oper 6Irmgard Keuns NACH MITTERNACHT, Frankfurt liest ein Buch 2. – 15. Mai 2022, Teil 5

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Sie gehört für mich immer zu den schönsten Veranstaltungen, die musikalisch-literarische Soiree, die die Oper Frankfurt von Anfang an als Beitrag zum Literaturfest beitrug und auf der man sich immer schon vorher auf die jungen Stimmen aus dem Opernstudio freute, die hier im kleineren Rahmen des Holzfoyers groß herauskommen.

oper 2oper 4Und dann die Zäsur. 2019 setzte die Oper erstmals aus. Danach herrschte Corona. Zsolt Horpácsy (im Foto rechts) war auch diesmal verantwortlich für das Programm und hatte wichtige und witzige Texte des Romans ausgewählt, die Peter Schröder las, schon lange Ensemblemitglied am Schauspiel Frankfurt, mit Sprechrollen auch an der Oper.

oper1Das Entscheidende aber war die ausgewählte Musik, der ausgewählte Komponist Erich Zeisl, der mit Irmgard Keun zwei Lebensmomente teilt: das Geburtsjahr 1905 und die Emigration. Allerdings hieß das für den Wiener Komponisten ein lebenslanges Exil in den USA bis zum frühenTod 1959 mit 54 Jahren, während die waagemutige - oder sollte man leichtsinnige sagen - Irmgard Keun doch tatsächlich mit dem Namen ihres inzwischen Ex-Mannes 1940 nach Köln zurückkehrte und in der Wohnung ihrer Eltern fünf Jahre überwinterte. Ihre Motive waren verständlich, sie brauchte die deutsche Sprache als Schreibmovens. Das hatte sie immer betont und sofort möchte man auf ihre Liaison mit Joseph Roth zu sprechen kommen, dem sie sozusagen mit ihrer Flucht nach Ostende in die Arme lief. Auch Sanna ergreift in NACH MITTERNACHT die Flucht dorthin.
oper3Diesmal in der musikalisch- literarischen Soiree also keine Sänger, sondern das Klaviertrio-Suite h-Moll op. 8 von 1924 des damals 19jährigenn Erich Zeisl, eine Zeit, in der die Keun in Köln Stenotypíe erlernte. Zeisl war ein Junggenie und der Melodie verpflichtet, wie man gleich hören konnte. Wohl deshalb wird er als Vertreter der moderaten Wiener Moderne bezeichnet, der als Dreißigjähriger schon über ein umfangreiches Werk (Kunstlieder, Kammermusik, Chor- und Orchesterwerke, eine frühe Oper und ein Ballett) verfügte. Das brach 1938 ab, wo Zeisl erst nach Baden bei Wien auswich, aber nach der Reichspogromnacht nach Paris fliehen konnte, wo er bis September 1939 blieb und dort im Emigrantenkreis um Franz Werfel sich mit seinen jüdischen Wurzeln beschäftigte. Auch so typisch und konterkarierend, daß der Nazi-Rassenwahn erst in längst assimilierten Bürgern ihre jüdischen Wurzeln lebendig machten.

oper 51939 ging Zeisl direkt nach New York. „Er komponierte Klavier- und Cello-Konzerte und schuf Musik für Hollywood-Filme. In seinem Exil stand Zeisl in engem Kontakt mit Erich Wolfgang Korngold, Igor Strawinsky und Arnold Schönberg“, sagt das Programmblatt, für dessen ausführliche Informationen über den Komponisten man aufrichtig dankbar ist, denn sofort stellt sich Scham ein, daß man nicht mehr über ihn weiß, weil die Nachkriegsjahre noch keine Aufarbeitung der durch Nazi-Deutschland stattgefundenen Vertreibungen und Ermordungen zum Impetus machten, sondern erst sehr viel später – und wir sind immer noch mittendrinnen – das Ausmaß des Schreckens immer deutlicher wird und zumindest über Namensnennungen und Aufführungen von Werken wie heute, derer gedacht wird, die Opfer der nationalsozialistischen Exzesse wurden. Auch wenn sie überlebten, waren sie gezeichnet. Nur den wenigsten gelang es, in Übersee an ihre hiesigen Erfolge und Existenzen anzuknüpfen.

Über sein dargebrachtes Klaviertrio-Suite h-Moll op.8 von 1924 läßt sich sagen, daß es beim Hören - Takeshi Moriuchi am Klavier, Katharina Schmitzer spielte die Geige und Johannes Oesterlee das Cello -sehr viel stärker an die romantische Tradition erinnerte, bei einem Brahms, Mahler, auch Dvorak einfällt, weil der Wiener Ton auch die slawischen Einflüsse einschloß.

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