wpo Anastasia KleiderÜber eine Meisterin der Orthopädieschuhe

Hanswerner Kruse

In Steinau an der Straße (Osthessen) eröffnete vor eineinhalb Jahren die neue orthopädische Werkstatt „footopia“. Wir sprachen mit der Besitzerin Anastasia Anastasiadou über ihr außergewöhnliches Leben und die kreative Arbeit.

„Ich war ein Wildling als ich von Griechenland hierher kam“, erinnert sich Anastasia Anastasiadou (39), „ich hatte meinen eigenen Kopf und gab nicht auf, auch nicht, als ich in der bayrischen Schule in die ‚Deppenklasse‘ musste.“ Ebenso resistent war sie Jahre später, als sie in Steinau ihre orthopädische Werkstattlandschaft „Footopia“ plante. „Das schaffst Du hier nicht“, bekam sie sogar von Freunden zu hören.

KN Werbeplakat
Doch die eigene coole Werbekampagne für ihr Projekt erreichte erfolgreich nicht nur junge Leute. Ein älterer bärtiger Freak mit bizarren Schuhen und einer Zigarre in den Händen (Foto), tauchte auf Plakaten in Schlüchtern auf. Neben ihm die Botschaft: „Orthopädie kann cool sein.“ Dieser, sagen wir alt gewordene Rockmusiker, warb für Einlegesohlen und Diabetisversorgung. Jung geblieben suggerierte er, Lifestyle und orthopädische Probleme schließen sich nicht aus.


Anastasia kreiert nicht nur solch provozierende Werbung, sondern empfindet ihre orthopädische Arbeit als kreativ und künstlerisch. In der offenen Werkstatt, in der die verschiedenen Arbeitsplätze mit den Näh- oder Schleifmaschinen ineinander übergehen, riecht es nach Lösungsmitteln. Berge von großen, grell bemalten oder bedruckten Lederstücken warten darauf, weiterbearbeitet zu werden. „Das Handwerkliche soll sichtbar sein“, meint sie.



KN Anastasia Kleider
Neben dieser Arbeit näht sie fantastische Kleider aus Federn, Spitze, Kunstblumen, „eben aus allem was man brauchen kann“. Models, die in diese textilen Träume schlüpfen, nimmt ihr Lebensgefährte Chris Volk auf, dessen Metier die Fotografie ist (Foto mit ihr selbst).

Sie stellt romantische Seifenobjekte her, zeichnet, schreibt - und weckt Gemüse oder Obst ein, backt Brot und bereitet Schinken. Sicher hängt diese kreative Neugierde mit ihren Kindheitserfahrungen zusammen.

Denn als Kind griechischer Gastarbeiter wurde sie in Landshut geboren. Die Eltern hatten sich der herzlosen Arbeitsbedingung unterworfen, hier keine Kinder zu bekommen. Darum musste sie in einem Bergdorf im Nordosten Griechenlands bei den Großeltern aufwachsen (Foto). Die Menschen lebten dort in bitterer Armut und stellten alles was sie bedurften selber her: Möbel, Gemüse, Oliven, Mehl.


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„Es war ein Kulturschock als ich mit acht Jahren hierher kam und meine Eltern zum ersten Mal sah. Bis dahin waren Oma und Opa meine Eltern. Elektrogeräte, Badewannen oder Bananen waren mir fremd.“ Doch bei den Großeltern hatte Anastasia nicht nur gut Deutsch gelernt, sondern die gaben ihr so viel Selbstvertrauen, Gerechtigkeitssinn und Charakterstärke mit, dass sie sich in der deutschen Schule behaupten konnte. Dort galt sie zunächst als „Depp“, weil sie mit den Fingern aß und sich nicht „passend“ anzog. Lange pendelte sie zwischen Griechenland und Deutschland, bis sie dauerhaft hier bleiben und sogar das bayrische Abitur hätte machen können. Sie wäre gerne Modedesignerin geworden, doch das lehnten die Eltern ab und drängten sie zum Jura- oder Medizinstudium.

Rebellisch schmiss Anastasia ihre Reifeprüfung und schrieb ein Pamphlet gegen ihr elitäres Gymnasium: „Das Abi kann mich mal!“. Aber was nun? In der Nachbarschaft gab es Orthopädie-Schuhmacher, Vater und Sohn, bei denen sie deren Handwerk lernte. Die beiden Lehrmeister hatten ständig unterschiedliche Vorstellungen von der Arbeit, doch sie hielt die Widersprüche aus. Später arbeitete sie in anderen Werkstätten und gewann einige Wettbewerbe mit ihren orthopädischen Schuhen: „In dem ‚SportHINGUCKER‘ oder ‚KinderschuhTRAUM’ habe ich meine Ideen als Designerin bewahrt.“

Sie hätte für Birkenstock und andere Firmen stylen können, doch sie machte die Meisterprüfung, um selbständig zu werden: „Ich wollte mir nicht mehr sagen lassen, was ich wie zu machen habe.“ Zwischendurch bekam sie zwei Töchter, die jetzt 16 und 14 Jahre alt sind und zog für einen episodischen neuen Job nach Schlüchtern. Doch erst in der eigenen Werkstatt kann sie nun ihre Vorstellungen von menschlicher Begegnung in der orthopädischen Betreuung und der fantasievollen Gestaltung oder Reparatur von Schuhen und anderen Ledersachen realisieren.

Die Deutschgriechin hat sich aus beiden Ländern „das Beste genommen“, die Wärme, die sie im Umgang mit ihren Kunden und anderen Menschen lebt, ist sicher ihr griechische Anteil. Ansonsten ist ihr Anspruch: Ich arbeite mit Menschen und obwohl sie manchmal krank sind, sollen sie mit einem Lächeln aus meinem Laden gehen!“

Infos:
Zur Webseite von footopia

Fotos:
Anastasia mit ihren genähten Kleidern / Mann mit Schuhen  © Chris Volk
Kinderbild privat