Drucken
Kategorie: Musik
thielemann staatskapelledresdenChristian Thielemann setzte seinen Beethovenzyklus in Dresden fort

Kirsten Liese

Dresden (Weltexpresso) - Es fügt sich gut, dass die Fortsetzung des Dresdner Beethoven-Zyklus‘ mit der „Pastorale“ beginnt. Die Natur, von der sich Beethoven zu seiner Sechsten inspirieren ließ, überwältigt vor allem von den Bäumen, durch die er sich mit seinem Schöpfer verbunden fühlte, kann auch in der aktuell schwierigen Zeit als ein unbelasteter Ort fern von Angst, Panik und Kontrolle erlebt werden,  an dem man zur Ruhe kommen und sich erden kann.

Und so wirkt auch die musikalische Reise, auf die Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle Dresden uns auf ihrem jüngsten Konzert mitnehmen, wie Seelenbalsam. Die programmatische Musik als solche ist schon durchdrungen von berührend schönen  Melodien. Wenn sie dann noch derart lieblich musiziert wird wie an diesem Vormittag, ist das Glück perfekt.

An dem klanglichen Liebreiz filigraner Motive und ihrer figürlichen Ausziselierung zeigt sich die besondere Sensitivität der Musikerinnen und Musiker dieses Orchesters, die sie in den knapp zehn Jahren unter ihrem Chefdirigenten Christian Thielemann zunehmend ausgeprägt haben.  Ungemein leichtfüßig kommen gleich die ersten vier Takte der Violinen beim „Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“ daher, ein kammermusikalischer Feinsinn durchdringt insbesondere die „Szene am Bach“ und den finalen „Hirtengesang“, wobei jede einzelne noch so kurze Note Bedeutsamkeit erfährt.

Spürbar verzehrt sich der sichtlich gut aufgelegte Christian Thielemann für die subtilsten Nuancen, wenn er für Pianoschattierungen tief in die Knie begibt, die lyrischen Melodien in der denkbar größten Zärtlichkeit erblühen lässt, mit  ruhevollen Tempi eine friedvolle Atmosphäre aufbaut und bisweilen mit minimalistischen Fingerzeigen lautmalerische Elemente wie das Vogelzwitschern am Ende der „Szene am Bach“ plastisch in Zeichen übersetzt. Einzig das „Gewitter“ setzt sich mit seinen rumorenden Tremoli in den tiefen Streichern und dramatischen Zuspitzungen von all den idyllischen, herzerwärmenden Impressionen ab.

Mit der siebten Sinfonie von Beethoven stand anschließend noch ein Werk auf dem Programm, das mit seiner unbändigen Energie in Form von aufwärtsstrebenden crescendierenden Tonketten, strahlenden Orchestertutti und rhythmischem Furor stark bewegt.  Und so emotional die Sachsen unter Christian Thielemann diese „Apotheose des Tanzes“, wie Richard Wagner die Sinfonie treffend nannte, durchlebten, mögen sich bei manch einem Assoziationen an eine Kampfansage oder gar schon einen gloriosen Sieg eingestellt haben über alle Widrigkeiten, die den Konzertbetrieb aktuell existenziell bedrohen und belasten.

Jedenfalls schon irre, wie sich dieser weit gestreckte Dresdner-Beethoven- Zyklus, der im Dezember vergangenen Jahres  seinen Anfang nahm, mit unserem Leben korrespondiert: Als die ersten beiden Sinfonien in ihrer Harmonie und Einfachheit zu Ehren kamen, war die Welt noch in Ordnung. Sogar die Fünfte kam noch vor dem Lockdown im Januar zur Aufführung und wirkte vielleicht in ihrer Schicksalhaftigkeit schon wie eine Prophezeiung  auf alles Kommende. Und nun befinden wir uns in der Siebten mitten im Sturm widerstreitender Gefühle, Verunsicherungen, Angst und Rebellion.

Bei aller Aufgewühltheit und weiten Strecken in Forte- und Fortissmi-Regionen, insbesondere im feurigen Finalsatz der Siebten, waltet aber auch in dieser Interpretation Transparenz im Stimmengeflecht dank eines durchweg schlanken, elastischen Klangs. –Selbst dann, wenn sich – wie in dem berühmten langsamen Satz, dem Allegretto, mit dem markanten schlichten Rhythmus –  die einzelnen Stimmen zunehmend imitatorisch verweben und überlagern.

Die exquisiten Bläsersolisten, die allesamt den Hygieneauflagen Rechnung tragen, indem sie sich hinter durchsichtigen Plexiglasscheiben positionieren, stehen den feinnervig musizierenden Streichern in nichts nach: die Holzbläser stellen ihre Klasse mit lyrischer Wärme unter Beweis, das Blech tut es mit majestätischer Brillanz. Und die kurzen Akkorde und Sforzati im Forte und Fortissimo im Tutti gelingen von einer herrlichen klanglichen Kompaktheit.

Das Publikum schien all diese Feinheiten zu ermessen. Es blieben wegen „Hygieneauflagen“ zwar wie derzeit überall zahlreiche Sitzplätze und Reihen leer, aber die Anwesenden gaben ihrer Emphase umso hörbarer Ausdruck.

Wann wohl Christian Thielemann den Beethoven-Zyklus wird vollenden können? In der laufenden Saison sind die Achte und die Neunte noch nicht geplant, höre ich auf Nachfrage von der Pressestelle, vermutlich auch wegen der großen Besetzung der Neunten mit Chor und Solisten, in Corona-Times schwer umzusetzen. Umso begeisterter werden wir vermutlich zu gegebener Zeit die  „Oder an die Freude“ in der Neunten erleben und feiern – als einen veritablen Befreiungsschlag. Die Auflagen zum Infektionsschutz  gehören dann hoffentlich schon der Vergangenheit an.

Foto:
©