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Kategorie: Musik
plakate dina1 festtage ansicht rgbImpressionen von den Bregenzer Festtagen

Kirsten Liese

Bregenz (Weltexpresso) - Der große Clownskopf aus der erfolgreichen  Rigoletto-Produktion vom vergangenen Jahr hat derzeit die Augen fest geschlossen. Ende Mai entschloss sich Festspielintendantin Elisabeth Sobotka schweren Herzens zu einer Absage der 74. Bregenzer Festspiele, weil angesichts der Corona-Auflagen das Spiel auf dem See- und damit das Herzstück des Festivals- keinen Sinn ergeben würde. Auf den Tribünen, die 7500 Zuschauern Platz bieten, hätten nur 1000 Platz nehmen dürfen.  Ein schwerer Schlag ausgerechnet für diese stark nachgefragte Produktion, die nun auf 2021 verschoben ist.

Aber nachdem nach und nach andere Festivals bekannt gaben, an den Start zu gehen, entschied sich Bregenz kurzfristig doch noch, etwas Kleineres zu machen und rief einmalig Bregenzer Festtage ins Leben, die immerhin 3422 Besucher anlockten.

Die Uraufführung der Oper  Impresario Dotcom   von Lubica Čekovská  im Festspielhaus stand im Zentrum des einwöchigen Programms. Es ist inspiriert von Carlo Goldonis Komödie  „Der Impresario von Smyrna“ und leistet, so wie es sich spielerisch, kreativ und fantasiereich mit der Situation von arbeitslosen Sängerinnen und Sängern beschäftigt, einen Beitrag zu Corona.

In ihrem Ringen um eine Anstellung an einem Opernhaus müssen  Tamino (Simeon Esper), Violetta (Adriana Kučerova), Carmen (Terezia Kružliaková), Orfeo (Hagen Matzeit) und Olympia (Eva Boderová) Unzumutbares leisten, verlangt doch der Impresario (Zeynep Buyraç), dass sie unter Wasser singen müssen. Anfangs sträuben sich einige unter ihnen noch dagegen, aber in der Not unterwerfen sie sich beim Vorsingen doch den zerstörerischen Anforderungen. Regisseurin Elisabeth Stöppler hat das Stück minimalistisch eindrucksvoll umgesetzt, mit unheimlichen Videoprojektionen von Menschen, die im Aquarium ihre Münder bewegen und sich Corona-konform auf Abstand halten.

Die Musik wirkte in ihrem experimentellen Charakter streckenweise zwar ein bisschen beliebig und monoton, aber dann und wann lässt sie aufhorchen, wenn die Komponistin Zitate  aus Opern von Mozart, Gluck, Offenbach, Bizet und Verdi einbringt und einfallsreich verfremdet. Gesungen und musiziert wurde unter der Leitung von Christopher Ward am Pult der Vorarlberger Symphonieorchesters aufs Trefflichste.

Sehr kreativ reagierte auch ein Konzert unter dem Titel „Vocal Distancing“ mit dem Ensemble „The Present“ und dem Gitarristen und Lautenisten Lee Santana auf die Corona-Abstandsregeln. Das Ensemble stellte sich für Gesänge aus dem 15. und 16. Jahrhundert von Orlando di Lasso, Luca Marenzio, Claudio Monteverdi und Orlando Gibbons und zeitgenössischen Werken von Luciano Berio, Sidney Corbett, Cathy Berberian und Catherine Lamb unterschiedlich auf: mal frontal zum Publikum nebeneinander, mal vis-a-vis im Rücken des Publikums, mal als Quintett, mal in kleineren Besetzungen und auch ganz solistisch.

Herrliche und profunde Stimmen waren da zu vernehmen. Für die Sopranistin Hanna Herfurtner, die kurzfristig ihre Reise absagen musste, sprang Johanna Zimmer ein, die sich stupend mit einem vergleichbar schönen, luziden  Sopran ins Ensemble einfügte und das schwierige Solo  Gebet   von Sidney Corbett, das die Stimme in extremen Registern stark strapaziert, souverän meisterte.

Den absoluten Höhepunkt markierte aus meiner Sicht aber ein Liederabend mit den noch weniger bekannten Nachwuchssängern Anna El-Kashem (Sopran) und Johannes Kammler (Bariton), die Lieder von Hugo Wolf und Richard Strauss so nuanciert, ausdrucksreich und textverständlich darboten, obendrein denkbar schön in der Tongebung, dass man hätte meinen können, sie hätten bei Dietrich Fischer-Dieskau und Elisabeth Schwarzkopf studiert. Der großartige Johannes Kammler, der vom Timbre her auch ein wenig an Dieskau erinnert, stellt für mich sogar mit seinem farbenreichen Ausdrucksspektrum und seiner stimmlichen Präsenz einen so namhaften Liedsänger wie Christian Gerhaher in den Schatten.

Für einen grandiosen Abschluss sorgten schließlich die Wiener Symphoniker mit einem Programm von Richard Strauss unter Philippe Jordan, der sich als Chefdirigent von diesem Orchester vor seinem Wechsel an die Wiener Staatsoper verabschiedet.

Der Abend offenbarte vielfach geprobte klangliche Finessen und eine sorgsam gepflegte Wiener Klangkultur. Dazu waren die Symphonischen Dichtungen  Don Juan  und  Till Eulenspiegels lustige Streiche  angesichts rasanter Stimmungswechsel, einer gewissen Rauschhaftigkeit, durchsetzt zudem mit anspruchsvollen Bläsersoli, die alle Solisten makellos darbrachten, ideal gewählt. Wer Philippe Jordan längere Zeit nicht mehr gehört hat, konnte sich  davon überzeugen, dass wir es hier mit einer der interessantesten Dirigierpersönlichkeiten unserer Zeit unter 60 Jahren zu tun hatten. Sein Nachfolger bei den Wiener Symphonikern als neuer Chefdirigent wird ab September übrigens Andres Orozco-Estrada.

Foto:
© Bregenzer Festspiele