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Kategorie: Kunst

Serie: Pergamon. Panorama der antiken Metropole im Pergamonmuseum in Berlin, Teil 4

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Am Anfang war Alexander! Alexander der Große bleibt die Führungsfigur für alle nachfolgenden Reiche. Dieser Kolossalkopf entstand um 200 v. Chr. und wurde um 1900 über der Nordhalle der Unteren Agora gefunden. Das Original befindet sich in Istanbul, ein Abguß in Berlin. Er weist die typischen Alexanderzüge auf:

die Anastolè, diesen Haarwirbel über der Stirn, den sowohl seitlich geneigten, wie nach oben gerichteten Kopf, die geöffneten Lippen, der in das Innere gerichtete, sogenannte ‚feuchte‘ Blick, alles Merkmale, die seine Nachfolger als Sakralisierung übernahmen, auch die Attaliden!

Die Kenner sehen sofort, daß es sich hier um einen Alexandertypus handelt, den man „Erbach-Akropolis“ nennt - übrigens Erbach im Odenwald, wo man ihn bestaunen kann - , der den Jüngling zeigt und dies auf eine weiche, sinnliche Art. Welche Funktion dieser Kopf hatte, ob der Fundort Aufstellungsort war, das alles ist unbekannt. Doch in der Ausstellung kommt dieser Alexander immer wieder vor, denkt man. Und phantasiert bei dem weiteren Kolossalkopf, dem Porträtkopf des Attalos‘ I. (oben im Bild) gleich, daß beide nebeneinander aufgestellt gewesen waren.

 

Dieser Attalos I. wurde in Pergamon am Südabhang des Burgberges vor 1908 gefunden, verbaut in einer späten, wohl byzantinischen Mauer und wird auf das 1. Drittel des 2. Jahrhunderts vor Chr. datiert. Hier weiß man, daß er der Kopf einer 3 Meter großen Statue war. Der Kopf ist bartlos, hat etwa doppeltes Menschenmaß, ist alterslos und beim Anblick im Original sieht er eher aus wie Alexander, als auf der oberen Abbildung. Betonen wir die Unterschiede: Er hat kleine, tiefliegende Augen, eine breite, wulstige Stirn, die Nasenwurzel ist sehr nach innen gezogen, die Nase höckrig, die Unterlippe tritt etwas zurück, dafür das Kinn nach vorne. Die Haare lassen die Ohren frei, fallen als Locken in die Stirn und lassen von hinten das Königsdiadem deuten, diese schmale Stoffband, das seit Alexander im Haar getragen den Herrscher ausmacht. Was man nicht auf den ersten Blick sieht, aber nachlesen kann, ist, daß das üppige Haupthaar gar nicht original ist, sondern unter Abtragung der ursprünglichen Sichellocken einfach mit Kitt angestückt wurde. Mehr Volumen sieht bedeutender aus!

 

So ganz ist die Benennung mit Attalos nicht gesichert, aber uns paßte die angebrachte Bezeichnung gut, um kurz die Geschichte der Attaliden darzustellen. Pergamon war schon seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. besiedelt. Der Platz war Ort der mythisch-historischen Welt der Griechen, wobei diese Region mit den Erzählungen vom Herakles Sohn Telephos identifiziert wird– dessen Geschichte ist Inhalt des oberen Frieses, wenn man die Stufen des Pergamonaltars hinaufschreitet. Auch Asklepios, der Griechen Heilgott mit seinem Quell- und Wasserheiligtum ist hier schon für das 4. Jahrhundert nachweisbar. Mit dem Alexanderzug 333 vor Chr. kam die gesamte Region unter makedonische Kontrolle. Auch Göttin Athena spielte eine besondere Rolle, so daß die Verbindung zu Alexander und die zu Athen eine Leitlinie im Selbstverständnis der Polis und in der Repräsentation der pergamenischen Herrscher wurde. Philetairos (ca. 343-263), eines Makedoniers namens Attalos Sohn, schloß sich dem siegreichen Seleukos I. an und gehörte ab da als Herrscher von Pergamon zum Seleukidenreich – einem der Diadochenreiche Alexander des Großen.

 

Über Eumenes I. wurde dann mit Attalos I. (241-197) für rund 100 Jahre Erfolgsgeschichte geschrieben. Attalos war der Großneffe des Philetairos und von Eumenes adoptiert worden – nur wir glauben, daß die Dynastien damals - wie heute üblich - auf Blut-Fortpflanzung basierten, Regel wurde die Adoption! Wie bei den römischen Kaisern – und tat sich hervor im Kampf gegen die Galater, die wir die Kelten nennen. Dieser Sieg hat zu den wunderbaren Skulpturen der sterbenden Galater geführt, die, wo immer aufgestellt und wie immer kopiert, ihren Eindruck von ausgedrücktem Schmerz niemals verfehlen. Attalos nahm dann auch den Konkurrenzkampf mit den Seleukiden auf, siegte eins über das andere Mal, was Eumenes II. fortsetzte, bis dann Attalos III. (138-133) nicht einen Nebenstamm (Aristonikos-Aufstand, dieser Aristonikos war ein unehelicher Sohn von Eumenes)  ans Ruder ließ, sondern in seinem Testament Reich und Volk den Römern vermachte.

