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Kategorie: Kunst

Serie: „CORNELIS BEGA. Eleganz und raue Sitten“ in der Gemäldegalerie zu Berlin, Teil 3/3

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Wir waren an der 1660/61 gemalten SITZENDEN FRAU MIT FUSSWÄRMER,  Öl auf Papier, klein dazu, hängengeblieben. Es ist kein richtiges Gemälde, denkt man, eher eine Studie oder wie zu van Eycks Zeiten eine Grisaille, allerdings in den Formen und der Gestaltung des Barock. Aber wir würden jedes der anderen 'richtigen' Gemälde für diese Arbeit eintauschen.

 

Warum wirkt das Bild so stark? Weil es nicht ganz, aber doch verhalten eine Repoussoirfigur ist? Nein, das kommt nicht ganz hin, ist aber auf dem Wege dorthin. Vor uns sitzt eine junge Frau auf einem Sitz, deren Körper frontal, deren Gesicht aber weiter nach hinten und unten geneigt ist, so daß man nur noch das Ende einer Augenbraue und die Spitze der Nase erhascht. Sonst nichts als ihren dunklen Schopf, dessen Haare im Nacken zusammengehalten sind, was man nur nebenbei wahrnimmt, denn ihre Figur und ihre Kleidung, die gesamte Haltung sind es, die diese starke Wirkung erzeugen und worauf man schaut.

 

Die Ton-in-Tonmalerei gibt durch das Fehlen richtiger Farbe eine enorme Differenzierung wieder. Allein wie die Bluse mit den gebauschten und hochgerollten Ärmeln gemalt ist, ist eine Kunst. Den Brustausschnitt sieht man nicht, sondern ahnt ihn nur durch die auffällige Wölbung des Stoffes nach vorne, die eben auch wiederum durch das enge Mieder erzeugt wird. Die gleichfarbene Schürze über dem dunkleren Rock ist von Bega in derartiger Kunstfertigkeit drapiert und im Hell-Dunkel dramatisch gemalt, wobei die Wirkung durch den ruhig liegenden aufliegenden Arm noch gesteigert wird, als Gegensatz, denn erst jetzt nehmen wir wahr, daß von der Person eine hohe Konzentration auf etwas, was hinter ihr liegt und wir nicht sehen können, ausgeht.

 

Und jetzt, wo wir diese unbekannte Schöne und von hinten dazu in unser personelles Gedächtnis transportiert haben, machen wir erneut die Runde durch all die Wirtshausbilder, die musizierenden und tanzenden Bauern und denken jedes Mal, das könnte sie sein. War diese Frau das Modell von Bega oder hat er jedem seiner Modelle ihre Physis einverleibt. Auf jeden Fall wird uns bei diesem zweiten Blick auf die Gemälde noch einmal klar, welche guter Maler in diesem Dreißigjährigen steckte und daß er über alles andere die Frauen in seinen Bildern schönmalt.

 

Sicher, die Männer sind verwegen, pittoresk, gewöhnlich, derb, bauernhaft, betrunken, ausgelassen oder still-stumm, aber die Frauen, die bringen in die Bilder das gewisse Etwas und – so denkt man sich dann – nicht nur in die Bilder. Auch ins Leben. Ihre hellen Gewandungen, die Kopfbedekungen oder auch die weißen Blusen mit den hochgeschnürrten Brüsten, sie hellen jedes Bild auf, das meist in der Haarlemer Malerei dunkeltonig gehalten ist. Ja, Bega ist ein Maler der Frauen!

 

So geht es nicht weiter. Auch wenn es 'nur' 70 Werke sind und wir die Hauptsachen der Genres noch gar nicht aufgezählt haben, noch das, was wir für Begas besondere Leistung halten – seine Zeichnungen- , müssen wir zum Ende kommen und auf den Katalog verweisen, wo man das alles noch vorfindet, wenn die Ausstellung längst zu Ende ist. Sein schönes Selbstporträt, das den ersten Artikel ziert und mit dem die Ausstellung anfängt, zeigt, wie selbstbewußt dieser junge Maler sein Werk und sein Leben startete. Nach der Ausstellung fragt man sich, zu was dieser Cornelis Bega noch fähig geworden wäre, wenn er schon Anfang Dreißig ein solches Lebenswerk geschaffen hatte. Er dauert einen, aber es tut einem auch für die Kunstwelt leid. Er ist absolut ein Maler auf den zweiten Blick, einer, den man leicht übersehen könnte, eben bis man noch einmal hinblickt.

 

 

Bis 30. September 2012

 

Katalog:

 

Cornelis Bega. Eleganz und raue Sitten, hrsg. Von Peter van den Brink und Bernd Wolfgang Lindemann, Belser Verlag 2012

Für unsereiner ist das schon wichtig, über einen weithin unbekannten Maler – irgendwann fiel mal der Name, aber ein Werkouevre verband sich uns damit nicht – auch gesicherte Erkenntnisse zu erfahren, denn in der Regel sind Kataloge zu Ausstellungen wahre Schatzkästlein. Und gleichzeitig, daß ist das Tolle am Schreiben über Kunst, trauen wir nur unseren eigenen Augen. Will sagen, hätte uns nicht die Ausstellung im Untergeschoß der Gemäldegalerie positiv überrascht, wer weiß, ob wir dann überhaupt hätten mehr erfahren wollen? Und dann bleiben wir auch noch gleich beim Vorwort stecken, einer meist sehr formalen Grußadresse mit auch meist formalen Dankesbezeugungen. Hier aber ganz und gar nicht.

 

Die Herausgeber, Direktoren ihrer Häuser verweisen zum einen auf die Freude, die ihre Anfrage hinsichtlich von Leihgaben bei den Leihgebern auslöste, daß es endlich eine Cornelis Bega Ausstellung geben soll, zum anderen danken sie nur einer, Mary Ann Scott, die die Dissertation zu Bega verfaßte, auf der die Kuratoren bei der Vorbereitung zur Ausstellung wie auf einem Leitfaden einschließlich der Ouevrenummern aufbauen konnten und die schon 1988 jung verstarb. Das zeigt ein zweites Mal, wie lange diejenigen, die Begas Werke kannten auf diese Ausstellung haben warten müssen.

 

Bis Seite 83 folgen sechs Essays, die Hintergründe aufzeigen oder Begas Malweise analysieren. Für uns waren alle personenbezogenen Informationen besonders wichtig, weil es daran haperte. Der Katalogteil bis Seite 287 bringt dann aber nicht einfach Abbildungen mit kurzen Angaben, sondern nutzt jedes Bild – Ölskizze, Rötel, Schwarze Kreide, Tinte, Öl auf Eiche, auf Kupfer, auf Leinwand, auf Papier, auf Leinwand aufgeklebt – zu einer ausführlichen Beschreibung seiner Herstellung, der Situation und der Bildaussage, wobei das für den Leser besonders Wichtige die angeführten Vergleichsbeispiele sind, seien sie weitere Begas oder Künstlerkollegen. Mit einem Wort: Sie haben hier eine fundierte kunstgeschichtliche Pioniertat vor sich liegen, über die man mit Respekt urteilt: viel gelernt, was man nicht wußte. Denn auch wir, mit unserer Selbstverpflichtung, nur dem eigenen Auge zu trauen, sind eben nicht so zu Hause im 17. Jahrhundert, wie wir dachten und in Harlem schon gar nicht. Gut gemacht, Autoren und Verlag!