Für den Gang ist genügend Zeit einzuplanen. Es wird belegt, dass das, was die menschliche und dem Menschen sich entziehende Entwicklung grundsätzlich kennzeichnet, in Rhythmen beschlossen ist. Zurück bleiben Variationen auf innere Bezüge und geheime Wechselwirkungen in einer langen Linie. Unterschiede sind nur phänomenologisch. Das Haus, in dem das Werk des Künstlers ausgelegt ist, wird die Tragik ereilen, dass auch wieder abgebaut werden muss. Die Archivierung wird eine nicht leicht zu bewältigende Aufgabe sein, auch wenn gar viele Apparaturen und Techniken zur Verfügung stehen – mehr als je zuvor. Der Abbau wird des Dramas nicht ganz entbehren. Auch wenn es ein Danach geben muss.

Daher lohnt es sich das Handbuch zur Ausstellung hinzuzuziehen, allein schon als ein überlegener Assistent. Jahre später noch wird es die Rückerinnerung und Rückbezugnahme zumindest begünstigen. Besonders diejenigen, die nicht einem näheren Kreis der Kunstrezeption angehören, haben durch das Handbuch immer wieder die Chance nachzuvollziehen wie der Künstler es gemacht hat, welche seine Methoden waren und was der Drang der Kunst vom Künstler abfordert, ihm abringt. „Wille“ ist hier: die von Intelligenz geleitete Auseinandersetzung mit dem System Welt, das eine gefährliche Einrichtung ist.

Mit solch einleitenden Sätzen wäre der Ausstellung fast schon Genüge getan, wonach sofort die Einlassung auf das Werk beginnen kann. Also besser kurzfristig ins Museum gehen, das Handbuch besorgen und sich dem Parcours hingeben, sich aussetzen, an ihm auch ein wenig leiden, wenngleich produktiv. Das lohnt sich besonders für jene, die sich am Übergang ins Leben künstlerisch gründen wollen, vornehmlich studentische Geister, die den Impuls zur Kunst in sich vernehmen. Garantiert wird das Magische und Manische, das Künstlerinnen und Künstler antreibt, es kann studiert werden. Hierzu wurde auch ein Web-Film produziert.

Interventionen im Liebighaus, die zugleich Inszenierungen sind

Die Ausstellung kombiniert Gattungen. Der Technikbegriff ist erweitert. Korrespondenzen und Bezüge werden augenscheinlich. Traversalen werden ruchbar. Der klassisch-formale Kunstbegriff ist ohnehin geschenkt. Was bleibt, sind die Alten als Begründer und Wegebereiter. Sie brachten den Prozess der Arbeit am menschlichen Selbstverständnis ins Laufen. Neue Erkenntnisse besagen: „Die Sonne ist sehr schnell aufgegangen“ (Nicholas J. Conard), aber auch erst sehr spät. Die Kunst ist nicht das späte Produkt eines aufgezogenen Uhrwerks, sondern Emanation menschlichen Geistes, ein sehr eigener, filigraner Kosmos und Einfall.

lh presse kentridge rebus stamp telephone nude opt 2013Alte Skulpturen aus Marmor oder Bronze werden zu Anlässen für Interventionen William Kentridges. Er legt Linien zu Ereignissen, die darauf warteten, erkenntlicher zu werden. Die Intervention kann die Linien- oder Strichzeichnung, die kleine/große assemblierte Skulptur hervorbringen, sich aber auch in raumerfüllende Konstruktionen drängen, die den Aufenthalt im multimedialen Maschinenraum erfordert, an dessen Wänden visuelle Animationen laufen.

Die kinetische Skulptur, die als Film, als animierte Zeichnung, als laufende Bilder aufkreuzt - sie ist eine Manie von Kentridge -, macht Tempo, bringt etwas vom Gewaltsamen der Zeiten in museale Ausstellungräume. Unvermitteltheit ist die Abbreviatur der Katastrophe.

Ein Wandtext informiert: „Kentridge lebt und arbeitet in Johannesburg. Er beleuchtet historische Konstellationen, die die Mechanismen von Macht und Unterdrückung offenlegen. Seine Arbeiten umkreisen das Scheitern der Aufklärung, die Konsequenzen der Industrialisierungs- und Kolonialisierungsgeschichte, die Ohnmacht der bürgerlichen Gesellschaft“.

Das Liebighaus wartet, wenigstens minimal erklärt zu werden. Es wurde am Frankfurter Mainufer von Baron Heinrich von Liebig, der ein erfolgreicher Textilfabrikant war, unter dem Einfluss des Historismus aus unterschiedlichen Baustilen komponiert. Und wurde als herrschaftliche Schloss-Villa errichtet. Da die Ausstellung in ihr lagert, macht sie den diagonalen Aufstieg vom Keller bis unters Dach mit. Es gilt für dieses Haus eine seltsame Beziehung zwischen Industrialismus und Historismus, zwischen Stahlproduktion und Pickelhaube.

