unierfurt.demullerAm 11. Mai 1952  schossen Polizisten der Bundesrepublik erstmals mit scharfer Munition auf Demonstranten, Teil 3/11

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Die Verteidiger hielten das Verbot für einen »willkürlichen Verwaltungsakt «, der wegen Verstoßes gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit unzulässig und daher nichtig gewesen sei. Der Bundesgerichtshof entschied abschließend, dass das Verbot rechtens gewesen sei, da die Demonstration »friedensfeindlichen Zwecken« gedient habe. Das Geschehen nahm seinen Lauf.

Noch ehe ein Teilnehmer der Jugendkarawane seinen Fuß auf Essener Boden gesetzt hatte, machten sich Polizeihundertschaften aus Köln, Düsseldorf und Wuppertal auf den Weg, Anreisende abzufangen und die Stadt zu besetzen. Spitzel hatten die Polizei davon unterrichtet, dass die FDJ trotz des Verbots um 13.30 Uhr vor dem Ausstellungsgelände der Gruga demonstrieren wolle. Wie die Dortmunder Staatsanwaltschaft später bekannt gab, waren etwa 30.000 Personen nach Essen gekommen, von denen sich etwa 2.000 vor dem Haupteingang der Gartenbauausstellung versammelt hätten. Die Polizei hatte rund 2.000 Beamte im Einsatz. Was sich am 11. Mai 1952 abspielte, beschrieb tags darauf die Essener »Neue Ruhr-Zeitung« mit folgenden Worten: »Zu schweren Zusammenstößen zwischen Hunderten von demonstrierenden Angehörigen der verbotenen FDJ und der Polizei kam es gestern Nachmittag in Essen vor den Toren der Gartenbauausstellung ›Gruga‹. Der 21jährige Demonstrant Philipp Müller aus München-Neuaubing wurde durch einen Brustschuss getötet, während drei weitere Jugendliche aus Kassel, Münster und Pinneberg zum Teil schwere Schussverletzungen erhielten. Acht Polizeibeamte wurden mehr oder minder schwer verletzt. Wie die Polizei erklärte, wurde die Aufforderung an die Ordnungsstörer, auseinander zu gehen, mit Pfeifen, Johlen, Steinwürfen und Schüssen beantwortet. Die Polizei habe diese Angriffe daraufhin abgewehrt. Der Besucherstrom zur ›Gruga‹ wurde durch die Unruhen in keiner Weise beeinträchtigt. Insgesamt wurden über 100.000 Besucher gezählt.«

Unter der Überschrift »Getarnte FDJ schießt auf Polizei in Essen« war am 12. Mai in der Tageszeitung »Die Welt« zu lesen: »Zum ersten Male seit Kriegsende 
wurde am Sonntag bei einer Demonstration von Kommunisten auf die Polizei scharf geschossen. Angehörige der Tarnorganisation ›Junge Generation‹, die gegen den Generalvertrag protestieren wollten, eröffneten vor den Toren der Essener Gartenbauausstellung aus Pistolen des Musters ›08‹ das Feuer, das von der Polizei erwidert wurde. Bei diesem Schusswechsel wurde der 21-jährige Philipp Müller aus München getötet. Drei weitere Demonstranten aus Münster, 
Pinneberg und Kassel liegen mit Lendensteck- und Knieschüssen im Krankenhaus. Ein Polizeibeamter wurde schwer, acht wurden leicht verletzt. 248 Personen sind vorübergehend festgenommen worden, 20 andere, als Rädelsführer erkannt, bleiben in Haft.«

In einem Kommentar des Blattes hieß es: »Die neue Phase der kommunistischen Deutschland-Politik – der ›Kampf gegen den Generalvertrag unter Einsatz aller Kampfmittel‹ erlebte am Sonntag in Essen einen blutigen Auftakt ... Die Tatsache, dass die Kommunisten dazu übergehen, Jugendliche mit Schusswaffen auszurüsten, ohne Rücksicht auf Menschenleben, beweist erneut die Skrupellosigkeit eines Systems, das zur gleichen Zeit wagt, von Frieden und Einheit zu sprechen. Was die Polizei betrifft, so scheinen die Ereignisse in Essen bestätigt zu haben, dass eine gründlichere Vorbereitung auf derartige Demonstrationen notwendig ist. Nervosität, die dazu führt, dass auch Unbeteiligte mit dem Gummiknüppel Bekanntschaft machen, dient nur den Absichten der Demonstranten. Die Bürgerkriegstaktik der Kommunisten zwingt zu Gegenmaßnahmen. Umso mehr müssen die Hüter der öffentlichen Ordnung einen kühlen Kopf behalten.“ 

(Fortsetzung folgt).

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Info:
Auszug aus „Gegen den Wind“, vom selben Verfasser. PapyRossa Verlag, 2017