stadt immer wieder zurück liegt. - Beispielsweise die Olympia-Bewerbung. Häßliche Stadien, unansprechende Anlage, völlig provinzielle Werbung, alles dürftig, ungeschickt, so ganz weit weg von Spizenpositionen in der Welt. Und so verhält es sich auch auf anderen Gebieten."

 

Die Provinzialität Hamburgs zeigt sich auch in seiner Theaterkritik. Es gibt zwei Zeitungen in der Stadt: Das "Hamburger Abendblatt", das aber längst ebenfalls zu einer Morgenzeitung geworden ist, und "Die Morgenpost", von manchen spaßeshalber 'Morgenpest' genannt, eine Zeitung in sehr kleinem Format, aber auffällig und laut in den Überschriften, da sie als Konkurrenz zur "Bild"-Zeitung konzipiert wurde. Zusätzlich gibt es noch "Die Welt", überregional, die aber in Hamburg nur eine kleinere Leserschaft erreicht.

 

Einer der bedeutendsten Theaterkritiker, die es überhaupt je gab, Alfred Kerr, - in Hamburg übrigens begraben -, spricht in einer Kritik einmal von der "urteilsschwachen Komik des Lokalpatriotismus". Diese Komik, wenn man es denn so bezeichnen will, herrscht in Hamburg oft. Im "Hamburger Abendblatt" hieß es daher über "Quartetto": "Der Beifall am Ende des Abends ist tosend. Immer wieder müssen sich die vier Schauspieler und Hansgünther Heyme verbeugen."

 

Wir wollen es richtigstellen: Der Beifall war sehr freundlich, vielfach auch kollegial, wirklich angetan – aber von "tosend" kann nicht entfernt die Rede sein. Hansgünther Heyme kam zusammen mit der Bühnenbildnerin Birgit Voß, wurde aber vom Publikum als eigenständige Kraft kaum wahrgenommen. Man beklatschte die Schauspieler. Und wollte sich darin wohl auch gar nicht stören lassen. Deswegen kam er etwas später noch einmal an die Rampe, die Wirkung blieb aber, was ihn und die Bühnenbildnerin betrifft, wiederum indifferent. Die Schauspieler bekamen einen guten Applaus. Aber einen "tosenden" hat der Kollege vom Abendblatt offenbar noch nicht selbst erlebt.

 

Was ist mit unserer Stadt los? Warum gibt es kaum noch eine Diskussion um die Dinge, die uns betreffen? Wie anders verhielt sich das noch vor wenigen Jahren. Alles soll glatt gebügelt werden, einfach und bequem sein und keinerlei Probleme mehr machen. Wie Vieh gemolken werden von der Wiege bis zur Bahre. Beispiel: GEZ-Gebühren. Es wird einfach verordnet, jeder Haushalt habe zu zahlen, ob er ein Radio oder einen Fernseh-Apparat hat, danach wird nicht mehr gefragt: Und schon wird eine Rechtsbeugung hingenommen, die in diesem Fall das Ende der Vertragsfreiheit bedeutet, die in Artikel 2 Absatz 1 sogar einmal von unserem Grundgesetz garantiert wurde. Die Leute sind längst so weit eingedämmert, dass ein Protest ausbleibt. Wie Vieh gemolken. Und das ist nur ein Beispiel. Man hat das Denken weitgehend abgegeben – und lebt so vor sich hin. Historische Bausubstanz wird abgerissen hier – und mit jedem qualitätvollen Altbau, der verschwindet, erodiert ein bisschen weiter unser kritisches Bewusstsein. -

 

Und doch erhalten wir immer wieder die Gelegenheit, nachzudenken über uns und das, wie unsere Welt eigentlich aussehen soll. Jüngst sind die Silvester-Ereignisse Anlass dazu, nachzudenken, wie denn dieses Land überhaupt aussehen soll, wie es in der Zukunft weiterhin erfolgreich bestehen können soll, was wir erhalten und was wir preisgeben wollen. Das ist eine Aufgabe. Das ist auch eine Chance.

 

Aber auch hier wird, von Politikern, aber auffälliger Weise auch durch die meisten Medien, versucht, das Bild zu verunklaren, Nebel zu streuen, die Bevölkerung gefügig, verdummt und manipulierbar zu halten. Die "Zeit", beispielsweise, titelte kürzlich (Ausgabe vom 11.2.2016) "Die Macht der Vorurteile / Woher sie kommen. Wem sie nützen. Und warum man sie so schwer loswird". Dazu wurden drei Portraits gezeigt: Links ein Araber, in der Mitte eine Blondine, rechts ein ebenfalls nach arabischem Hintergrund aussehender Transvestit oder, wahrscheinlich!, Homosexueller. Die Aussage der Fotos: Die gegenwärtigen Sorgen um die Zukunft in diesem Land werden mit der Mode von Blondinen-Witzen gleichgesetzt. Und das kann es ja nun ganz gewiss nicht sein.

 

Die Silvester-Ereignisse habe deutlich gezeigt, dass dieser Staat alles andere als Herr der Lage ist. Und das alles nur, weil Frau Merkel aus Anlass ihres 60. Geburtstags fand, sie müsse nun auch noch eine Tat vollbringen, die sie ins Geschichtsbuch katapultiere. So kommt es zu diesem zähen sich Verrennen in diese landfremde Idee. Sonderbarer, bedauerlicher Irrtum – nach all den Leistungen, die man ihr doch anrechnen kann! Wir müssen also aufpassen.

 

"Empört Euch!" hieß das Buch, das der 93jährige Stéphane Hessel im Oktober 2010 veröffentlichte und das auch in Deutschland zu einem Bestseller wurde. Wir müssen also aufpassen. Vertrauen in die Lauterkeit der Regierenden herrscht nicht nur hierzulande nicht mehr. Lange nicht mehr. Aber die Leute sind bereits einen Schritt weiter gegangen. Über den Unmut hinaus. Man nimmt seine Situation, so weit möglich, selbst in die Hand. - Ich kenne mehrere junge Frauen, die derzeit über die Polizei, die das öffentlich anbietet, Selbstverteidigungskurse belegt haben. Selbstschutz statt Staatsschutz. Wie schön und bequem wäre es, den Regierenden weiterhin vertrauen zu können! Es wäre so bequem! Aber es geht nicht. "Lieber soll der Mensch unpopulär sein als unwahr", schrieb ebenfalls einmal Alfred Kerr in einer Theaterkritik – womit wir – nach diesem aktuellen Exkurs wieder beim Theater wären und bei dieser Aufführung der Hamburger Kammerspiele, die jedem zu empfehlen ist. Fortsetzung folgt

 

 

INFO:

Der Schweizer Film-, Fernseh- und Opernregisseur Daniel Schmid, der schon 2006 starb, hat über die Casa Verdi 1985 einen eindrücklichen Film geschaffen: DER KUSS DER TOSCA, den Sie sich unbedingt beschaffen sollten, weil er die tatsächliche Situation der Casa Verdi hinreißend wiedergibt.