Mirjam Wenzel beitragsbild antrittsvorlesung Foto Dettmar1Die Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, Mirjam Wenzel: auf Antrag des Instituts für Judaistik an der Universität Frankfurt am Main vom Senat der Universität zur Honorarprofessorin ernannt

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Sie wirkte bereits mit im Rat für Third Mission der Goethe Universität und ist auch als Lehrbeauftragte am Institut für Judaistik eine bekannte Persönlichkeit. Sowohl der Fachbereich 09 für Sprache und Kulturwissenschaften als auch sie selbst unterstreichen ihre Verbindung mit dem Jüdischen Museum Frankfurt, dessen Direktorin sie seit 2016 ist.


Der lange Weg zu den Zielen


Universitätspräsidentin Prof. Dr. Birgitta Wolff sagte am Tag der Einführung voraus, dass mit dem Wirken von Mirjam Wenzel die judaistische Forschung einen weiteren wissenschaftlichen Dreh erhalte, von dem die Studierenden sehr profitieren werden. Immer wieder muss auf die glänzende Vorgeschichte der Frankfurter Universität abgestellt werden, da diese 1914 „maßgeblich von jüdischen Bürgerinnen und Bürgern und jüdischen Stiftungen gegründet und finanziell ermöglicht wurde“. Mirjam Wenzels Lehre werde die Studierenden in die Forschungstätigkeit des Museums heranführen, im Gegenzug werde die Arbeit in Forschung und bei vermittelnder Tätigkeit bereichert.

Die wissenschaftliche und berufspraktische Vorgeschichte der neuen Honorarprofessorin zeigt sich als außerordentlich reichhaltig und vielgestaltig. Die unermüdliche Tätigkeit, ja der Eifer für die Sachthemen und die Techniken der Vermittlung von jüdischer Geschichte und Kultur ist ihr gleichsam eingeprägt. Studiert hat sie in Berlin und Tel Aviv (Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft sowie Politikwissenschaft). Aufgrund ihrer Medientätigkeit, gedruckt oder digital, in leitender Stellung, wurde sie Expertin für Fragen des digitalen Wandels in Museen.

Philologisch arbeitete sie am Institut für Deutsche Philologie der Universität München. Hier erreichte sie der Ruf zur Edition der Werke Siegfried Kracauers. Im weiteren Werdegang verfasste sie ihre Dissertationsschrift über den Holocaust-Diskurs der 1960er Jahre. Hervorgetreten ist sie auch mit einer Vielzahl an wissenschaftlichen Texten, Essays und Blogbeiträgen zur Kritischen Theorie, so auch zu Theodor W. Adorno und zur unabhängigen Hannah Arendt. Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit übernahm sie Aufträge als freiberufliche Ausstellungskuratorin. Bevor sie 2016 die Leitung des ältesten jüdischen Museums der Bundesrepublik übernahm, war sie Leiterin der Medienabteilung am Jüdischen Museum Berlin zur Vermittlung jüdischer Geschichte und Kultur.

Der Erinnerung verpflichtet

Zwischen dem Jüdischen Museum und dem Fachbereich 09 der Universität gab schon eine lange Beziehung. Denn das Seminar für Judaistik beschränkt sich nicht auf Geisteswissenschaft, sondern denkt und handelt auch für Aufgaben, die sich im Museum am jeweiligen Ort stellen, vor allem schließt es immer die wesentliche Bedeutung des Gedenkens, der Erinnerung und Sicherung mit ein. Auch die Elisabeth-Holländer-Stolpersteine-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf ist ein solcher Baustein der Erinnerung. Die Kleinen Fächer eines großen Fachs beschäftigen sich oftmals mit mehreren Sprachen und Kulturen oder ganzen Weltregionen. Das gilt auch für Frankfurt. Das Interesse richtet sich besonders auf lokale Bezüge wie etwa die Alte Judengasse und begibt sich auch auf die archäologische Ebene, wie im Kontext des Streits um überbaute Funde im Untergrund des Frankfurter Börne-Platzes, die schließlich in eine Dependance des Jüdischen Museums Frankfurt eingingen.

Der Fachbereich verfügt über ein Bildungsprogramm, dem Frau Wenzel seit 2016 vorsteht. Es ging auch einmal darum, dass die Judaistik nicht in der Orientalistik aufgeht, sondern selbständig bleibt. Gleichzeitig werden fachübergreifende Forschungen geplant, die unter anderem die Extremismus-Forschung voranbringen. Das Museum bewahrt nicht nur, sondern will fast mehr noch ein sozialer Ort sein und arbeitet insofern als Bildungseinrichtung für das Gedächtnis der Menschheit. Das Selbstverständnis der Museen muss immer wieder neu gedacht und erweitert werden. Sie müssen zukunftsfähig bleiben. Eine gesellschaftliche Perspektive muss es auch haben.

