m 1ThielemannChristian Thielemann brachte Bruckners Zweite in Dresden

Kirsten Liese

Dresden (Weltexpresso) -  Wann und wo war sie zuletzt zu hören, die zweite Sinfonie von Anton Bruckner? Es muss lange her sein, mir war es zuvor nicht vergönnt gewesen, sie im Konzert jemals zu erleben, schon gar nicht unter einem so genialen Brucknerdirigenten wie Christian Thielemann.

Wiewohl zwar Daniel Barenboim 2016 in Tokio und erstmals in der Geschichte Japans alle neun Sinfonien des Oberösterreichers zyklisch aufführte und außer ihm Größen wie Herbert von Karajan oder Günther Wand alle Neune für die Platte aufnahmen, stehen sie doch seltsamerweise immer noch im Schatten der unweit häufiger angesetzten Sinfonien drei bis neun.

m Thielemann ZimmermannWarum das so ist, und warum vor allem nicht ein einziger Konzertmitschnitt dieser Werke unter dem einmaligen Brucknerdirigenten Sergiu Celibidache existiert, erscheint ein großes Rätsel. Sollte Celi die beiden c-moll-Sinfonien nicht dirigiert haben? Solche Fragen gehen mir unweigerlich beim jüngsten Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle durch den Kopf, zumal jegliche Erklärungsversuche in Richtung sprödes Frühwerk scheitern. Bruckners Zweite markiert nicht den bescheidenen Anfang eines Komponisten in jungen Jahren, ist bereits in vier Sätzen groß angelegt und offenbart sich als ein reifes Werk voll herrlicher Musik und typischer Wendungen. Immerhin war Bruckner, der als Symphoniker spät Berufene, auch schon 47 Jahre alt, als er mit der Arbeit an dieser Sinfonie begann.

So gesehen mag es auch nicht ungewöhnlich erscheinen, dass Christian Thielemann in seinem über mehrere Jahre in großer Konzentration erarbeiteten Brucknerzyklus mit der Sächsischen Staatskapelle die Zweite als letzte vorgenommen hat. Sämtliche Sinfonien so wahrhaftig durchleben zu können wie Celibidache oder Thielemann braucht fast schon ein halbes Leben.

Jedenfalls ließ sich beim Konzert in der Semperoper eine Musik vernehmen, wie sie die Handschrift des Komponisten nicht typischer offenbaren könnte, durchdrungen von lyrischer Schönheit, abrupten Abbrüchen, kraftvollen Rhythmen und einem Drive, der an das berühmte Scherzo der Neunten erinnert. Kurzum, das war ein Bruckner, wie er leibt und lebt.

Die schönsten Momente bescherte das feierliche Adagio, in denen sich die Musik mehrfach in überirdische Sphären begibt und einzelne Instrumentengruppen ungewöhnlich Spannung aufbauen. Andachtsvoll löst sich da ein strahlendes Hornsolo aus dem Orchestertutti, ungewöhnlich begleitet von höchst reizvollen Pizzicatoklängen der Streicher, die unweigerlich an die Scherzi der Sechsten und Neunten erinnern.

m ThielemannUnd dann wird es plötzlich ganz still, und man hört man nur noch die Kontrabässe mit einem leisen, geheimnisvollen Tremolo, ein Moment wie aus einem Musikdrama Richard Wagners. Der größte magische Moment ist erreicht, wenn nach der folgenden Generalpause ein Zitat aus dem Benedictus der f-moll-Messe in den tiefen Streichern anhebt, die vielleicht schönste Melodie, die Bruckner überhaupt je geschrieben hat. Was für ein magischer Moment! Was für eine geniale Musik!

Aber auch sonst folgt in dieser Sinfonie ein starker motivischer Einfall nach dem nächsten, dem Scherzo und dem Finale geben die Streicher mit markanten forschen Motiven im Unisono Gewicht. Neben den in allen Brucknersinfonien viel beschäftigten Bläsern kommen allerdings auch alle anderen Sektionen bedeutungsvoll zum Einsatz, etwa die Bratschen, die schon im ersten Satz, dem Moderato, mit einer warm-wohligen Melodie hervortreten. Überhaupt wird die Musik bei einigen Übergängen, wenn zum Beispiel nur noch Solo-Violine und Flöte zusammenspielen, sehr kammermusikalisch. An dem präzisen Zusammenspiel der Dresdner Musiker zeigt sich, wie genau hier geprobt wurde, auch wenn genau solche Stellen zu den besonderen Spezialitäten Thielemanns zählen, der sich wie kein Zweiter darauf versteht, Musik zu be- und entschleunigen, sie in bestimmten Momenten gar magisch anzuhalten.

Der Bruckner-Sinfonie voraus ging Mendelssohns Violinkonzert mit Frank Peter Zimmermann. Bei ihm sitzt ebenfalls jeder Lagenwechsel, jeder Saitenübergang, jede Fingerposition, jeder Handgriff schlafwandlerisch sicher. Wie bei Thielemann berührt der Geiger am stärksten im Andante mit ausgeprägter schöner Tongebung und großem Feingespür für die zarte Melancholie. Von großer Intensität sind vor allem seine tieferen Töne, die dank gutem Bogenkontakt auf der Saite nicht Gefahr laufen, vom Orchester zugedeckt zu werden, dagegen tönen die hohen Flageolettöne gelegentlich etwas dünn. Was die Wiedergabe dieses, sich großer Beliebtheit erfreuenden Konzerts von zahlreichen anderen Interpretationen abhob, war aber vor allem das spürbar gemeinsame Musizieren zwischen Solist, Dirigent und Orchester. Stets im engen Blickkontakt schienen Zimmermann und Thielemann wie aufeinander eingeschworen, zudem reagierte der Geiger körpersprachlich sehr sensibel auf die Stellen, an denen er mit anderen Stimmen aus dem Orchester dialogisiert.

Was wünschen wir uns von Christian Thielemann nun als nächstes: Die f-moll-Messe bitte schön, möglichst in St. Florian.

Foto:
Christian Thielemann mit seiner Sächsischen Staatskapelle
© Matthias Creutziger