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Kategorie: Zeitgeschehen
OKTOBERBR.DESpäte Einsicht:  Die rechte Terrorwelle, die auch das Oktoberfest-Attentat einschloß: 20 Ermordete, 200 Verletzte

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Unter der Überschrift "Oktoberfest-Attentat bleibt unaufgeklärt" veröffentlichte WELTEXPRESSO am 19. Mai 2019 einen Beitrag unseres Kollegen Kurt Nelhiebel, der auf die bevorstehende Einstellung des Verfahrens zur Aufklärung des Attentas vor 40 Jahren einging. Inzwischen hat sich endlich national eine andere Lesart der mörderischen Geschehnisse durchgesetzt. Selbst die FAZ hat im gestrigen Leitartikel "Der andere Deutsche Herbst" eine schonungslose Abrechnung mit den Verschleierungen der Behörden rechtem Terror gegenüber in klare Worten gefaßt und die Komplizenschaft von Franz Josef Strauß mit den Rechtsradikalen, insbesondere der "Wehrsportgruppe Hoffmann" ausdrücklich betont, die diesem die Kanzlerschaft gegenüber dem amtierenden Helmut Schmidt sichern sollte.

Denn alle politischen Verbrechen wurde angeblichen Linksradikalen in die Schuhe geschoben, die ein Schmidt gewähren ließe. Welche Lügen. Und wie erschütternd, daß diese erst 40 Jahre später in vollem Umfang von den politischen und den ermittelnden Behörden erkannt und benannt werden. "Es ist der schwerste Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik. Doch während der Deutsche Herbst den allermeisten etwas sagt, ist das Attentat von München im gesellschaftlichen Bewußtsein kaum verankert. Das gilt einmal mehr für die weiteren Anschläge des Jahres 1980, das einen frühen Höhepunkt des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik markiert." Das schreibt Marlene Grunert im erwähnten Leitartikel der FAZ vom 26. September 2020. Sie ruft dann die einzelnen Verbrechen noch einmal im nun auch offiziell verankerten rechtsradikalen Umfeld auf: Am 19. Dezember Erschießung des jüdischen Verlegers Shlomo Lewin und Frida Poeschke durch Uwe Behrend, Mitglied der paramilitärischen rechtsextremen Hoffmanngruppe, die im gleichen Jahr verboten, nun erst recht mordete. Am 24. Dezember Mord an zwei Schweizer Grenzbeamten durch den Rechtsextremisten Frank Schubert. Der Oktoberattentäer Gundolf Köhler, ebenfalls  Mitglied der "Wehrsportgruppe Hoffmann" hatte einem Freund zuvor gesagt: "...man müsse kurz vor der Bundestagswahl Anschläge begehen und sie den Linken in die Schuhe schieben". Das war - so schreibt die Verfasserin - den Ermittlern schon am nächsten Morgen bekannt. Doch der "Zeuge wurde für psychisch krank erklärt". Das erinnert heute an die spätere Leidensgeschichte von Gustl Mollath und läßt einen tiefen Sumpf vermuten, was in Bayern mit Menschen geschah, die die Wahrheit sagten. 

Es müßten eigentlich öffentliche Erklärungen kommen, zum Versagen der Ermittler. Und sie kommen auch, nach und nach. So hat sich der gegenwärtige bayerische Ministerpräsident Söder tatsächlich öffentlich dafür entschuldigt, wie nachlässig und in falsche Richtung seine Behörden ermittelt hatten. Er hätte sich gleich auch noch für seinen Vorgänger entschuldigen müssen. Denn Franz Josef Strauß, Kanzlerkandidat der Union, hat keine 24 Stunden nach dem Anschlag und neun Tage vor der Bundestagswahl dem damaligen Bundesinnenminister schwere Versäumnisse vorgeworfen, in dem dieser den Linksterrorismus verharmlose: "Herr Baum hat schwere Schuld auf sich geladen." Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Franz Josef Strauß hat schwere Schuld auf sich geladen, denn die "Wehrkampfsportgruppe Hoffmann" hat er als Spinner abgetan und den Oktoberfestattentäter haben seine Behörden im nacheilenden Gehorsam als geltungssüchtig und liebeskrank bezeichnet, was seine Mordmotive gewesen seien.

Von heute her hört sich das so ungeheuerlich an, wie es damals war, vor allem, weil es Strauß und den Seinen gelungen war, in der veröffentlichen Meinung die laufenden Attentate  'den Linken' anzulasten oder sie als Taten psychisch Angeschlagener zu werten. Das Schlimme ist, daß auch das Beweismaterial dieser politischen Morde  vernichtent wurden, so daß eine Aufklärung weiterer Taten offiziell nicht mehr möglich ist. Um so wichtiger, daß am Beispiel des Oktoberfest-Attentats dieses blinde Auge der ermittelnden Behörden und der Justiz gegenüber dem Rechtsterrorismus  für alle Zeiten sehend gemacht wurde. Wenigstens das, wenn schon nicht Anschläge wie die von Halle und Hanau durch frühzeitige Erfassung verhindert werden können. Genau in diese Richtung aber muß staatliches Handeln gehen. 



