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Kategorie: Wissen & Bildung
GKV-spitzenverband

Gastroenterologen warnen vor Versorgungslücken und sehen Patientensicherheit gefährdet

Hubertus von Bramnitz 

Berlin (Weltexpresso) – Gemäß dem zum 1. Januar 2023 in Kraft getretenen neuen Vertrag für ambulantes Operieren (AOP) soll künftig auch der überwiegende Anteil aller endoskopischer Leistungen in der Gastroenterologie primär ambulant erfolgen ohne regelhafte stationäre Nachbeobachtung. Dies schaffe neue Versorgungslücken und gefährde die Patientensicherheit, kritisieren die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrank-heiten e.V. (DGVS), die Arbeitsgemeinschaft Leitender Gastroenterologischer Krankenhausärzte e.V. (ALGK) und der Berufsverband der Niedergelassenen Gastroenterologen e.V. (bng).


Die Fachverbände bemängeln zudem, dass viele endoskopische Leistungen derzeit im ambulanten Umfeld nicht kostendeckend vergütet seien und dadurch das Angebot in Frage gestellt wird. Sie fordern die Verantwortlichen schnellstmöglich zu Nachbesserungen auf.

Am 22. Dezember 2022 haben der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Kassenärztliche Bundesvereinigung den neuen AOP-Katalog vorgestellt, der zu Beginn des Jahres 2023 in Kraft getreten ist. Für die Gastroenterologie von besonderer Bedeutung: Der neue Vertrag beinhaltet nun auch zahlreiche komplexe endoskopische Leistungen, die bislang stationär erbracht wurden, wie etwa Ableitungen aus dem Gallen- und Bauchspeicheldrüsengang, sogenannte ERCP, oder die endoskopische Entfernung breitflächiger Adenome im Magen-Darm-Trakt. „Diese endoskopischen Eingriffe sind mit einem relevanten Risiko für Komplikationen verbunden, die möglichst früh erkannt und behandelt werden müssen“, erklärt Professor Dr. med. Jörg Albert, Vorsitzender der DGVS Kommission für Medizinische Klassifikation und Gesundheitsökonomie. „Eine angemessene Nachbeobachtung ist daher unverzichtbar, derzeit im ambulanten Setting aber nicht abgebildet“, kritisiert der Gastroenterologe.

Gleichzeitig tragen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte unverändert die Verantwortung für die komplette Versorgung der Patientinnen und Patienten nach der Entlassung ins häusliche Umfeld und seien für Komplikationen auch juristisch haftbar. „Dieses ungelöste ärztliche Haftungsproblem begünstigt die Entstehung einer Versorgungslücke“, so Albert. „Im schlimmsten Fall unterbleibt eine notwendige medizinische Behandlung, wenn die Nachsorge nach dem ambulanten Eingriff nicht gesichert ist“, so der Experte.

Wann ambulante Leistungen nach dem AOP-Katalog doch stationär durchgeführt werden dürfen, richtet sich nunmehr nach sogenannten Kontextfaktoren wie beispielsweise dem Pflegegrad oder den motorischen bzw. kognitiven Funktionseinschränkungen eines Patienten. Die aktuellen Regelungen sehen vor, dass erst ab Pflegegrad 4 oder schwersten motorischen bzw. kognitiven Funktionseinschränkungen AOP-Leistungen auch stationär erbracht werden dürfen. „Diese Einteilung ist allerdings nicht ausreichend und trifft für viele nicht zu“, kritisiert Dr. med. Ulrich Tappe, 1. Vorsitzender des Berufsverbandes Niedergelassener Gastroenterologen Deutschlands e.V. (bng). „Gerade hochbetagte Patientinnen und Patienten, Demenzerkranke oder Menschen mit weiteren körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen rein ambulant zu operieren, ist in vielen Fällen medizinisch nicht vertretbar und bedroht die Patientensicherheit. Hier bedarf es dringend einer Nachbesserung“ stellt Tappe fest.

