mit yyAnne Imhof mit Binding-Kulturpreis 2022 in der Frankfurter Paulskirche ausgezeichnet, Teil 2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Dieser seit 1996 verliehende Binding-Kulturpreis bringt eine der sympathischsten Preisverleihungen mit sich. Das hatte sich jahre-, ja jahrzehntelang im Kaisersaal des Römer gezeigt, wo es meist hoch und vor allem heiß herging; aber auch in der so viel größeren Paulskirche, mit dem Abstand zum Vortragepult, einer richtig großen Bühne, konnte sich der Charme der Veranstaltung herüberretten, was sicher auch an der verbindlichen und so gar nicht formal daherkommenden Bergit Gräfin Douglas lag, die als Vorsitzende des Vorstands der Binding-Kulturstiftung seit jeher einen betont menschlichen Ton anschlägt, Ausfluß einer gewissen Privatheit, da sie nicht eine bestellte Funktion ausfüllt, sondern Mitglied der Besitzerfamilie ist.

besser buntDenn 'Binding', die uralt Frankfurter Marke, die zusammen mit 'Henninger Bräu' Frankfurter Biertradition ausmachte, heißt heute zwar noch Binding, gehört aber in die Radeberger Gruppe, die - man glaubt es kaum - 60 Biermarken vertreibt, auch in Frankfurt sitzt, aber heute zur Oetkergruppe gehört, einem ausgedehnten Familienbetrieb. Tatsächlich hat die Oetker-Gruppe über 40 000 Beschäftigte und einen Jahresumsatz von 7, 41 Milliarden Euro und ist eines der größten deutschen Familienunternehmen. Die Verleihung in der Paulskirche hat allerdings einen über alle Jahre im Kaisersaal vorgenommenen witzigen Werbezug verloren. Es hatte sich nämlich im Kaisersaal die Oetkertochter Gräfin Douglas dort immer ans Rednerpult ein großes Glas frisches Bier bringen lassen - und es angetrunken. Vielleicht ist das aber auch nur vergessen worden, denn die emsige Pressesprecherin Claudia Geißler hatte in der Paulskirche unter ihrem Platz zwei volle Flaschen und ein leeres Glas stehen. So blieb es beim Wasser für alle. "Alle", das waren überwiegend Studierende der Kunsthochschulen, bzw. deren Abgänger und Künstler. Einmal ein anderes Publikum in der Paulskirche, neben den Frankfurter Kulturträgern aus Parteien, Presse etc. 
horstmannUngewohnt auch die fehlende Musik. Es ist eine schöne Gewohnheit, daß die Veranstaltungen in der Paulskirche mit meist kammermusikalischer Besetzung eingeleitet und beschlossen werden. Aber am Ungewohntesten war folgende Situation: die angekündigte Vertreterin der Stadt, die Dezernentin für Kultur und Wissenschaft, Ina Hartwig, war 'malade', wovon ihr Vertreter, der ehrenamtliche Stadtrat für Kultur Mikael Horstmann (links) kündete, der also die Begrüßung vornahm und von der Bildenden Kunst als Seismograph der Gesellschaft sprach, die in ihrer Zeitgenossenschaft gesellschaftliche Brüche widerspiegelt und als Reaktion auf den Zeitgeist zu verstehen ist. Er ging auch auf den Lebensweg der Künstlerin ein, die 1978 in Gießen geboren, in Petersberg bei Fulda aufwuchs, in Frankfurt nicht nur an der Städelschule ihren zweiten Teil ihrer Ausbildung absolvierte, sondern der Stadt auf vielfältige Weise verbunden ist. Gleichzeitig sprach er von ihr als einer, die "in der Welt zu Hause ist", was das Pendant zum Lokalen/Regionalem ist. Sie ist auch künstlerisch in vielen Bereichen der Kunst zu Hause, in ihrem Werk finden sich Zeichnung, Malerei, Musik, Film sowie Installationen und performative Arbeiten. Bekannt wurde sie erst recht durch die Gestaltung des deutschen Pavillons auf der Viennale von Venedig 2017, wofür die den Goldenen Löwen erhielt. 

braveuberreichungSpäter erfuhr ich, was mich immer schon interessiert hatte, daß sie, die ihrem Vater Dr. Michael Imhof dankte, tatsächlich die Cousine von Dr. Michael Imhof ist, der zusammen mit seinem Bruder Thomas den erstaunlich produktiven Michael Imhof Verlag führt. Eine kreative Familie. 