Oktoberfest-Attentat bleibt unaufgeklärt

Kurt Nelhiebel  

Es geschah am Abend des 26. September 1980, zehn Tage vor einer Bundestagswahl, bei der nach Wunsch und Willen der Unionsparteien der Sozialdemokrat Helmut Schmidt als Bundeskanzler durch den CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß abgelöst werden sollte. An jenem Abend explodierte am Eingang zum Münchner Oktoberfest ein Sprengstoffpaket mit verheerenden Folgen. 13 Menschen wurden getötet und  200 schwer verletzt.

Bei dem Attentäter handelte es sich nach Feststellungen der Polizei um den 21jährigen Geologiestudenten Gundolf Köhler. Über ihn heißt es in der „Chronik des Jahrhunderts“ auf Seite 1168,  im nachrichtendienstlichen Computer des Bundesinnenministeriums sei Köhler als Anhänger der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ erfasst gewesen, einer neonazistischen Organisation, die am 30. Januar 1980 verboten wurde. Die Frage, ob der Student Hintermänner hatte, wurde nie geklärt. Köhler kam bei der Explosion ebenfalls ums Leben.

Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung vom 18./19. Mai stehen die 2014 neu aufgenommenen Ermittlungen zu dem Attentat kurz vor dem Abschluss. Die Bundesanwaltschaft werde die Suche nach möglichen Hintermännern des größten rechtsradikalen Anschlags in der Geschichte der Bundesrepublik demnächst einstellen. „Es gibt keine letztliche Klärung“, habe ein Fahnder erklärt. Weiter heißt es in der genannten Ausgabe der SZ:

„Strauß war es, der die Wehrsportgruppe Hoffmann als harmlos abgetan hatte: Man solle Männer, die mit einem ‚Battle-Dress’ und Koppel im Wald spazieren gehen wollen, in Ruhe lassen, sagte er. Dabei hatte ein Freund Köhlers gesagt, der Attentäter habe davon geredet, man müsse einen Anschlag begehen in einer Großstadt und sie dann den Linken in die Schuhe schieben. Dann würde Strauß gewählt.“ Aber es kam anders. Strauß verlor die Wahl. Trotz eines mit harten Bandagen geführten Wahlkampfes kam die von CDU und CSU erhoffte politische Wende nicht zustande. Sozialdemokraten und Freie Demokraten konnten die sozialliberale Koalition fortsetzen. Helmut Schmidt blieb Bundeskanzler.

Die „Wehrsportgruppe Hoffmann“ hatte vor dem Verbot immer wieder durch spektakuläre militärische Übungen, bei denen ihre Anhänger Stahlhelme und Uniformen trugen, von sich reden gemacht. Bei ihren Aufmärschen sangen sie: „Legt sie um, die roten Säue, macht sie nieder Mann für Mann.“ Als der bayerische Innenminister Alfred Seidl 1978 im Landtag gefragt wurde, was er von den Umtrieben halte, wiegelte er ab. Von der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ gehe keine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung aus, sagte er.

Am 22. März des darauf folgenden Jahres höhnte der Ministerpräsident persönlich an die Adresse der SPD-Opposition gerichtet: „Machen Sie sich doch nicht lächerlich, wenn Sie gewisse Gruppierungen – Sie haben heute die Wehrsportgruppe Hoffmann genannt – durch ihre ständigen, in der Öffentlichkeit vorgetragenen Darstellungen überhaupt erst der bayerischen Bevölkerung bekannt machen und ihnen damit eine Bedeutung beimessen, die sie nie hatten, nie haben und in Bayern nie bekommen werden.“ (Zitiert nach Die SS ist ihr Vorbild, Röderberg Verlag, Frankfurt/Main 1981, S. 5).

Drei Tage nach der Explosion auf dem Münchner Oktoberfest machte Strauß die sozialliberale Koalition indirekt für das Attentat verantwortlich. Dem von den Freien Demokraten gestellten Bundesinnenminister Gerhart Baum warf er in der Bild-Zeitung vom 29. September vor: „Herr Baum ist schuld, dass unsere Nachrichtendienste systematisch gelähmt, demoralisiert und zerschlagen wurden. Das nützt den links- und rechtsradikalen Verbrechern.“ Zusätzlich behauptete er, der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ gehörten rund zwei Dutzend Leute an, die aus der DDR gekommen seien, so als handle es sich um eine von Linken unterwanderte und von außerhalb gesteuerte Gruppierung. Den von Baum geforderten Beweis dafür blieb Strauß schuldig.

Bleibt nachzutragen, dass ein Reporter des Bayerischen Rundfunks – wie die Süddeutsche Zeitung in der genannten Ausgabe weiter schreibt – vor Jahren ein halbes Dutzend Zeugenaussagen zusammengetragen hat, die alle davon sprachen, dass Köhler nicht allein gewesen sei. Er wies darauf hin, dass im Aschenbecher von Köhlers Auto 48 Zigarettenstummel gefunden wurden. Die DNA habe man damals noch nicht auswerten können, aber man fand an den Kippen die Spuren von drei unterschiedlichen Blutgruppen. Aber alle Asservate – so die Süddeutsche Zeitung – wurden 1997 vernichtet. Auch die Kippen. Selbst bei der Bundesanwaltschaft habe man gesagt, das hätte nie passieren dürfen.

Foto:
©br.de

Info:
Weltexpressoartikel von Kurt Nelhiebel vom 19.5. 2019