  

Das zu den Kolossalköpfen. Und doch sind es immer wieder die Trümmer, die unsere Augen innehalten lassen. Wunderschön das Fragment eines kolossalen Jünglingskopfes, das 1879 im Gymnasion gefunden wurde und nur die sinnlichen Lippen zeigt, einen etwas kräftigen Hals und den Ansatz der Nase. Alles andere ist zerschlagen, gibt dem Kopf aber etwas Rührendes, weil wir ihn im Geiste sofort vervollständigen. Soviel Bildgedächtnis hat jeder.

 

Aber jetzt geben wir auf. Wir müßten so viele Figuren vorstellen, vor allem die unterschiedlichen Athena-Darstellungen, die fast immer kopflos eine Kraft  und Belebtheit ausströmen, daß man wieder einmal fasziniert ist, wozu Stein, nackter Stein in menschlicher Bearbeitung fähig wird. Alles grandios einfach. Und hier läuft es auf einmal umgekehrt Das gibt es nur den Kopf, einen weiblicher Kopf, dem eine leere imaginäre Skulptur nur durch Licht als Körperschema anbeigegeben wird, die – wieder das Bildgedächtnis – unsere Augen, unser Kopf einfach zur Statue ergänzen. Es bleibt nichts übrig, als das Begleitbuch zu erwerben. Aber das kann man tun und sich ausgiebig mit den Fundstücken und Pergamon beschäftigen. Es lohnt sehr, denn die hellenistische Kunst ist uns affin, um das mal salopp auszudrücken.

 

P.S. Der abschließende Teil der Ausstellung mit dem riesigen Pergamonalter bleibt ja im Haus, das nach ihm benannt und für ihn gebaut wurde. Von daher sind alle oberen Ansätze bei einer zukünftigen Besichtigung immer wieder weiterführbar. Mit den Attaliden und Pergamon kann man alt werden.

 

Bis 30. September 2012

 

Begleitbuch zur Ausstellung:

 

Pergamon. Panorama der antiken Metropole, hrsg. Von Ralf Grüßinger, Volker Kästner und Andreas Scholl, Michael Imhof Verlag 2011. Ein Ziegelstein dieses Begleitbuch. Aber das darf man bei einer solch imposanten Angelegenheit wie Pergamon auch erwarten, wo ja alleine der in Berlin befindliche Pergamonaltar das menschliche Begreifen übersteigt, wie nämlich all die Steine und Steinplatten den Weg aus Vorderasien nach Berlin gefunden haben. Diesmal aber geht es um die Region aus der er herstammt und wo der Altar selbst am Ende der Ausstellung den krönenden Schlußpunkt setzt. Dieser Katalog ist einer für das ganze Leben, denn er enthält Grundsätzliches zu Geschichte, Kultur und Religion von Pergamon und geht auf alle regionalen Besonderheiten ein, Entdeckungs- und Grabungsgeschichte, Topographie und Architektur, Herrscher und Hof, Kulte und Heiligtümer, Pergamon als Polis – im Unterschied zur Metropolregion, Skulptur und Handwerk. Insbesondere die abschließende Rezeptionsgeschichte der Funde, die ab Seit 378 einsetzt, ist spannend und erhellend zudem.

 

Der Katalogteil folgt ab Seite 422 und führt dreispaltig im Bild (farbig!) die Ausstellungsexponate der einzelnen Ausstellungsteile vor und gibt neben den bibliographischen Angaben- bei Fundstücken sind dies Ort, Zeitpunkt, Herstellungsangaben, Material sowie heutiger Aufbewahrungsort -  auch Hinweise zur Auffindung oder der Funktion, ihren Gebrauch und das Besondere des Gegenstandes. Wenn es sich dabei beispielsweise um die „Statue eines bärtigen Gottes, ‚Zeus Ammon‘ handelt, dann gehen auch vier Spalten drauf. So kommen für den ersten Teil 26 Exponate zusammen, für den zweiten 39, den dritten 158, den vierten 18, den fünften 64, den sechsten 68, den siebten 13, den achten 13, den neunten 16, den zehnten 12 in Wort und Bild erlebbare Ausstellungsstücke.

 

Abgesehen davon, daß Sie zu Hause dann froh sind, sich so die gesehen Stücke noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, und beispielsweise vergleichen zu können mit anderen Stücken in anderen Teilen der Ausstellung, ist einfach die Gesamtheit des Bandes das Wunderbare, weshalb man aus guten Gründen von einem Buch fürs Leben sprechen kann.

 

Panorama-Bild und Textband der asisi GmbH, 2011. Würdigung folgt.

 

www.smb.museum

www.asisi.de

www.pergamon-panorma.de