Galeria Kaufhof in Frankfurtoder Wie man einen gestrandeten Warenhauskonzern endgültig kaputt macht

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nahezu jede voraussehbare Pleite beginnt mit dem phrasenhaften Schönreden von Realitäten, die gegen eine Geschäftsidee sprechen.

Wenn der Ruin dann zwangsläufig eingetreten ist, hagelt es von Rechtfertigungsversuchen der Verantwortlichen. Am Beispiel von „Galeria Kaufhof“ an der Frankfurter Hauptwache lässt sich illustrieren, welche unternehmerischen Fehlentscheidungen typisch sind für Flops im Handel, die häufig enorme Ausmaße annehmen, einschließlich des massenhaften Arbeitsplatzverlustes. Wenn ein Warenhaus an diesem Standort, der zu den bestfrequentierten Einkaufsmeilen des Landes zählt, in eine wirtschaftliche Schieflage gerät, waren Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsgremien offensichtlich nicht hinreichend qualifiziert für ihre Aufgaben.

Der Weg ins Desaster weist bei Warenhäusern häufig diese Zwischenstationen auf: Zunächst wird das Warenangebot auf Schnellgänger bzw. auf solche Artikel reduziert, die zu besonders günstigen Konditionen eingekauft werden können. Dann wird den Abteilungen Fachpersonal entzogen. Gut ausgebildete Verkäufer werden durch Mitarbeiter ersetzt, die möglicherweise dazu in der Lage sind, eine digitale Warenbewegungskarte zu bearbeiten, deren Warenkunde aber gegen null tendiert. Und die dem Rat suchenden Kunden nicht mehr Rede und Antwort stehen können. Die Behauptung, unzureichend sortierte Warenhäuser und Fachgeschäfte mit zu wenig Fachpersonal und unzureichenden Online-Aktivitäten hätten die Käufer in die Arme von Amazon & Co getrieben, ist nach meinen Recherchen überwiegend zutreffend. Denn die kalkulierte Reduzierung des Warensortiments, die bereits lange vor den Auftritten der Internet-Versandhändler eingesetzt hatte, wurde auch dann noch fortgesetzt, als das Konzept von Amazon, Zalando & Co längst erkennbar und der Internethandel insgesamt längst keine Nische für Spezialangebote mehr war. Bemerkenswert ist, dass die neuen Mitbewerber den Verbrauchern ausgerechnet jenes Alleinstellungsmerkmal vorgaukeln, das einst der Kaufhof (in bescheidenerem Maß auch Karstadt) für sich in Anspruch nahm, nämlich „alles unter einem Dach“ parat zu halten.

Als ich 1987 nach Frankfurt zog, war mein erster Einkaufsweg in den nächsten 15 Jahre stets der zum Kaufhof. Allein wegen der guten U- und S-Bahn-Anschlüsse. Die Buchabteilung stellte jede eingesessene Sortimentsbuchhandlung dieser Stadt in den Schatten. Ebenso überzeugte die Fotoabteilung mit einem Angebot, das sowohl in die Breite als auch in die Tiefe ging. Ähnlich gut sortiert waren Schreibwaren, Uhren oder Taschen. Und oben, knapp unter dem Dach, befand sich ein weiterer Magnet, die Unterhaltungselektronik in ihrer gesamten Ausprägung. Doch ab den frühen 1990er Jahren fand ein Umbruch statt, der sich so vollzog, wie ich das oben beschrieben habe. Am Ende stand eine Insolvenz, die durch das Zusammenlegen von Kaufhof und Karstadt noch begünstigt wurde. Der sprichwörtlich Lahme suchte Hilfe beim sprichwörtlich Blinden. Das konnte nicht gutgehen.

Der Corona-Lockdown verschärfte die strukturelle Krise. Zwar versuchte man, die Erlöseinbußen durch einen eigenen Online-Handel wettzumachen. Doch der lief nicht immer rund. Die Warenauswahl war dürftig, vielfach enthielt sie Artikel, die bereits vorher vom Kunden nicht nachgefragt wurden. Und die organisatorische Abwicklung verlief häufig dilettantisch bis unzuverlässig, vor allem bei der Erledigung von Auftragsrückständen. Aus meinem Bekanntenkreis haben etliche im Herbst / Winter 2020 die nachzuliefernden Waren nie erhalten und wurden auch nie informiert, warum man schlussendlich nicht liefern konnte – oder wollte.