Synagogen-Fundamente freilegen - wie künftig auch am Hochbunker Friedberger Anlage

75 Jahre nach dem Holocaust ist die Aufgabe umso dringlicher, die Reste der europäischen jüdischen Kultur mehr noch zu erkennen und sie dabei neu zu gewinnen. Die neue Professorin sieht die Universität als einen polyphonen Raum, der die Herstellung einer demokratischen Kultur befördern möge. Das strahlt dann auch auf das Museum aus. Sie benennt noch einmal die kritischen Topoi in Frankfurt, die Streit aufkommen ließen, zum Teil auch innerhalb der jüdischen Gemeinde. Der Historikerstreit, der Börneplatz-Konflikt, wie oben angedeutet, aber auch die frühere Synagoge am selben Platz, die zurück in Erinnerung gerufen wurde, 19 Häuser und eine Synagoge ergeben ein Ganzes, Zeugnisse der Vergangenheit, die nicht vergangen ist, weil sie unweigerlich an die Shoah gemahnt. „Wo die toten Menschen schweigen, da sprechen Steine“. Darf hierauf ein Verwaltungsbau der Gaswerke gebaut werden?

Gegen den Willen des Gemeinderats, der selbst am Vergangenen nicht offen rühren wollte, kam es zum Kompromiss: eine Dependance des Jüdischen Museums im Untergeschoß, wo Wege zwischen der eröffneten Geschichte angelegt wurden, die das Gedenken und die Erinnerung möglich machen. Auch das untermauere den Willen, einer Stadt, dem europäischen Raum verpflichtet zu sein. Geplant ist ein Symposion Börne-Platz, eines zum Konflikt um die Aufführung des umstrittenen Fassbinderstücks und ein Workshop zum Antisemitismus. Auch ist - ganz in der Tradition Frankfurts, der Stadt der Soziologie - vorgesehen, ein Curriculum zur Förderung des sozialpsychologischen Verständnisses unter Schüler*innen zu erarbeiten.

Die Gründung der Stiftungsuniversität – war ein Versprechen auf die Zukunft

Vor 1933 lag der Anteil der Gesellschaft mit jüdischem Familienhintergrund bei fünf Prozent. Die jüdische Gemeinde Frankfurts und ihre Mitglieder wurden erst 1864 gleichberechtigt. Doch davor schon waren kulturelle und soziale Einrichtungen in der Gemeinde und im Stadtleben verankert, hiermit wurde einem der ältesten Güter menschlicher Existenz gedient. Die jüdische Gemeinde steht für 30 Stiftungen, die die Stadt fundamental bereichert haben. Dazu gehört auch der Beitrag zum öffentlichen Bibliothekswesen, ein Vorläufer des Jüdischen Museums und eine wohlorganisierte Wohlfahrt sowie der beständige Weiterbau an Bildung.

Die Gründung der Universität Frankfurt wurde aus Stiftungsmitteln finanziert, vom Eifer für wissenschaftliche Erkenntnis vorangetrieben. Die Frankfurter Universität war die bestfinanzierte. Das 19. Jahrhundert war mehr als das gegenwärtige und vorangegangene ein Jahrhundert des zur höchsten Reife gelangten wissenschaftlichen Geistes. Die Universität wurde 1914 gegründet. Frankfurt wurde zur Stadt einer neu gedachten Soziologie und hochstehenden Medizin und Physik. Aber die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften steht auch für den Fortschritt in Wirtschaft, Handel und Rechnungswesen. Frankfurt ist die Stadt der Stifter und ‚Gönner‘, das kein Fach oder Gebiet der Geistespraxis auslässt. Und Frankfurt steht für Nobelpreisträger: den theoretischen Physiker Robert Oppenheimer, den Molekular-Physiker Otto Stern, den weitverzweigten Philosophen und Soziologen Karl Mannheim und einen tief in den Geisteswissenschaften verankerten Martin Buber. Von der Kritische Theorie geht noch immer ein unwiderstehlicher Charme aus.

Aus dem Kreis der Universität entstanden eine Vielzahl an Publikationen, die lange Regale füllen (die noch immer vervollständigt werden müssen). Die Nazis bereiteten dem hohen wissenschaftlichen Geist ein Ende und gründeten unter vielen anderen Scheußlichkeiten ein Institut für Erbbiologie und Rassehygiene.

Noch ein Schwerpunktmäßiges

Die neue Honorarprofessorin kündigte noch folgende Vorhaben an:

- Wissenstransfer über die Religionsgrenzen und andere Limitierungen hinweg
- Behandlung der Frage: Was kann jüdische Renaissance sein?
- Synagogen in Hessen
- Biblische Archäologie bei interdisziplinären Perspektiven
- Interkulturelle Erzählungen
- Über die Funktionszusammenhänge hinausweisende
  Arbeit am Depot Deutsch-Jüdischer Geschichte
- Dauerausstellungen

Foto © (Dettmar) v.l.n.r.: Prof. Dr. Thomas Betzwieser, Dr. Mirjam Wenzel und Prof. Dr. Birgitta Wolff 

Info:
Die Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, Dr. Mirjam Wenzel, hielt am 23.01.2020 bei einer Festveranstaltung auf dem Campus Westend der Johann Wolfgang Goethe-Universität ihre Antrittsvorlesung als Honorarprofessorin des Fachbereichs 09