Dies gilt auch für die Vergütung der nun ambulant zu erbringenden Leistungen, die im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) festgelegt sind. Verschiedene Wirtschaftlichkeitsanalysen und Gutachten haben gezeigt, dass mehrere endoskopische Leistungen unter den aktuellen Regelungen nur defizitär erbracht werden können (1, 2, 3, 4). „Wenn Krankenhäuser aus der Erbringung ambulanter Leistungen ein finanzieller Nachteil entsteht, werden sie diese nicht auf Dauer anbieten können“, prognostiziert Professor Dr. med. Thomas Frieling, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Leitender Gastroenterologischer Krankenhausärzte e.V. (ALGK). „Wir fordern daher eine sachgerechte Vergütung der Leistungen des AOP-Kataloges“, so der Gastroenterologe. Der aktuelle AOP-Vertrag sei unter hohem zeitlichem Druck finalisiert worden, so der ALGK Vorsitzende. Die anberaumte Übergangsfrist bis 31.03.2023 sollte daher gemeinsam genutzt werden, denn die Vertragsgestalter seien bereits im Vorfeld von DGVS, ALGK und bng mehrfach durch persönliche Gespräche, offizielle Stellungnahmen und ein Gutachten (1) auf die problematische Vergütungssituation hingewiesen worden, ohne dass dies bei der bisherigen Vertragsgestaltung berücksichtigt wurde.

Die gastroenterologischen Experten sind sich einig: „Wir begrüßen und unterstützen die Bemühungen um die Ambulantisierung. Bei allen Initiativen muss jedoch das Wohl der Patienten und die Sicherheit deren Versorgung an oberster Stelle stehen.“ Damit die Patientinnen und Patienten von einer Stärkung ambulanter Versorgungsstrukturen profitierten, sei es zwingend, die in wissenschaftlichen Leitlinien definierten Qualitätsanforderungen zu etablieren und zu berücksichtigen, so die Vertreter der gastroenterologischen Fachverbände.

Foto:
©GKV Spitzenberband


Info:
Quellen:

  1. Gutachten „Vergütungssystematik ambulant zu erbringender stationärer gastroenterologischer Krankenhausleistungen“. Boris Augurzky, Annika Emde, Sabine Finke, Claudia Rösen. Hcb Dez. 2021; AOP-Gutachten-Verguetungssystematik_final_14.01.22.pdf (dgvs.de); Access 29.12.2022
  2. Rathmayer M, Heinlein W, Reiß C, Albert JG, Akoglu B, Braun M, Brechmann T, Gölder SK, Lankisch T, Messmann H, Schneider A, Wagner M, Dollhopf M, Gundling F, Röhling M, Haag C, Dohle I, Werner S, Lammert F, Fleßa S, Wilke MH, Schepp W, Lerch MM; für die DRG-Projektgruppe der DGVS. Kosten endoskopischer Leistungen der Gastroenterologie im deutschen DRG-System – 5-Jahres-Kostendatenanalyse des DGVS-Projekts [Cost assessment for endoscopic procedures in the German diagnosis-related-group (DRG) system - 5 year cost data analysis of the German Society of Gastroenterology project]. Z Gastroenterol. 2017 Oct;55(10):1038-1051. German. doi: 10.1055/s-0043-118350. Epub 2017 Sep 8. PMID: 28902372.
  3. Rathmayer M, Heinlein W, Wagner T, Lerch MM, Lammert F, Dollhopf M , Haag C, Gölder , Kandulski A, Schad M, Schmidt A, Gundling F, Wilke M, Albert J: “Kosten potenziell ambulant erbringbarer endoskopischer Leistungen in Fällen mit 1-Tages-Verweildauer gegenüber einer längeren Verweildauer”. KA542, Z Gastroenterol 2022; 60(08): e644-e645; DOI: 10.1055/s-0042-1755103.
  4. Mitteilungen der DGVS zum neuen Gutachten „Vergütungssystematik von ambulant zu erbringenden stationären gastroenterologischen Krankenhausleistungen“ Z Gastroenterol 2022; 60(03): 527-528 DOI: 10.1055/a-1772-3923
Quelle:
Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)