Jüdisches Filmfest Frankfurt 2016 vom   4.9. – 11.9.2016, Teil 4


Claudia Schulmerich


Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das war die große Überraschung, daß der erste Film À LA VIE , Frankreich aus dem Jahr 2014 der sehr viel interessantere, auch bessere Film wurde, als die Verfilmung der Memoiren von Oz, EINE GESCHICHTE VON LIEBE UND FINSTERNIS,  wobei Natalie Portman, die als weibliches Triumvirat Drehbuch, Regie und Hauptrolle übernimmt,  sich auf die früh verstorbene Mutter von Oz konzentriert, aber auch beschränkt.



Wenn man am Schluß von À la vie die drei alten Damen anschaut, bei deren anrührendem Wiedersehen  nach dem Krieg – nachdem sie alle drei Auschwitz überlebt haben – wir den Film über dabei sind, dann überkommt einen doch die berühmte Gänsehaut, denn es wird klar, was hier so heiter mit Irrungen und Wirrungen filmisch höchst amüsant erzählt wird, basiert auf Tatsachen, knallharten Tatsachen, die selten so gut ausgegangen sind wie hier.



Ja, die Franzosen, denkt man auch, denn der Film, der vom Schlimmsten spricht, was Menschen einander antun können, wofür Auschwitz einfach ein Synonym geworden ist, hat eine heitere Grundstimmung, ohne das grundsätzliche Grauen, das Schwarz und damit den Tod zu verleugnen. Die schwierige Balance, das eine schwer sein zu lassen und die heiteren Seiten des Lebens dennoch erlebbar zu machen, ist eine Kunst, auch eine filmische Kunst, die Regisseur Jean-Jacques Zilbermann gelingt.



Wir wollen nicht alles erzählen. Aber die Anfangsszenen müssen sein, wenn drei Frauen in Anstaltskleidung, hungernd und verfolgt im Lager Auschwitz gezeigt werden und alles nach Aufbruch schreit, denn es ist Januar 1945 – die Russen befreiten das Lager am 27. - und die Gefangenen auf die sogenannten Todesmärsche geschickt werden, so man sie nicht gleich vergaste, was von den drei Frauen wohl das Schicksal von Rose (Suzanne Clément), der jungen Französin, wurde.



Uns führt Helene (Julie Depardieu) , ebenfalls Französin, die nach Paris zurückkehren konnte, durch den Film und das Leben der drei. Lange geht es erst um ihren Mann, der ebenfalls das KZ überlebte, dann um ihre unaufhörliche Suche nach ihren beiden Freundinnen, von denen tatsächlich Lily (Johanna ter Steege), die Holländerin, sich meldet und sich beide für den Sommer in Berck-sur Mer im Norden Frankreichs verabreden, wo ein Verehrer von Helene ihnen seine Wohnung zur Verfügung stellt. Das geschieht erste Mal 1962, also nach 15 Jahren der Rettung von Auschwitz.



Daß auch Rose mitauftaucht, die von allen drei die Gezeichneste ist, ist ein schräges Element, was dem Film aber gut tut, weil ihre Verstörung inmitten eines normalen Lebens besonders unter die Haut geht. Eben, weil ihre Haut außen anders aussieht als ihr Inneres. Die skurrilsten Erlebnisse paaren sich mit tiefgehenden Fragen von Schuld und dem niemals aufzulösenden Problem, das Weiterlebende gegenüber den Toten empfinden. Die drei beschließen, diesen Sommer zu Dritt jährlich zu wiederholen und deshalb sind die drei alten Damen am Schluß, die echten Vorbilder für den Film, die das Leben also geschafft haben, nicht das Leben sie, eine Bereicherung beim Zuschauen.



EINE GESCHICHTE VON LIEBE UND FINSTERNIS wollen wir jetzt nicht erzählen. Der Film wird am 3. November in den deutschen Kinos anlaufen und dann ausführlich besprochen. Beim Zuschauen hat man mindestens zwei Empfindungen, ob man nun die Lebensgeschichte des berühmtesten israelischen Schriftsteller Amos Oz kennt oder nicht. Man ist zum einen erschüttert, weil Natalie Portman diese junge Mutter von Oz sehr innig, liebevoll und in den Wahn abgleitend darstellt, andererseits sie in fast jeder Einstellung zu sehen ist und es eigentlich ein Film allein um die Mutter Fania wird, die zudem im Drehbuch und der Regie der Natalie Portman irgendwie als Natalieportmanhommage rüberkommt, nicht aber als Verfilmung der Memoiren, in denen ausdrücklich vom Licht und der Finsternis gesprochen wird.


Nicht zu Unrecht, ach was, völlig zu Recht, sagte nach der Filmvorführung die extra aus Israel gekommene Tochter, Fania Oz-Salzberger, daß dieser Film für sie doch mehr Finsternis denn Licht sei. Dabei kann natürlich aus den Memoiren die Mutter Fania als Extrakt herausgezogen werden, denn sicher hat ihr Selbstmord 1952 das Leben von Amos Oz für immer bestimmt. Aber da diese Fania gar nicht Mittelpunkt sein soll, alles aus den Augen des Kindes erzählt wird, kommen seine Erinnerungen und ihr wirkliches Wesen und Leben nicht zur Übereinstimmung und wird wie gesagt, leicht zur Portmanschau.



Diese Fania Oz-Salzberger, die möchte man in Frankfurt wiedersehen, mit mehr Zeit und Gelegenheit, ihre klugen Ausführungen über Israel fragend zu vertiefen. Allein, was sie über ihre Jugend in den Kibbuz erzählt, wo sie aufwuchs, ja über die ganze Bewegung der durch die osteuropäischen Juden initiierten Kibbuzimbewegung, ist eine Einladung und weite Reise wert. Sie gehört zu denen, die uns die Wahrheit sagen können, über das, was mit Israel seit den Tagen passiert ist, wo die alten und gut gelebten Werte durch eine amerikanische Lebensart und eine zunehmend orthodoxe, ultra-individualistische Lebensweise mit dem Ziel der Homogenität in Israel Platz greift.


Das war ein langer, intensiver, sehr ertragreicher Abend im Deutschen Filmmuseum und ein überaus gelungener Auftakt des ersten Jüdischen Filmfestes Frankfurt, das bis zum nächsten Sonntag fortdauert.

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Info:
Mehrere der gezeigten Filme liegen nur in der Originalfassung mit deutschen oder englischen Untertiteln vor. Alle Daten unter www. siehe unten.
Die Eröffnung am Sonntag, 4. September findet im Deutschen Filmmuseum statt und wird von dem Trio „Jazzinette“ musikalisch begleitet.
Weitere Aufführungsorte sind die Kinos Mal Seh‘n, Orfeos Erben, und das Pop up Boat des Jüdischen Museums. Mit dem Abschlußfilm „DAS KONZERT“, der im Ignatz Bubis-Gemeindezentrum vorgeführt wird, und musikalisch von Mitgliedern des Orchesters „Classic Players“ unter der Leitung von Dmitri Ashkenazi umrahmt wird, endet das Jüdische Filmfest am 11.09.2016.
www.juedischesfilmfestfrankfurt2016.de