Alles im Liebighaus wird zum Material von Ereignissen

Die Katastrophe Weltgeschichte zündelt überall, verbirgt sich in jeglichem als Zutat, formt Biographien, der Großen wie der Geringen, des Trotzki wie seiner Sekretärin. So verbirgt jener Anruf: ‚O Sentimental Machine‘, der der Ausstellung den Titel verleiht, das Katastrophische, das der Weltgeschichte subkutan innewohnt. Personen der Geschichte, vergangener wie neuerer, leuchten auf, die Zeiten wie die Völker. Das erwirkt Spannung zwischen einer gefälligen – oft missinterpretierten - Klassik und dem Einbruch der scheiternden Moderne; man bewegt sich zwischen Wohlgefälligkeit und Schlächterei.

Nicht nur die mechanischen Verrenkungen der russischen Oktoberrevolution, auch Südafrika, als Heimatland des Künstlers, ist mit einem eigen dafür arrangierten Raum vertreten. Das mitgestaltende Medium Laufendes Bild ist generell ein großer Vermittler. Die Mechanik ist fortlaufendes Motiv, mit Goldabbau und maschineller Revolution, die bis in den Entwurf vom neuen Menschen reicht. Ist das mechanistische Weltbild, das bis heute fortdauert, womöglich der Grund für das Elend der scheiternden Moderne, sich fortsetzend auch mit dem verselbständigten Digitalisierungswahn?

Die Ausstellung wirft so viele Fragen auf, die sie aber nicht lösen darf, denn das würde uns noch weiter ins Elend führen. Künstler können eben nur Mahner sein und Wegebereiter einer von Ideologie, Leid und Herrschaft freieren Welt, aber immerhin das. Niemand kann sie ersetzen.

Wie der Künstler William Kentridge arbeitet, wie er sich dem Numinosen in Folgen der Fragmentierung der Objekte eines Altertums nähert, lässt sich im Raum 105 (‚Nachrichten aus Ägypten‘) nachvollziehen. An einer Filmarbeit, die ihn als manische Persönlichkeit zeigt, die versucht, dem Altertum etwas abzuhören; sich auf dieses einzulassen, es zu erlauschen. Das Vergangene wird zum Sender, er ist der Empfänger. Der Künstler nimmt für voll, was der Nichtkünstler verschmähen würde.

Zeitbegriff und Zeitpraxis

Die Zeitlichkeit nimmt in der Ausstellung eine zentrale Stelle ein. Die Zeit, ihre Gefüllt- oder Leerheit, ist seit jeher das Mysterium, das auch ein Heidegger nicht bis auf den Grund erhellen konnte. Das Verhältnis der anscheinend leeren, stumpfsinnigen Zeit zu ihrer Bepacktheit mit industrieller Arbeit und ihres Überwechselns in die Verschwätztheit der Medien, macht uns umso mehr ratlos. Um diese Ratlosigkeit zu umgehen, schalten wir auf Abwehr der philosophischen Zeit und setzen auf ihre Ersetzung durch Aktionismus. Ein wesentlicher Grund für das Konstruieren der Ausstellung ist die Tatsache der ‚Refusal of Time‘.

Der Hauptwandel besteht in einem Gegensatz: „Die künstliche Normstunde, also die Unterteilung des Tages in zwölf gleichförmige Einheiten wurde gegen die natürliche Sonnenstunde gesetzt, die zwischen Sommer und Winter in der Dauer stark variierte“. Liegt nicht die Annahme nahe, dass die Dekonstruktion der Naturzeit zum menschlichen Trauma wurde?

Der Parcours der Ausstellung geleitet durch 27 Räume mit angestammten und hinzugekommenen Arbeiten. Der große Rom-Saal beherbergt die überwältigende Installation der „atmenden Maschine“ mit ihren pumpenden Bewegungen die, indem sie sich „an eine Zeitpumpe im Paris des 19.Jahrhunderts, die mittels eines weitverzweigten Röhrensystems in präzisen Zeitintervallen akustische Signale in Behörden, Schulen und Bahnhöfe senden konnte“, anlehnt, als Kritik am industriellen Zeitbegriff zu verstehen ist. Mit Kentridges Figurenserie ‚Processione di Riaparazioniste‘ (Raum 101) wird ein Tribut angemahnt: All jenen ‚zu huldigen‘, die den wirtschaftlichen Erfolg durch „un- oder unterbezahlte Arbeit Europas erst errichtet“ haben.

Fotos: kentridge.liebighaus.de

Info: bis 26. August im Liebighaus am Frankfurter Museumsufer