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Kategorie: Wissen & Bildung

Sprache und Herrschaft, Teil 1/3

 

Klaus Philipp Mertens

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ein besonderes Merkmal undemokratischer Sprache ist ihr permanenter Versuch, Begriffe ganz bewusst nicht mehr in ihrer ursprünglichen Bedeutung und in ihrem ursprünglichen Kontext zu gebrauchen, deren semantisches Umfeld, also den Bedeutungsgehalt, aber mitzutransportieren.

 So forderte der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen auf dem Stuttgarter Parteitag dieser Gruppierung: „Weg vom linken, rot-grün verseuchten, leicht versifften 68er Deutschland“. Der medizinische Begriff „Seuche“ (der laut DUDEN „ansteckende Krankheit, Epidemie, Infektionskrankheit, Massenerkrankung“ bedeutet) wird auf politische Verhältnisse übertragen und deren angestrebte Veränderung gerät zur Beseitigung, zur Entseuchung. Ähnliches gilt für „versifft“, das „verschmutzt“ bedeutet. In Meuthens Wahrnehmung sind „links“ und „rot-grün“ (zwei keineswegs identische politische Richtungen) verschmutzt. Mutmaßlich also vom Schmutz der Demokratie bedeckt. Was er mit dem „68er Deutschland“ meint, führt er nicht weiter aus. Meint er den Widerstand gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze? Oder das Attentat auf Rudi Dutschke durch einen Hilfsarbeiter namens Josef Bachmann, dessen politischer Horizont mit dem eines typischen PEGIDA-Anhängers durchaus vergleichbar war?

 

Bereits das NS-Regime hat die Umwertung der Sprache zielgerichtet betrieben. Eine Folge dieser Sprachverwirrung ist, dass wir bis heute in unseren Medien Formulierungen finden, die dem so genannten „Wörterbuch des Unmenschen“ (siehe Info) entlehnt sind – und kaum einer scheint das zu bemerken, Journalisten eingeschlossen. Deswegen ist die Auseinandersetzung mit der Sprache des Nationalsozialismus gleichzeitig eine kritische Anfrage an unseren je eigenen alltäglichen Sprachgebrauch und auch an jenes, was wir den Medien ungestraft an sprachlichen Sünden durchgehen lassen.

 

Um seine angebliche Modernität zu unterstreichen, verwendete der Nationalsozialismus häufig Begriffe aus der Technik in sachfremden Zusammenhängen wie z.B. „Anschluss“ oder „Gleichschaltung“. Wertfreie technische und sachliche Ausdrücke dienten oft als Euphemismus, als Beschönigung oder Verschleierung, um politische Unterdrückung und politischen Mord und andere Rechtsbeugungen zu verdecken und zu verharmlosen. Ein besonders grausames Beispiel ist die „Endlösung der Judenfrage“, was nichts anderes als die Ermordung aller Juden Europas bedeutete. Zudem übernahm die NS-Propaganda viele Begriffe und Redewendungen aus dem Bereich der Religion, besonders der kirchlichen Sakralsprache. Worte wie „ewig“, „Glaubensbekenntnis“ oder „Heil“ waren geradezu inflationär vertreten. Die Nazi-Ideologie forderte damit Glauben statt Wissen ein.

 

Politische Gegner sowie rassische und religiöse Minderheiten wurden von den Nationalsozialisten in Anlehnung an den theologischen und kirchlichen Antijudaismus und Antisemitismus oft mit Tiermetaphern beschrieben. Hitler schrieb in „Mein Kampf“: „Der Jude ist und bleibt der typische Parasit, ein Schmarotzer, der wie ein schädlicher Bazillus sich immer mehr ausbreitet, sowie nur ein günstiger Nährboden dazu einlädt.“ Dieses Vokabular, von den Nazis der biologischen Schädlingsbekämpfung entnommen, hat Jörg Meuthen ganz offensichtlich verinnerlicht, wenn er von „verseucht“ und „versifft“ spricht. An ihrer Sprache kann man die Neo-Faschisten erkennen.

 

Für die staatliche Sprachzensur und Sprachmanipulation schuf das NS-Regime selbst den Begriff „Sprachregelung“. Nach internen Anweisungen von Joseph Goebbels wurden der Presse durch solche Zensurmaßnahmen nicht nur Themen vorgegeben, sondern auch ein Sprachgebrauch, der den tatsächlichen Zweck staatlichen Handelns für die deutsche und ausländische Öffentlichkeit verschleiern sollte. Oft wurden bewusst verharmlosende, neutrale oder positiv besetzte Ausdrücke für Terror- und Mordaktionen verwendet. Damit sollten sie Normalität vortäuschen und den organisierten Widerstand Betroffener verhindern.

 

Auf der Beliebtheitsskala rangierten Wörter wie Arbeit, Bazillus, Blut, deutsch, Doppelverdiener, einmalig, einzig, Endlösung, Erbe, ewig, Gefolgschaft, gigantisch, Gleichschaltung, Heil, historisch, Lebensraum, Leistung, national, Parasit, Rasse, Rassehygiene, Reich, Schmarotzer, Sippe, Sprachregelung, total, ungeheuer oder Volksgemeinschaft ganz oben.

 

Dolf Sternberger, Gerhard Storz und W. E. Süskind hatten unmittelbar nach Kriegsende ein „Wörterbuch des Unmenschen“ zusammengestellt, das die Nazi-Sprache exemplarisch und in enzyklopädischer Ausführlichkeit darstellte. Ihnen ging es sowohl um den Wortschatz der Nazis, ihren gewalttätigen Satzbau, ihre verkümmerte Grammatik sowie ihren monströsen und zugleich krüppelhaften Wortbestand. Sie trugen zahlreiche Beispiele dafür zusammen, wie der Unmensch auch aus einem harmlosen, geselligen, gar freiheitlichen Wort das schiere Gegenteil hervorbrachte.

 

Leider ist dieses „Wörterbuch des Unmenschen“ ein Abbild jenes Wörterbuchs der geltenden deutschen Sprache geblieben, sowohl der Schrift- als auch der Umgangssprache. Einer Sprache, wie sie besonders im Munde von Verbandsfunktionären, Werbeleuten und Verkäufern ohne Bewusstsein für die historische Belastung der Begriffe ertönt. Und in allzu vielen Zeitungen und Zeitschriften sowie immer wieder auch im Rundfunk zu lesen bzw. zu hören ist.

 

Eckhard Henscheid trug dem Rechnung mit seiner als „Dummdeutsch“ betitelten Sprachkritik. Dummdeutsch sei eine Aufschüttung aus Neo- und Zeitlosquatsch, aus verbalem Imponiergewurstel bei gleichzeitiger Verschleierungs- und Verhöhnungsabsicht. Forstetzung folgt

 

Info:

 

Dolf Sternberger, Gerhard Storz, W. E. Süskind

Aus dem Wörterbuch des Unmenschen

Zuletzt erschienen als Ullstein Taschenbuch, Berlin 1989

ISBN 3-548-34335-X

 

 

Eckhard Henscheid

Dummdeutsch. Ein Wörterbuch

Reclam Verlag, Stuttgart 1993

ISBN 978-3-15-008865-4

 

 

 

Es folgen:

 

Teil 2: Verdummung durch Sprache

Teil 2: Die Phrasendresch-Maschine