kpm Schauspiel Frankfurt c Stadtische Buhnen FrankfurtDer neu entbrannte Kampf um Frankfurts Oper und Schauspiel

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Intelligenzler gehen ins Theater, der Erb- und Geldadel bevorzugt die Oper.

Mein Urgroßvater Philipp notierte diese Feststellung am 16. Juli 1906, seinem 40. Geburtstag, in einem Dankesbrief an seine Ehefrau Eva, die als Klavierlehrerin tätig war. Wenn einer um die Interna des Kulturbetriebs wissen konnte, dann er. Schließlich war er in diesem Jahr zum Kapellmeister am Mannheimer Nationaltheater ernannt worden. Auch in anderen Briefen an Mitglieder seiner Familie begründete er regelmäßig seine Sicht der Dinge.

Operaufführungen seien gesellschaftliche Ereignisse und böten immer Anlass zur repräsentativen Selbstdarstellung. Über die vielfach belanglosen Texte der Libretti lohne es sich nicht zu reden, deswegen würden auch keine Detailkenntnisse erwartet. Über die filigrane Welt der Kompositionen hingegen erlaube sich kaum jemand ein Urteil, denn auf diesem Terrain könne man unversehens in diverse Fettnäpfchen treten. Oper sei Blendwerk, sei vor allem eine Bühne für die Besucher. Ganz anders das Theater, das der Gesellschaft häufig einen Spiegel vorhalte. Blicke in diesen Spiegel könnten explosive politische Auseinandersetzungen hervorrufen, die grundsätzlicher ausgetragen würden als die Debatten im Reichstag.

An die erwähnten hinterlassenen schriftlichen Äußerungen meines Urgroßvaters, den ich nie persönlich kennengelernt hatte, musste ich denken, als ich über die Meldung stolperte, dass sich eine „Bürgerstiftung Neue-Oper-Frankfurt“ konstituiert hat, die ein neues Opernhaus am Mainufer bauen möchte und dafür eine Anschubfinanzierung von 50 Millionen Euro einsammeln wollte. Der übergroße Rest von ca. 190 Millionen müsste selbstverständlich aus öffentlichen Mitteln beigesteuert werden. Zu den Initiatoren zählen laut einer ausführlichen Berichterstattung von »Deutschlandradio Kultur« „elf renommierte Frankfurter Bürgerinnen und Bürger aus der Industrie, dem Bankensektor, von Kultureinrichtungen sowie ehemalige Kultur- und Stadtplanungspolitiker von CDU und SPD.“ Unter diesen befindet sich auch der ehemalige Frankfurter Planungsdezernent Martin Wentz, an den sich manche seiner Parteifreunde in der SPD nur mit Grauen erinnern. Zu rasch sei bei ihm der Wechsel vom nicht sonderlich innovativen Stadtplaner zum geschäftstüchtigen Unternehmer in der Immobilienbranche erfolgt.

In dem bereits zitierten Radiobericht heißt es weiter: „Auf einen konkreten Standort für die neue »Mainoper« legt man sich noch nicht fest. Doch vieles spricht dafür, dass es ein attraktives städtisches Grundstück am Osthafen sein könnte. Nicht weit von der Europäischen Zentralbank am Wasser gelegen. In einer Gegend, die jetzt schon tagsüber beliebter Anziehungspunkt gerade für junge Frankfurterinnen und Frankfurter ist – mit Skaterpark, Liegewiesen am Mainufer und Außengastronomie mit Blick auf die Hochhauskulisse. Auf dem Operndach soll man flanieren oder in einer Bar sitzen und über die Stadt blicken können.“ Tatsächlich: Das ist die Kulisse für eine Kultur, die mit Kultur, also jener Kunst, in der sich menschliche Reflektion äußert, kaum noch etwas gemeinsam hat. Die projektierte »Mainoper« wäre eine Bühne für die Wohlhabenden, auf der man sich zeigt und auf der man gesehen wird. Da wird Musik zweitrangig, allenfalls werden die typischen Gassenhauer der Opernwelt beim Blick auf der Hochhauskulisse nachgesungen: „Ach wie so trügerisch, sind Weiberherzen, mögen sie lachen, mögen sie scherzen.“

Ausgerechnet die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig begrüßt diese Initiative. Ebenfalls im Deutschlandfunk äußert sie: „Die sanierungsbedürftige Nachkriegsmoderne steht zur Diskussion...Diskussion möchte ich gerne unterstreichen, denn es handelt sich um eine Bautradition, die verbunden ist mit einer sehr gelungenen Geschichtsschicht unserer Republik. Das war der Aufbruch in die sich demokratisierende Moderne. In den Städtischen Häusern hat die ästhetische Erziehung der Stadtgesellschaften stattgefunden... Wir haben eine Stabsstelle zur Zukunft der Städtischen Bühnen auf den Weg gebracht, die einen geordneten Prüfungsprozess durchführt. In diesen werden wir den Vorschlag der Bürgerstiftung einbringen.“
Aha.

