p ap michabrumlik.deErinnerungen an den Auschwitz-Prozess im Bürgerhaus Gallus Frankfurt, Teil 1

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Die Nachricht von der Benennung des Saales, in dem vor einem halben Jahrhundert der Auschwitz-Prozess zu Ende ging, nach Fritz Bauer, weckt bei mir viele Erinnerungen. Ich hatte den Initiator des Verfahrens bereits vor dem Prozess kennen gelernt und fühle mich ihm bis heute verbunden; er hat meinen Lebensweg entscheidend geprägt.

Von der damaligen Wohnung meiner Familie in der Voltastraße aus war es nicht weit bis ins Gallusviertel. Mit dem Auto erreichte ich den Ort des Geschehens in zehn Minuten. Es folgen Auszüge aus meinem ersten Bericht über den Auschwitz-Prozess nach dem Umzug des Gerichts aus dem Saal im Römer ins Bürgerhaus Gallus. Er trägt das Datum vom 31. Mai 1964:

Seit Ostern tagt das Gericht im Frankfurter Bürgergemeinschaftshaus „Gallus“. Es liegt in der Nähe jener Stelle, an der im Mittelalter ein Galgen stand. In dem großen Saal ist Platz für 143 Zuhörer und 124 Pressevertreter. Der Andrang hat nicht nachgelassen. Nach wie vor sind alle Plätze besetzt. Mitunter müssen die Journalisten auf der großen Empore zusammenrücken, um Zuhörern Platz zu machen.

Erfreulich ist, dass immer wieder ganze Schulklassen mit ihren Lehrern die Verhandlungen besuchen. Sie bekommen hier Anschauungsunterricht in jüngerer Geschichte, wie er nirgendwo sonst erteilt werden könnte. Weniger erfreulich ist die Taktik der Verteidiger, die Überlebenden der Todesfabrik als unglaubwürdig hinzustellen. Ein polnischer Arzt sollte zum Beispiel darüber Auskunft geben, wann er sein Examen abgelegt hat. Mitunter werden Fragen in hochmütigem, beleidigendem Ton gestellt, als handelte es sich bei den Zeugen um Beschuldigte.

Besonders abstoßend sind Versuche, ausländische Zeugen einzuschüchtern und sie als Vollstrecker einer Art Verschwörung ehemaliger Auschwitzhäftlinge erscheinen zu lassen. Man unterstellt ihnen, Aussagen untereinander abgesprochen zu haben und glaubt allein aus der Existenz des Internationalen Auschwitz-Komitees den Verdacht eines Komplotts ableiten zu können. Deswegen kommt es immer wieder zu schweren Zusammenstößen.

Welchen Eindruck die Zeugen bekommen, wenn Verteidiger aus dem Gespräch mit einem Leidensgenossen eine „Beeinflussung“ konstruieren, machte der polnische Zeuge Boratinsky deutlich. Er sagte, dies alles erinnere an Auschwitz. Wenn dort zwei Häftlinge zusammengestanden hätten, habe die SS auch gleich eine Verschwörung gewittert. Boratinsky war im Todesblock unter die zu Erschießenden eingereiht worden und trug bereits auf der nackten Haut die übliche mit Tintenstift geschriebene Nummer. Wie durch ein Wunder kam er mit dem Leben davon; denn bei der Zählung der Todeskandidaten war einer zu viel.

Boratinsky musste später die Leichen seiner ermordeten Kameraden beiseite tragen. Er sah, wie der Gestapomann Boger die Opfer aus kurzer Entfernung mit einem Schuss in den Hinterkopf niederstreckte. Während die Unglücklichen an die Schwarze Wand geführt worden seien, habe Boger ihnen „Kopf hoch!“ zugerufen. Die höhnische Aufforderung sollte bewirken, dass die Opfer ihre Köpfe hoben, damit Boger besser seine Schüsse anbringen konnte.

Der tschechische Zeuge Erich Kulka schilderte eingehend die Liquidierung der nach Auschwitz verschleppten Insassen des Familienlagers Theresienstadt in Nordböhmen. Sie seien mit allen möglichen Tricks in die Gaskammern gelockt worden. Auf ihrem letzten Weg hätten die Opfer hebräische Lieder und die tschechische Nationalhymne gesungen, deren deutscher Text mit den Worten beginnt: „Wo ist mein Heim, mein Vaterland...“.

Der Zeuge Dr. Thadeuz Paczula, der in Auschwitz das Totenbuch führen musste, machte detaillierte Angaben über die Erschießungen an der Schwarzen Wand. Am 28. Oktober 1941 seien 280 Menschen erschossen worden, darunter dreißig, die seinen Vornamen gehabt hätten. „Ich weiß das deshalb so genau, weil es an meinem Namenstag geschah.“

Besonderes Interesse fand ein Bericht, den der heutige Angeklagte Broad unmittelbar nach Kriegsende für einen britischen Vernehmungsoffizier verfasst hat. Danach haben sich SS-Ärzte auf die Leichen soeben Erschossener gestürzt, um Stücke noch warmen Fleisches für ihre experimentellen Untersuchungen herauszusch©neiden. Die Schilderung des Grauens war so perfekt, dass ein Zuhörer fast zusammenbrach, weil ihm übel geworden war. Er musste aus dem Saal geführt werden. Die Angeklagten blickten unterdessen gelangweilt vor sich hin.“

Foto:
Angeklagte
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Info:
Ein weiterer Bericht über das Geschehen im Verhandlungssaal, der jetzt Fritz-Bauer-Saal heißt, folgt.