Die "Ansprache" der Bergit Gräfin Douglas (links neben der Preisträgerin), die sie mit Martin Walser und dessen Ausführungen, wie ein Buch entsteht, einleitete, zeigte später, daß sie in Venedig die damalige fünfstündige Performance FAUST selbst gesehen hatte und weiß, daß das Publikum bei Imhof nicht Betrachter, sondern Teil des Kunstwerks wird. Daß die Künstlerin schon als Schülerin ihre Interessen im Bereich der Kunst phantasievoll und entschlossen vertrat, zeigten Beispiele aus ihrem Schülerinnenleben. 

freundinUnd dann kam die zweite Malaise, das dritte Ungewohnte, denn auch die vorgesehene Laudatorin Prof. Dr. Juliane Rebentisch, Philosophin und Professorin für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main war krank geworden, hatte aber ihre Laudatio niedergeschrieben, die von Franziska Aigner (rechts), langjährige Weggefährtin und Freundin von Anne Imhof vorgelesen wurde und der man zuerst einmal entnahm, daß sie - zuvor gut durchgekommen durch die Pandemie - nun an Corona erkrankt war. Es handelte sich um eine Laudatio, die mündlich vorgetragen, doch sehr den Wunsch nach dem Lesen der komplexen Zusammenhänge erweckte. Vergleiche wie, die Künstlerin bearbeite das Leben als Stilleben wie eine Malerin, ihre Kunst sei ein Rückstoß auf das sogenannte wirkliche Leben, zeige das Allgemeine aus dem Besonderen, das Psychologische aus dem Sozialen, sind doch sehr allgemein und damit dann auch wieder nichtssagend. 


IMG 5478 3.JPGurkundeDer wichtige Akt der Preisverleihung machte ja erst die Künstlerin zur Preisträgerin, was jeweils mit einer großen Urkunde hinter Glas bezeugt wird. Es sind die unterschiedlichen Künste, die im Wechsel durch ihre Interpreten ausgezeichnet werden. Diesmal die Kunst, die Musik immer wieder, auch das Bücherherstellen, das Schreiben, der Tanz, das Theater, der Film...Das bekommt die Jury - Namen unten - immer gut hin. 

anneAnschließend folgte in der Dankesrede der Künstlerin (rechts) auch ihr Dank an Susanne Pfeffer, die als Kuratorin des deutschen Pavillons auf der 57. Biennale Anne Imhof eingeladen hatte und als Leiterin dem Frankfurter Museums für Moderne Kunst sie 2019 im MMK  ausgestellt hatte. Neben dem Dank an ihre Familie, ihre Tochter und Weggefährten, äußerte die Künstlerin ihre Gedanken zur gegenwärtigen Situation, ihre Vorhaben, auch ihre Verbundenheit mit Frankfurt, wo sie lebt und sich durch die Auszeichnung in der Paulskirche sehr geehrt fühlt. 

Mit "Lassen Sie Ihr Herz entflammen und sorgen Sie dafür, daß die Flamme nicht ausgeht", endete sie. 





anneimhof Fotos: Titel: Anne Imhof, links Bernd Kracke, Präsident der Hochschule für Gestaltung Offenbach, wo Anne Imhof ihr erstes Studium absolvierte, rechts Otto Völker (Vorstand Binding-Brauerei)
Text: 
alle Fotos ©Redaktion

Info:
Weltexpresso hatte über Imhofs Arbeit in Venedig berichtet:
https://weltexpresso.de/index.php/kulturbetrieb/7982-gut-zu-wissen-dass-es-kunst-ist_544_544









 
Mitglieder des Kuratoriums

Torsten Becker
Professor Heiner Goebbels
Dr. Stefanie Heraeus
Michael Hierholzer
Olga Martynova
Professor Dr. Ulrich Raulff


Binding-Kulturpreisträger

2022     Anne Imhof
2021     ID_Frankfurt e. V. (Independent Dance and Performance)
2020    Junge Deutsche Philharmonie
2019    Frankfurter Kunstverein
2018    Tigerpalast Frankfurt
2017    Kinothek Asta Nielsen
2016    Verlag Schöffling & Co.
2015    Max Hollein
2014   Verlag der Autoren
2013   Das Jazz-Duo Heinz Sauer und Michael Wollny
2012    Atelier Goldstein
2011   Willy Praml
2010    Dr. Günther Rühle
2009   Das Freie Deutsche Hochstift / Frankfurter Goethe Museum
2008   Heiner Goebbels
2007   Michael Quast
2006   Die Architekturklasse der Städelschule und Professor Ben van Berkel
2005   Literaturhaus Frankfurt e.V.
2004   Professor Dr. Hans Günther Bastian und Karl Rarichs
2003   Die Kernmitglieder der „Neuen Frankfurter Schule“: F.W. Bernstein, Bernd Eilert, Robert Gernhardt, Peter Knorr, Chlodwig Poth, Hans Traxler und Friedrich Karl Waechter
2002   Die Maler der Quadriga: Karl Otto Götz, Heinz Kreutz, Otto Greis und Bernard Schultze
2001   Stroemfeld-Verlag Frankfurt/Basel
2000   Cäcilien-Chor, Frankfurter Singakademie und Frankfurter Kantorei
1999   Künstlerhaus Mousonturm
1998   Professor Kasper König
1997   Thomas Bayrle, William Cochran, Wolfgang Deichsel
1996   Ensemble Modern