Zweifellos bedarf die Theaterdoppelanlage in Frankfurt einer baulichen Sanierung. Ich denke beispielsweise an die reparaturbedürftige Klimaanlage und an Wasserschäden in den Fundamenten. Dabei ist jedoch zunächst eine Frage vor allen anderen zu stellen und zu beantworten: Welche Teile müssen ersetzt werden (die Bühnentechnik des Schauspielhauses wurde erst vor wenigen Jahren aufwändig erneuert, weite Teile der Oper vor dreißig Jahren)? Mich irritiert bei der lediglich in Schlagzeilen verlaufenden öffentlichen Diskussion, dass sich die zuständige Dezernentin über eigentlichen Kernfragen beharrlich ausschweigt. Ähnlich wie die Priesterin Pythia im Orakel zu Delphi scheint Ina Hartwig auf einem Dreifuß über einem Riss des Mauerwerks zu verharren und auf die göttliche Eingebung zu warten.

Andere aus der schwarz-rot-grünen Koalition sind schneller und verkünden medienwirksam ihre Positionen – beispielsweise die Initiatoren der „Bürgerstiftung Neue-Oper-Frankfurt“. Besonders eifrig sind solche, deren Namen man mit Kultur eher nicht in Verbindung bringt; allenfalls fallen sie bei Premierenfeiern in der Panorama-Bar durch rasch angelesenes Wikipedia-Wissen peinlich auf. Ähnlich wie Neureiche, die ihrem ungeschulten Geschmack keine Nachhilfe gönnen, scheinen sie einem unreflektierten Ästhetizismus zu frönen. Man kann dieses Verständnis von Harmonie und Schönheit auch als „außen hui, innen pfui“ beschreiben.

Dass dieser Dunstkreis aus Eitelkeit und Unverstand den Projektentwickler der neuen Altstadt nun auch zum Chef der Stabsstelle lancieren konnte, lässt Schlimmstes befürchten. Wieviel Disney-Land kann eine Stadt wie Frankfurt verkraften, ohne sich lächerlich zu machen? Müssen sich Theater und Oper nicht durch ihre Inhalte erklären und profilieren statt durch äußeren Protz? Deswegen sollte an ein Imitat der Neubauten von Oslo oder Kopenhagen erst gar nicht gedacht werden. Der derzeitige Bau ist im Gegensatz zu allen kursierenden Phantasien die Verkörperung eines aufgeklärten „mehr Sein als Scheinen“ und passt damit in eine demokratische Gesellschaft. Ihn weitestgehend zu erhalten, müsste das vorrangige Ziel sämtlicher Überlegungen sein. Ina Hartwig sollte diese Frage in ihren Stellungnahmen öffentlich und unüberhörbar erörtern.

Wenn man stattdessen die Wiederholung einer kostspieligen technischen Prüfung erwägt, stellt sich die Frage, was denn das ursprüngliche Gutachten wert ist. Und ob man sich jede weitere Expertise so hinbiegen lassen will, bis die Befürworter einer Kopie des Baus von 1902 zum Zuge kommen. Einen Kaiser plus Hofschranzen werden sie sicherlich auch bereits in der Schublade haben.

Die so genannte Stadtgesellschaft hat im Kultur- und Bildungssegment zudem noch andere Verpflichtungen zu erfüllen. Beispielsweise eine in jeder Hinsicht intakte Schulstruktur zu garantieren. Nur wenn diese gewährleistet ist, erhielten Schüler die Chance, beim Lesen von Gotthold Ephraim Lessings „Hamburger Dramaturgie“ lernen zu können, was dieser Aufklärer unter Theater verstand. Der dachte tatsächlich groß – und zwar deutlich über jenen Tellerrand hinaus, den die üblichen Frankfurter Kultur-Bankrotteure nie werden überwinden können. Und wer sich über Grundfragen der Oper, also ihrer Musik, belehren lassen will, sollte unbedingt zum Buch des Chefdramaturgen der Frankfurter Oper greifen: „Norbert Abels, Notenlese. Die Sprachen der Oper“.

Foto:
Theaterdoppelanlage am Willy-Brandt-Platz mit Schauspiel und Oper
© Schauspiel Frankfurt