kpm PRO LESEN Januar 2018Die Literaturinitiative PRO LESEN blickt zurück auf 1968

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zitate von Karl Marx zählten zu den am häufigsten benutzten Schlagworten der 68er-Bewegung.

Zu heftigen Kontroversen auch innerhalb der Studenten und ihrer Sympathisanten führte eine Bemerkung aus der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie: „Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muss gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift“. Unschwer setzte Marx auf einen breiten Bewusstseinswandel, der einem Gebrauch der Waffen überlegen sein und zu wirklichen Veränderungen führen würde.

Die Frankfurter Kulturinitiative PRO LESEN greift in ihrer Themenwoche im Januar die Marx’sche These auf und stellt eine Verbindung her zu dem, was deutsche Autoren über 1968 und die Folgen geschrieben haben. Denn vielfach erwiesen und erweisen sich diese erzählenden Analysen als nachhaltige Aufklärung. Die „Kritik der Waffen“ war zu einer Kritik aus den Schreibmaschinen geworden und erwies sich als besonders nachhaltig. Die Theorie wurde tatsächlich zur materiellen Gewalt, an der sich derzeit insbesondere CSU, AfD und der übrige rechte Plunder (vergeblich) abzuarbeiten versuchen.

PRO LESEN macht seine Interpretation der Ereignisse vor allem an zwei Beispielen fest. Zum einen an Richard David Prechts Erinnerungsbuch „Lenin kam nur bis Lüdenscheid“ und zum andern an Uwe Timms belletristischer Darstellung „Heißer Sommer“.

Richard David Precht schreibt im Nachwort zur Neuauflage seines Buchs: „In Kürze feiert die sogenannte Revolte von 1968 ihren 50. Geburtstag. Und während sich die letzten Veteranen erinnern - nostalgisch die einen, schaudernd die anderen - wird die Deutungshoheit über das, was 1968 gewesen ist oder gewesen sein soll, auf jüngere Generationen übergehen. Und wieder einmal wird nach Maßgabe einer veränderten Zeit darüber gerichtet werden, was wahr war und was Wirrwarr. An einem Punkt freilich lässt sich nicht zweifeln, nämlich dass die Bundesrepublik durch die Ereignisse von '68 modernisiert worden ist. Dies werden dabei nicht mal jene beklagen, die damals auf der Seite des »Establishments« standen und ihre Weltsicht auf ihre Kinder vererbten. [...] Denn die Zahl der Menschen in der Bundesrepublik, die zurück in eine Zeit vor '68 möchten, dürfte verschwindend klein sein. [...]

Doch es gibt noch eine zweite Geschichte von '68. Es ist die Geschichte jener Men­schen, die damals für die neuen alten Ideale von Gerechtigkeit und Frieden eintra­ten und von einer ganz anderen Gesellschaft träumten. Es ist nicht nur eine Geschichte der immer gleichen Namen Rudi Dutschke, Danny Cohn Bendit, Hans-Jürgen Krahl oder Rainer Langhans mit ihren Irrungen und Wirrungen. Es ist vor allem die Geschichte jener Menschen, die unbeachtet von jeder Geschichtsschreibung das taten, was sie im Sinne von Aufklärung und Humanität glaubten tun zu müssen.
Dass nicht wenige Menschen, die damals dabei waren, etwas ganz anderes im Sinn hatten, als den Kapitalismus neu zu beleben, ist noch eine andere Geschichte. Die französischen Revolutionäre, die die Bastille stürmten, taten dies gewiss auch nicht für einen Napoleon oder für den bourgeoisen König Louis Philippe, die späteren Profiteure der Revolte. Und wie die Revolutionäre in Paris, so wollen auch viele der mutigsten und engagiertesten unter den 1968ern eine »andere Gesellschaft«: ein klassenloses Deutschland, in dem niemand jemand anderen ausbeutet; ein pazifistisches Deutschland, das auf der Seite der Ausgebeuteten in aller Welt steht und nicht auf Seiten der Mächtigen und Skrupellosen; ein materiell egalitäres Deutschland, in dem der Wert und die Macht eines Menschen sich nicht nach dem bemisst, über wie viel Geld er verfügt.“

Im Bibliothekszentrum Sachsenhausen lautet denn auch eingedenk solcher Stimmen die Veranstaltungswoche „Alles war anders“. Die Buchausstellung ist während der Öffnungszeiten der Bibliothek zugänglich. Die Donnerstagabend-Lesung, die unter dem Motto „Die Waffen der Kritik in den Händen der Schriftsteller“ steht, findet am 18.01.2018 um 19:00 Uhr statt. 

Foto:
Titel des Programmhefts „Literatur & Kultur“ für Januar 2017
© PRO LESEN e.V.

Info:

„Die Waffen der Kritik in den Händen der Schriftsteller“ am 18.01.2018 um 19:00 Uhr.
Der Eintritt ist frei.
Bibliothekszentrum Sachsenhausen

Erwähnte Bücher


Richard David Precht: Lenin kam nur bis Lüdenscheid
Meine kleine deutsche Revolution
350 Seiten. Paperback. Goldmann Verlag
ISBN 978-3-442-15872-0

Uwe Timm: Heißer Sommer
340 Seiten. dtv-Taschenbuch
ISBN 978-3-423-12547-5