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Kategorie: Lust und Leben
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Hanswerner Kruse

Schlüchtern (weltexpresso) - Heute erzählen wir von Jamsheed Ahmad Butt (19), der in Schlüchtern geborenen wurde. Sein Vater kam 1986 als Kaufmann in den Bergwinkel, weil er für sich und seine Familie in Pakistan keine sichere Zukunft sah. Wir wollen das „Migrantenkind“ vorstellen und schauen, wie es ihm - Jahre nach der Flucht seiner Familie - ergangen ist.
Sein Vater holte sechs Jahre nach der Ansiedlung in Schlüchtern seine Frau und die beiden Kinder aus Pakistan hierher und wurde in der Modebranche erfolgreich. Die muslimische Familie trat in Deutschland zur großen Ahmadiyya-Gemeinde über, dann wurden Jamsheed, und zwei weitere Geschwister geboren. Alle Kinder sind mittlerweile Deutsche geworden. „Wir haben hier unsere Heimat gefunden“, meint Jamsheed, „in Pakistan war ich nur einmal als kleines Kind.“

Zu Hause reden die Eltern Urdu, eine der pakistanischen Sprachen, doch in der Kindertagestätte Weitzelstraße lernte der Zweijährige schnell Deutsch. „Das war eine unglaublich schöne Zeit “, erzählt Jamsheed, „ich kann mich gut an meinen ersten Tag erinnern.“ Es gab bereits einige Migrantenkinder, als „Ausländer“ hatte er keine Probleme: „Ich konnte einfach ich selbst sein, durfte tun was mir Spaß macht und viel spielen.“

Besonders beeindruckten ihn die Geburtstagsfeiern, denn im Islam werden Wiegenfeste nicht gefeiert - auch nicht in der reformierten Ahmadiyya-Gemeinde. In der Grundschule lief es dann weniger optimal für ihn. Er sprach bereits gut Deutsch, doch der Unterricht war oft zu komplex für ihn, so dass er manchmal nicht mitkam. Daraufhin wurde er sehr schnell in die Förderschule abgeschoben, ohne dass man seine Probleme untersuchte. Er hatte das Gefühl, gar nicht in diese Schule zu gehören, dennoch musste er bis zur 6. Klasse dort ausharren - obwohl er sehr gute Noten hatte und oft Klassenbester war.

Ein Lehrer, dem er heute noch dankbar ist, setzte sich stark für ihn ein und ermunterte die Eltern, den Sohn in der Hauptschule der Stadtschule anzumelden. Später bekam er dort die Mittlere Reife, seitdem besucht er die Oberstufe der Kinzigschule und schreibt dort im nächsten Jahr das Abitur. Ihn interessieren Geschichte, Politik und Wirtschaft sowie Deutsch und Englisch: „Ich bin ein Sprachtyp!“ Er hat gerne Fußball gespielt, sogar als Schiedsrichter, und geht regelmäßig zum Fitnesstraining.

Rassismus habe er, „vielleicht außer der Diskriminierung in der Förderschule“, nicht erfahren. Doch wirklich gestört habe ihn die Kampagne der Bürgerinitiative (BI) gegen den Bau einer kleinen Moschee. Und die AFD bereitet Jamsheed Unbehagen: „Durch die wird meine Identität infrage gestellt. Ich fühle mich mitunter fremd, obwohl ich hier schon seit jeher lebe“

„Mein muslimischer Glauben gibt mir meine Lebensweise vor“, sagt Jamsheed, „er lehrt mich auch, wie ich mich anderen Menschen gegenüber verhalten soll. “ Unter Gleichaltrigen hat er aufgrund seines Glaubens keine Probleme. Er wurde nicht streng religiös erzogen, ist aber sehr interessiert an interreligiösen Dialogen.  Im Gespräch distanziert er sich radikal von extremistischen Strömungen des Islams. Seine reformierte (und in Pakistan verfolgte) Glaubensgemeinschaft wolle hier keinen Gottesstaat errichten - im Gegenteil, sie trete für die Trennung von Staat und Religion ein. „Auch die Frauen werden bei uns sehr geachtet, viele von ihnen sind hochgebildet.“

Jamsheed möchte nach dem Abitur studieren und „der Gesellschaft etwas zurückgeben“.  Von anderen Menschen wünscht er sich, statt übereinander voller Vorurteile zu reden, aufeinander zuzugehen und Begegnungen zu suchen!

AHMADIYYA...
...ist eine weltweite muslimische Glaubensgemeinschaft, die sich als Reformbewegung des Islams versteht. „Im Namen Allahs“ werden diese „Feinde des Islams“ in ihren muslimischen Heimatländern diskriminiert, verfolgt und häufig sogar ermordet.

Foto:
Hanswerner Kruse

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