Bildschirmfoto 2018 12 08 um 02.10.24In einer neuen Umfrage des israelischen Demokratie-Instituts äussert fast die Hälfte der israelischen Öffentlichkeit die Befürchtung, dass die Demokratie in Israel in «schwerer Gefahr» sei

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Langsam, aber sicher und vor allem unaufhaltsam breitet sich unter der israelischen Bevölkerung ein Gefühl aus, das sich präzise noch gar nicht eindeutig definieren lässt, das am treffendsten aber wohl mit ungut oder unangenehm bis bedrohlich umschrieben werden kann. Auf einen Nenner gebracht, scheint die Demokratie im Land Gefahr zu laufen, ihren angestammten Platz im Zentrum­ der Gesellschaft zu verlieren.

Die israelischen Verfechter des demokratisch-jüdischen Grundgedankens müssen offenbar immer härter um das Überleben eines einst unveräusserlichen,­ fest verankerten All­gemeinguts kämpfen.


Demokratie in Gefahr

Bestätigung erhielten die Israeli dieser Tage durch eine Umfrage, die im jüngsten Jahresbericht des israelischen Demokratie-Instituts (IDI) enthalten ist. Fast die Hälfte der israelischen Öffentlichkeit fürchtet demnach, dass die Demokratie in ihrem Lande in «schwerer Gefahr» sei. Laut der genannten IDI-Umfrage stellt das Institut fest, dass 22,5 Prozent der Israeli «sehr einverstanden» sind mit dieser Formulierung bezüglich des Standes der Demokratie im Lande, und 23,5 Prozent «einigermassen». Zusammengenommen machen sich also über 45 Prozent der israelischen Bevölkerung Sorgen, was die Qualität ihrer Demokratie betrifft. Die Trennung nach den Klischees rechts-links wird dabei sehr klar. 75 Prozent der sich mit der Linken identifizierenden jüdischen Israeli fürchten um die Zukunft der Demokratie in Israel, verglichen mit 54 Prozent der Antwortenden im politischen Zentrum. Es überrascht höchstens die Naiven, dass nur 28 Prozent der Vertreter des rechten Spektrums diese Furcht teilen, erleben sie doch unter der gegenwärtigen israelischen Rechtsregierung auch dann eine ideologische Hoch-Zeit, wenn die Entscheidungsträger es mit der demokratischen Praxis nicht sonderlich genau nehmen.

Die Prozentsätze in allen Kategorien der Umfrage waren laut IDI höher als letztes Jahr. Die Resultate wurden im alljährlich veröffentlichten israelischen Demokratie-Index publiziert. 67 Prozent der israelischen Araber glauben demnach nicht, dass die israelische Regierung ihre arabischen Bürger demokratisch behandelt. Unter den jüdischen Antwortenden glauben hingegen nur 23 Prozent, dass die arabischen Bürger unter Diskriminierung leiden würden. Trotz allem sind 51 Prozent der Araber stolz darauf, Israeli zu sein, während die Vergleichszahl unter den jüdischen Antwortenden bei 88 Prozent liegt. Nicht unbedingt zu erwarten war, dass 47 Prozent der jüdischen Antwortenden der Meinung waren, dass Bürger, die nicht zu bestätigen gewillt waren, dass Israel der Nationalstaat des jüdischen Volkes sei, das Wahlrecht verlieren sollten.


Spannungen zwischen rechts und links

Was die Spaltungstendenzen im Volk angeht, scheint sich dieses Jahr eine Verschiebung gegenüber früher ergeben zu haben: Erklärten früher die meisten Teilnehmer der Umfrage, dass die jüdisch-arabischen Beziehungen die grösste Quelle der Spannungen in der israelischen Gesellschaft seien, kristallisierten sich im diesjährigen Bericht zumindest unter jüdischen Antwortenden die Spannungen zwischen rechts und links als eine noch grössere Gefahr für eine Spaltung heraus.


Am Sonntag publizierte die israelische Polizei die Empfehlung, Anklage gegen Premier Binyamin und dessen Gattin Sara Netanyahu zu erheben.Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sollte es nicht verwundern, dass die jüngste Kritik am Ehepaar Netanyahu auf besonderes Interesse stösst. Ganz speziell gilt dies für die Empfehlungen der Polizei, Anklage gegen das prominente Paar zu erheben. Nehmen wir vorweg, dass eine polizeiliche Empfehlung noch lange nicht gleichzusetzen ist mit der Eröffnung eines Strafprozesses. Zumindest in Sachen Stimmungsmache verfügt eine solche Empfehlung zweifelsohne aber über ein gewisses psychologisches Gewicht, das nicht zu unterschätzen ist.


Anklage gegen den Premier

Am Sonntag veröffentlichte die israelische Polizei nun also die Empfehlung, Anklage gegen Premier Binyamin und dessen Gattin Sara Netanyahu zu erheben. Als die wichtigsten Anklagepunkte werden dabei vor allem aktive und passive Bestechung genannt, Betrug und Verletzung des öffentlichen Vertrauens in den Korruptionsuntersuchungen im sogenannten Fall 4000, in dem es unter anderem um die vom Premier vehement dementierte, für ihn günstige, beeinflusste Berichterstattung in den Medien durch die Website Walla geht. Der Regierungschef reagierte noch am gleichen Tag mit der eher lapidaren, und im konkreten Fall wenig überzeugende Bemerkung, den polizeilichen Empfehlungen fehle jegliche gesetzliche Durchsetzungskraft. «Sie kommen allerdings nicht überraschend», fügte der Premier hinzu. Höchstwahrscheinlich ist diese Äusserung eine Anspielung auf Polizei-Oberinspektor Roni Alsheich, der Anfang Woche seinen letzten Tag im Amt erlebte.

Dass die polizeilichen Empfehlungen an diesem Tag publiziert worden sind, wird allgemein als «Abschiedsschuss in einer der angespanntesten Beziehungen zwischen Premierminister und Polizeichef in Israel» angesehen, wie israelische Medien betonten. Generell müssen die Empfehlungen der Polizei als eine weitere Verschärfung für Netanyahus legale Probleme betrachtet werden, nachdem gegen den Regierungschef bereits im letzten Februar Empfehlungen zur Anklageerhebung in anderen Fällen wegen des Verdachts auf Bestechung und Vertrauensmissbrauch publiziert worden waren. Abzuwarten bleibt, welchen positiven oder negativen Einfluss die an der Grenze zu Libanon lancierte IDF-Operation «Schild des Nordens» auf Netanyahus Image ausüben wird.

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© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. Dezember 2018