Die Pina-Bausch-Ausstellung im Berliner Gropius-Bau

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpress) - Die Bundeskunsthalle in Bonn widmete der vor sieben Jahren gestorbenen Choreografin Pina Bausch eine Ausstellung, die jetzt nach Berlin in den Gropius-Bau kam. Nicht das Werk Bauschs wird gezeigt, sondern ihre Arbeitsweise verdeutlicht, die einst den Tanz revolutionierte.

Diese Stimme! Bereits vor der Vernissage hört man aus der Menge die rauchige Stimme Mechthild Großmanns, der Staatsanwältin aus dem Münster-Tatort. Welcher Fan der Serie weiß, dass die Schauspielerin als einzige „Nicht-Tänzerin“ mehr als 30 Jahre lang Mitglied im Wuppertaler Tanztheater war? Zur Eröffnung liest sie aus einer Rede der Choreografin.


Im Lichthof des Gropius-Baus steht ein - erst irritierender - riesiger schwarzer Klotz. In ihm ist die Probebühne der Compagnie rekonstruiert, das 50er-Jahre-Kino „Lichtburg“. Hier hat Bausch alle ihre Stücke mit dem Ensemble entwickelt. Prächtige Kleider und feine Anzüge hängen an Garderobenständern, Spiegel an den Wänden. Ballettstangen und ein Klavier stehen am Rand. Die Tänzerin Ann Endicott (66), die von Anfang an in Wuppertal dabei war, ermuntert behutsam Besucher zur Einstudierung eines einfachen Tanzes, der „Nelken-Linie“ (siehe Kasten). Dieses „Warm-up“ zur Ausstellung wird mehrmals täglich angeboten. Staunend kann man selbst erleben, dass vieles Tanz sein kann, wie Bausch einst erklärte.


Darüberhinaus gibt es Workshops und Performances, um in der „Lichtburg“ Ensemble-Mitgliedern zu begegnen. Die Idee kam aus der Compagnie selbst, um so Besuchern einen Zugang zur seinerzeit einmaligen, neuen Arbeitsweise der Bausch zu ermöglichen: Das rekonstruierte Lichtspielhaus wird zum lebendigen Erfahrungsraum.


Nach dem Aufwärmen geht man auf Entdeckungsreise durch mehrere Säle. Wie in einem Theatercafé stehen überall kleine Tische und Stühle, man stöbert in alten Programmheften oder schaut Videos von Proben, Aufführungen und Interviews an. Vor allem aber kann man die soeben gemachten Bewegungserfahrungen auf die Arbeitsweise der Bausch übertragen. „Diese Form ist ganz von selbst entstanden, aus den Fragen, die ich hatte“, hatte Großmann sie zitiert: „Jemanden benutzen? Sich selbst ein bisschen wehtun? In die Enge getrieben werden?“ Zu Bauschs Fragen improvisierte das Ensemble, antworteten mit szenischen Erinnerungen, gespielten Träumen, getanzten Geschichten. Aus diesem sehr persönlichen Material wählte die Choreografin Szenen aus und montierte sie assoziativ mit Musik zu ihrem poetisch-grotesken Tanztheater.


Im letzten Saal laufen auf sechs Leinwänden nebeneinander wechselnde Videobilder: Leicht verschobene Szenen aus einem Stück. Ein Tänzer in gleicher Rolle in diversen Lebensaltern. Mal scheinen nur einzelne Bilder auf, verdoppeln oder vervielfachen sich, dann verschwimmen Szenen aus vielen Stücken ineinander. Diese musikalisch unterlegten Film-Collagen sind wie Traumbilder oder visuell gewordene Erinnerungen an die Stücke der Bausch. (((In Wuppertal werden die über vierzig Arbeiten der Choreografin immer wieder originalgetreu einstudiert, um dort und weltweit gezeigt zu werden. Junge Tänzerinnen, die Bausch nie kennenlernten, werden von den alten Tänzerinnen angeleitet.


Ein wichtiger Entwicklungsschritt war für Bausch die Koproduktionen mit anderen Theatern. Seit 1986 reiste das Ensemble durch die Welt, in Süditalien entstand „Palermo, Palermo“. Der Entstehung dieser Choreografie ist auch eine Station gewidmet, denn sie wird, ergänzend zur Ausstellung, im Dezember im Berliner Festspielhaus gezeigt.

 

Foto:© Bundeskunsthalle Ulli Weiss pina-0580: Die junge Pina Bausch in der legendären „Lichtburg“

 

Info:
 „Nelken-Linie“
Die „Nelken-Linie“ ist ein Bewegungsablauf aus dem Tanzstück „Nelken“ (1982), eine für das Ensemble typische Diagonale oder Linie. Zu melancholischer Musik bewegt sich die ganze Compagnie im Schreittanz über die Bühne, mit kleinen Gesten setzen die Tanzenden dabei symbolisch die Jahreszeiten zusammen: Wachsendes Gras. Die Sonne. Fallende Blätter. Zittern vor Kälte.
Die Pina Bausch Foundation hat dazu aufgerufen bis zum 31. Mai 2017 weltweit diesen Tanz einzuüben, auf Video aufzunehmen und bei Youtube hochzuladen. Arte wird daraus einen Film machen. Eine präzise Anleitung des Schreittanzes liefert die Tänzerin Anne Stanzak auf Arte: concert.arte.tv/de/nelkenline


FOTO © Bundeskunsthalle Ulli Weiss
pina-0580    Die junge Pina Bausch in der legendären „Lichtburg“
FOTO privat
kruse-4666    Hanswerner Kruse tanzt die Nelken-Linie in der rekonstruierten „Lichtburg“