Vor dem Hintergrund dieses belegbaren Nichtkönnens liest sich das Interview, das Miguel Müllenbach, der Chef von „Galeria Kaufhof Karstadt“, nun dem „Handelsblatt“ gab, fast wie eine Satire:
„Wir wollen das vernetzte Herz der Innenstadt werden“, war dort zu lesen. Die Filialen sollten zum „Wohlfühlstandort“ werden, an dem Menschen ihre Freizeit verbringen, einkaufen, Dienstleistungen in Anspruch nehmen, gastronomische Betriebe aufsuchen und Kultur genießen könnten. Hierzu sollen die verbleibenden Häuser in drei unterschiedlichen Kategorien weitergeführt werden. Als „Weltstadthaus“, als „regionaler Magnet“ oder als „lokales Forum“. Aus dem Kaufhof an der Hauptwache wird dann ein „Weltstadthaus“. Details werden dazu bislang nicht genannt.

Der Unternehmensvorstand beruft sich bei seinen Reformplänen u.a. auf eine Studie des „Instituts für Handelsforschung“ in Köln. Das führt seit Jahren den Betriebsvergleich des „Börsenvereins des deutschen Buchhandels“ durch. Doch an diesem beteiligen sich trotz Appellen des Verbands immer weniger Sortimentsbuchhandlungen. Begründet wird das von den Buchhandlungen mit dem Hinweis, dass der Vergleich von Ladenfläche, Wareneinsatz, Fixkosten, Personalbestand, Umsatz und Ertrag wenig praxistauglich sei. Denn dieses klassische Segment von Fachgeschäften sieht sich sowohl von der Konkurrenz des Online-Handels (Amazon) als auch von der der Filialisten wie Thalia stark herausgefordert. Die Ergebnisse der Betriebsvergleiche blieben in diesem Kontext von geringer Aussagekraft und eigneten sich selten zur Entwicklung neuer Strategien. Mit Allerweltsratschlägen sei dort niemandem gedient.
Dem Apothekerverband in Nordrhein-Westfalen wurde vom „Institut für Handelsforschung“ geraten, die gute Erreichbarkeit der Apotheken und die schnelle Verfügbarkeit der Arzneimittel sicherzustellen. Daneben könnte eine Profilierung der Betriebe vor allem über Beratung und Service erfolgen. Als ob man das nicht bereits geahnt hätte.

Vor dem Hintergrund dieser Beispiele wirft das Konzept von Kai Hudetz, dem Leiter des „Instituts für Handelsforschung“, Fragen auf, die von ihm nicht beantwortet werden. Seine Forderung „Wir müssen ja überlegen, warum ein Kunde so ein Kauf- und Warenhaus aufsuchen und nicht bequem von zu Hause online bestellen sollte“ geht die richtige Richtung. Da sei man sehr schnell bei Dienstleistungen, die online gar nicht erbracht werden könnten – sei es die Reparatur eines Fahrrads oder einer Uhr, der Friseurbesuch oder das Abholen eines Pakets. Letztere erscheinen angesichts der Geschichte der Warenhäuser jedoch als ein logischer Bruch. Vor allem seine Folgerung, das Shoppen müsse zum Erlebnis gemacht werden, kann nicht zufriedenstellen. Man weiß längst, dass das Erlebnisshoppen vorrangig eine Klientel anzieht, deren Kaufkraft beschränkt, deren Verdrängung zahlungskräftiger Konsumenten hingegen sehr stark ist.

Verfolgt man die Entwicklung der Warenhäuser, kommt man um die Feststellung nicht herum, dass der alte Slogan „Kaufhof bietet tausendfach alles unter einem Dach“ die Erwartungshaltung der Leute genau getroffen hat. Im Zuge der Digitalisierung hätte man Instrumente wie den Online-Katalog und das unkomplizierte Anliefern der Ware an die Haustür (E-Mobil, Lastenfahrrad etc.) perfektionieren müssen. Unter Beibehaltung bestens sortierter Warenhäuser in gut erreichbaren Lagen.
Wer einmal am Wochenende die Menschenschlangen vor Postämtern beobachtet, die nicht zugestellte Pakete von Amazon und Zalando abholen oder nicht passende Ware an die Versender zurückschicken, spürt den Frust der Konsumenten. Kluge Kaufleute würden handeln und nicht überlegen, ob sie lieber in die Unterhaltungsbranche wechseln sollten.

Foto:
„Galeria Kaufhof“ an der Frankfurter Hauptwache
© hr